Nordkorea: Ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof?
18. November 2014Muss sich das nordkoreanische Regime für Menschenrechtsverstöße und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court, ICC) in Den Haag verantworten oder nicht? Noch ist nicht klar, ob der ICC sich mit dem Fall befassen wird. An diesem Dienstag (18.11.2014) stimmt der Menschenrechtsausschuss der UN-Vollversammlung über eine entsprechende Resolution ab, die gemeinsam von der EU und Japan vorgelegt wurde. Darin wird der UN-Sicherheitsrat aufgerufen, den ICC mit einem Verfahren gegen die Führung des international isolierten Landes zu beauftragen.
Nordkorea seinerseits weist alle Anschuldigungen zurück, sieht sie als Teil eines von den USA initiierten Komplotts. Das Regime will nach Kräften verhindern, dass sich der UN-Sicherheitsrat mit der Menschenrechtslage im Land befasst und versucht, mit einer diplomatischen Offensive dagegenzuwirken. So signalisierte Nordkorea sogar Dialogbereitschaft gegenüber den UN – wenn auch nur zu bestimmten Konditionen. Bei Kuba zumindest stieß das auf offene Ohren: Der Karibik-Staat brachte einen Änderungsantrag ein, in dem Verweise auf den Internationalen Strafgerichtshof aus dem Resolutionstext gestrichen sind. Auch dieser Antrag steht in New York zur Abstimmung. Auch bei Russland sucht Pjöngjang offenbar Unterstützung. Anfang dieser Woche reiste einer der ranghöchsten Vertrauten Kim Jong Uns nach Moskau. Agenturberichten zufolge sind dabei auch Gespräche mit dem russischen Präsidenten Putin und mit Außenminister Lawrow geplant.
Die Hürde im Sicherheitsrat
Grundlage für den Vorstoß der Internationalen Gemeinschaft gegen Nordkoreas Führung ist der Bericht einer eigens ins Leben gerufenen UN-Kommission, der Anfang des Jahres veröffentlicht wurde und in dem detailliert beschrieben wird, wie das System der vor der Welt abgeschirmten Gefangenenlager im Land aufgebaut ist, wie dort systematisch Menschen gefoltert, vergewaltigt und hingerichtet werden.
Aber selbst wenn sich der Menschenrechtsausschuss und danach die UN-Vollversammlung für eine Überweisung an den Internationalen Strafgerichtshof aussprechen, heißt das noch nicht, dass der nordkoreanischen Führung dann tatsächlich in Den Haag der Prozess gemacht wird. Denn nur der UN-Sicherheitsrat hat die Zuständigkeit, den Fall weiter an den ICC zu überweisen, und im Sicherheitsrat sitzt neben Russland auch Nordkoreas wichtigster Verbündeter China als ständiges Mitglied. Beide könnten ein Veto gegen die Resolution einlegen.
Vorsichtige Dialogbereitschaft von Seiten Nordkoreas
Die Abstimmung im Menschenrechtsausschuss an diesem Dienstag erfolgt nur wenige Wochen nach dem Auftritt des für Nordkorea zuständigen UN-Sonderberichterstatters Marzuki Darusman vor den Vereinten Nationen. Ende Oktober hatte Darusman dazu aufgerufen, dafür zu sorgen, dass sich das nordkoreanische Regime für die von ihm verantworteten Menschenrechtsverletzungen juristisch verantworten solle. Dass allein die Aussicht auf eine solche Untersuchung Pjöngjang unter Druck setzt, zeigte auch die Tatsache, dass es in New York zu einem Treffen zwischen Darusman und einer vierköpfigen nordkoreanischen Delegation kam. Es war die erste derartige Zusammenkunft, seit die Position des UN-Sonderbeauftragten für Nordkorea vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde. Frühere Anfragen nach Gesprächen mit Vertretern Nordkoreas seien stets abgelehnt worden, so Darusman im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Entsprechend bewertet er die jüngsten Entwicklungen vorsichtig optimistisch. "Sie belegen die allmählich wachsende Bereitschaft Nordkoreas zu einer Auseinandersetzung mit der internationalen Gemeinschaft." Das Gespräch selbst bezeichnet Darusman als "ehrliche Diskussion". Die nordkoreanische Seite habe ihm sogar die Möglichkeit in Aussicht gestellt, das Land zu besuchen. Wenn auch nur unter Bedingungen: Im Gegenzug forderte Nordkorea, sämtliche Bemühungen um eine strafrechtliche Verfolgung des Landes vor dem ICC einzustellen. Unter derartigen Voraussetzungen wird ein Besuch in UN-Kreisen als unwahrscheinlich betrachtet.
Schockierende Berichte, gebündelt auf mehreren hundert Seiten
Genau wie Marzuki Darusman konnte auch Michael Kirby Nordkorea bislang nicht persönlich bereisen. Der Australier Kirby stand an der Spitze der dreiköpfigen UN-Kommission, die damit beauftragt war, einen umfassenden Bericht zur Menschenrechtslage in Nordkorea und insbesondere über die Situation in den berüchtigten Straf- und Gefangenenlagern anzufertigen. 300 Augenzeugen hat das Team über einen Zeitraum von mehreren Monaten befragt, Flüchtlinge, Überlebende und auch Überläufer, die früher im Dienste der nordkoreanischen Regierung tätig waren. Da kein UN-Vertreter nach Nordkorea einreisen und sich selbst ein Bild von der Lage vor Ort machen durfte, stützt sich der Bericht allein auf diese Zeugenaussagen. Niemand weiß genau, wie viele Menschen insgesamt in den Lagern einsitzen. Jüngsten Schätzungen der UN zufolge sind es rund 120.000. Die nordkoreanische Führung allerdings leugnet standhaft, dass im Land derartige Lager überhaupt existieren.
Im Februar 2014 hatte die UN-Kommission die gebündelten Schilderungen präsentiert – ein mehrer hundert Seiten umfassendes Dokument des Grauens, das einen Einblick über das erschütternde Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea gibt. "Eine Frau hat uns beispielsweise erzählt, wie sie gezwungen wurde, ihr Baby kopfüber in einen Eimer mit Wasser zu halten, bis das Kind ertrunken war", berichtete Michael Kirby damals gegenüber der Deutschen Welle. Kirby geht davon aus, dass es auch nach dieser ersten umfangreichen Dokumentation noch immer fehlende Puzzleteile im Zusammenhang mit der Menschenrechtslage in dem abgeschotteten Land gibt. "Aber ich denke, dass unser Bild ziemlich vollständig ist. Und ganz sicher haben wir genug gesammelt, um zu zeigen, dass es in Nordkorea Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gab und gibt."
Genau deshalb fordern er und Marzuki Darusman jetzt "zielgerichtete Sanktionen". Die Weltgemeinschaft müsse ein unmissverständliches Signal senden, dass sie im Umgang mit Nordkorea zu weiteren Schritten bereit sei.