Nordkorea: Zum Sex gezwungen
22. November 2017"Mein Leben lag in seiner Hand. Also habe ich alles gesagt und getan, was er wollte. Was hätte ich auch sonst machen sollen?", fragt die Frau. Die Bäuerin aus Nordkorea war nach China geflohen und dort 2010 aufgegriffen und zurückgeschickt worden. Der Beamte, der sie während der Untersuchungshaft in der Provinz Nord-Hamgyong verhörte, befragte sie zu der sexuellen Beziehung, die sie während der Flucht zu einem chinesischen Mann gehabt hatte. Er wollte alle Einzelheiten wissen. Dann fasste er ihren Körper an, griff unter ihre Kleidung. Schließlich vergewaltigte er sie, mehrere Male.
Diese Geschichte ist eine von vielen, die Human Rights Watch zusammengetragen hat. Die Menschenrechtsorganisation arbeitet zurzeit an einem breit angelegten Bericht, in dem es um Gewalt gegenüber Frauen in dem international isolierten Land geht: im Alltag, zu Hause, im Beruf – oder auch in einem der nordkoreanischen Straf- und Arbeitslager.
"Dort sind Frauen aufgrund der Hierarchie in besonderer Weise gefährdet, Opfer von Gewalt und Missbrauch zu werden", erklärt Heather Barr, leitende Forscherin zum Thema Frauenrechte bei HRW. "Wir haben mit ehemaligen Häftlingen und früheren hochrangigen Regierungsbeamten gesprochen. Beide Gruppen haben berichtet, dass Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt gegenüber Gefängnisinsassen nicht als schwere Verbrechen angesehen werden – auch wenn solche Taten laut Gesetz verboten und strafbar sind."
Schutzlos ausgeliefert
Die Frauen leiden stumm, jede für sich allein. Sie sprechen mit niemandem darüber, was ihnen passiert ist. Wie sie von Aufsehern oder Vernehmungsoffizieren körperlich bedrängt oder zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurden. Sie schämen sich, haben Angst vor Stigmatisierung. Und helfen kann sowieso niemand.
Nach den Recherchen von Human Rights Watch gehören körperliche Übergriffe und Belästigung ebenso zum Alltag der weiblichen Häftlinge wie die verordnete Zwangsarbeit oder Folter. "Vieles findet sogar öffentlich statt. Nur extreme sexuelle Gewalt wie Vergewaltigung spielt sich meist hinter verschlossenen Türen und ohne Zeugen ab. Beide Seiten, Täter und Opfer, bewahren danach oft Stillschweigen über das, was passiert ist."
Ein Teufelskreis
Und das aus gutem Grund. Zwar gibt es offiziell die Möglichkeit, Beschwerde gegen Aufseher oder Vernehmungsbeamte einzureichen, erklärt Barr. Allerdings sind die Stellen, die derartige Beschwerden annehmen, natürlich ebenfalls Teil des Gefängnissystems. "Die Täter sind auch diejenigen, die am längeren Hebel sitzen und die Macht haben. Keine der Frauen, mit denen wir gesprochen haben, ist auch nur auf den Gedanken gekommen, sich zur Wehr zu setzen oder jemanden öffentlich zu beschuldigen. Dafür hatten sie viel zu viel Angst vor den Konsequenzen. Für die Opfer ist es praktisch unmöglich, sich zu schützen."
Schlimmer noch: Kommt ein Fall ans Licht, dann wird dem Opfer die Schuld gegeben, nicht dem Täter. "Eine Frau wurde Zeuge, wie eine Mitgefangene mit einem Wärter Geschlechtsverkehr hatte", sagt Barr. "Sie redete darüber mit anderen, und irgendwann bekam die Gefängnisleitung Wind davon. Daraufhin wurde sie bestraft und innerhalb des Lagers versetzt. Sie wurde zur Zwangsarbeit abkommandiert, musste viel schwerere Tätigkeiten verrichten als vorher." Die andere Frau wurde ebenfalls bestraft, nur für den Aufseher gab es keine Konsequenzen. "Nachdem die Gefangenen mitbekommen hatten, wie die Oberen mit der Sache umgingen, sahen sie künftig einfach weg, wenn solche Dinge passierten und weigerten sich, darüber zu sprechen."
Ein Tabu brechen
Acht Frauen haben sich getraut, ihr Schweigen zu brechen – und Mitarbeiterinnen von HRW ihre Geschichten erzählt. Sie alle haben es geschafft, außer Landes zu fliehen, leben mittlerweile in Südkorea, sind in Sicherheit. Trotzdem sei es nicht einfach gewesen, sie zum Reden zu bringen, erzählt Heather Barr. "Diese Frauen haben viel Not und Leid erfahren und sind hochgradig traumatisiert. Aufgrund ihrer schmerzhaften Erfahrungen haben sie oft Schwierigkeiten, Menschen zu vertrauen. Sie zögern, darüber zu sprechen – und dadurch vielleicht das Ganze noch einmal zu durchleben. Manche haben auch Schwierigkeiten, sich überhaupt an alle Details zu erinnern, auch das hängt mit dem Trauma zusammen."
Die Gründe, warum die Frauen überhaupt im Straflager landeten, ähneln sich – auch wenn sich die Geschichten nicht unabhängig überprüfen lassen. Schon vermeintlich kleine Vergehen reichen aus, um weggesperrt zu werden. " Einige saßen wegen 'Wirtschaftskriminalität' ein. Beispielsweise, weil sie unerlaubt teure Lebensmittel wie beispielsweise Meeresfrüchte verkauft haben, die aber unter Kontrolle der Regierung stehen." Viele versuchen außerdem, sich nach China abzusetzen, werden geschnappt und den nordkoreanischen Behörden übergeben. Auch für sie endet der Weg im Lager.
Ein folgenloser Bericht?
Um die Zustände und das alltägliche Leid in diesen Einrichtungen ging es schon einmal vor ein paar Jahren. Im Februar 2014 präsentierte eine dreiköpfige UN-Kommission unter Vorsitz des australischen Richters Michael Kirby einen mehrere hundert Seiten umfassenden Bericht zur Menschenrechtslage in Nordkorea. Es war das erste Mal, dass eine derart groß angelegte Untersuchung stattfand. Selbst ins Land einreisen durften die UN-Vertreter nicht. Stattdessen befragte das Gremium an verschiedenen Orten weltweit über Monate rund 300 Zeugen. Am Ende stand ein erschütterndes Bild der Lage.
"Ein Zeuge hatte die Aufgabe, die ausgemergelten Körper verhungerter Häftlinge zu beseitigen", so Michael Kirby damals im Interview mit der Deutschen Welle. "Doch dafür hatte er nicht die nötige Ausrüstung. Also hat er die Leichen in einem großen Bottich verbrannt. Die Asche und restliche Körperteile wurden auf den umliegenden Feldern als Düngemittel verwendet, er sagte, es sei guter Dünger gewesen." Und eine Frau habe berichtet, wie sie ihr Baby kopfüber in einen mit Wasser gefüllten Eimer halten musste, bis es ertrunken war. Auch sie war nach China geflohen – und war dort vor ihrer Ergreifung von einem chinesischen Mann schwanger geworden.
So drastisch und schockierend der Bericht war, an den Zuständen in den Lagern geändert hat sich seit der Veröffentlichung offenbar nichts. Heather Barr appelliert an die Internationale Gemeinschaft, weiter Beweise für Menschenrechtsverbrechen in Nordkorea zu sammeln und nach Möglichkeiten zu suchen, die Verantwortlichen eines Tages zur Rechenschaft zu ziehen.
Allein mit den eigenen Dämonen
Die Frauen, mit denen HRW für den Bericht interviewt hat, haben Nordkorea hinter sich gelassen. Ihre Erlebnisse und Erinnerungen dagegen nicht. In Südkorea angekommen, verbringen die meisten erst einmal ein paar Monate im sogenannten "Settlement Support Center" für nordkoreanische Flüchtlinge. "In dieser von der südkoreanischen Regierung betriebenen Einrichtung werden sie physisch und psychisch untersucht und bekommen eine Beratung. Außerdem gibt es praktische Lebens-Tipps, zum Beispiel wie man ein Handy benutzt oder einen ATM-Geldautomaten bedient."
Auch danach gebe es theoretisch die Möglichkeit, sich psychologische Hilfe zu suchen, sagt Heather Barr, beispielsweise über NGOs oder auch die Kirchen. "Allerdings muss man sagen, dass die Angst, sich in psychologische Behandlung zu begeben, in Südkorea sehr groß ist - aus Sorge vor einer Stigmatisierung. Aus diesem Grund trauen sich viele Opfer entweder gar nicht, Hilfe zu suchen, oder sie tun es im Verborgenen."
Mit dem Bericht möchte Human Rights Watch auf das Thema Gewalt gegen Frauen in Nordkorea aufmerksam machen. Und auf diesem Weg vielleicht auch mit dazu beitragen, dass sich künftig mehr Betroffene trauen, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.