Nordkorea: Eine Bombe zum Geburtstag?
6. Januar 2017Es ist weniger eine Frage des Ob als des Wann. Dass der fünfte nordkoreanische Atomtest vom September 2016 nicht der letzte war, darüber sind sich sämtliche Beobachter einig. Allein der Zeitpunkt, wann der nächste folgt, ist wie immer unklar. Momentan allerdings kocht die Gerüchteküche. Denn es kommen gleich mehrere Faktoren zusammen, die theoretisch dafür sprechen könnten, dass das abgeschottete Land bald wieder nachlegen könnte.
Zum einen hat Machthaber Kim Jong Un am 8. Januar Geburtstag. Schon zweimal in der Vergangenheit fielen Atomtests zeitlich zusammen mit einem solchen Datum: Zuerst im Februar 2013, wenige Tage vor dem Geburtstag des gut ein Jahr zuvor verstorbenen Ex-Dikators Kim Jong Il. Und dann am 6. Januar 2016. Damals gab Nordkorea bekannt, es habe erstmals erfolgreich eine Wasserstoffbombe getestet - was international allerdings bezweifelt wird. Experten gehen vielmehr von einem "herkömmlichen" Atomtest aus.
Als weiteres Indiz für einen möglicherweise kurz bevorstehen Atomtest wird die Amtseinführung des gewählten US-Präsidenten Donald Trump am 20. Januar genannt. Auch das könnte für Kim ein willkommener Anlass sein, um mit einer gezielten Provokation Stärke zu beweisen. Und nicht zuletzt seine eigenen Worte bei einer im nordkoreanischen Staatsfernsehen ausgestrahlten Neujahrsansprache geben Anlass zu Spekulationen. "Wir sind in der Endphase der Vorbereitung für einen Interkontinentalraketentest", so Kim. Sein Land sei zu einer "Militärmacht des Ostens" aufgestiegen, die sich nicht einmal der stärkste Feind anzugreifen trauen würde.
Alles Kaffeesatzleserei?
Die Gemengelage beschäftigt nicht nur Nordkorea-Experten, sondern auch regelmäßig die Presse. Ganz besonders natürlich in Südkorea. "Wer kann Nordkorea unter Kontrolle halten" - fragte schon Ende Dezember der Kommentator der Tageszeitung Chosun Ilbo. Und vermutet, Nordkorea könne das politische Chaos im Süden als Gelegenheit für weitere Provokationen ausnutzen. Ein solches Szenario wäre für den verfeindeten Nachbarn zum derzeitigen Zeitpunkt besonders brisant. "Was wird Seoul tun, wenn der Norden in den kommenden Monaten neue Atomtest durchführt? Die momentane Übergangsregierung ist nicht in der Lage, mit so einer Situation fertig zu werden."
Und die Korea Times stellte nach der Neujahrsansprache Kim Jong Uns bereits konkret die Frage, welche internationalen Reaktionen ein weiterer Atomtest nach sich ziehen würde. "Sagen wir mal: In der ersten Woche nach Amtseinführung von US-Präsident Trump fliegt eine nordkoreanische Langstreckenrakete über Japan und landet in der Nähe der kalifornischen Küste oder auf auf Hawaii." Dann gibt es nach Auffassung des Kommentators vier Möglichkeiten: eine militärische Reaktion, neue rhetorische Verurteilungen, Beschwichtigungspolitik oder nichts von alledem. "Die richtige Antwort, zumindest für den Moment, ist Nr. 4. Die ersten drei Strategien sind gescheitert, weil sie ohne einen Plan für das große Ganze ausprobiert wurden. Nr. 4 sollte uns Zeit geben, die Ziele unserer Nordkorea-Strategie zurückzusetzen und eine Skizze zu entwerfen, wie wir sie erreichen können."
Vorsicht ist geboten
In Südkorea wird allerdings auch vor einer alarmistischen Stimmung gewarnt. Cha Du-Hyeogn war in der Regierung des ehemaligen südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-Bak zuständig für den Bereich Kriseninformation. Er versucht zu beschwichtigen und schreibt in einem Gastbeitrag für das Internet-Portal NK News: "Zu denken, dass Nordkorea bald eine weitere interkontinentale ballistische Rakete starten wird, ist gewissermaßen eine aufgezwungene Interpretation." Kims Bemerkung habe inhaltlich im Zusammenhang mit den militärischen Errungenschaften des Jahres 2016 gestanden und sei nicht zwangsläufig eine Zukunftsprognose. "Wir dürfen nicht vergessen, dass es im Jahr 2016 so war, dass Nordkorea eine Reihe von Raketentests und auch zwei Atomtests durchgeführt hat - das Thema aber in der Neujahrsansprache zu 2016 kaum eine Rolle gespielt hat."
Und für Sungtae Park, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim US-amerikanischen Council on Foreign Relations, wird auch die künftige Strategie der neuen US-Administration eine ganze entscheidende Rolle spielen, wie es mit Nordkorea weitergeht. Vier zentrale Fragen sind dabei seiner Meinung nach besonders interessant, schreibt Park in einem Text für den "Diplomat": "Welchen Stellenwert nimmt Nordkorea auf der Prioritätenliste der Trump-Administration ein? Und ist die Regierung darauf vorbereitet, darauf fokussiert zu bleiben und sich nicht ablenken zu lassen?" Bisher sei noch jede US-Regierung, die mit dem Problem des nordkoreanischen Atomprogramms konfrontiert war, durch andere Ereignisse und Entwicklungen abgelenkt worden, beispielsweise durch den Kampf gegen den Terrorismus nach dem 11. September 2001 oder dem Fokus auf den Nahen Osten und Russland in den vergangenen Jahren.
"Sollte es so kommen, dass Nordkorea zur außenpolitischen Top-Priorität wird: Ist die Trump-Regierung bereit, durch hartes Durchgreifen eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zu China zu riskieren?" Sanktionen gegenüber dem Land würden niemals greifen, wenn China nicht strikt mitziehe. Doch das ist seiner Meinung nach unwahrscheinlich. "Die dritte Frage lautet: Ist die Trump-Administration willens, wenn nötig auch militärische Gewalt einzusetzen, um das nordkoreanische Atom-Arsenal zu zerstören oder zumindest drastisch zu schwächen? Und viertens: Sind die USA bereit, einen Top-Unterhändler nach Nordkorea zu entsenden, der sich ohne Vorbedingung mit Kim Jong Un zu Gesprächen treffen würde?" Das wäre aus Sicht des Wissenschaftlers die einzige Möglichkeit, neuen Raum für Diplomatie zu schaffen.
Die Frage nach einem generellen Strategiewechsel
Einen ganz neuen Ansatz im Umgang mit dem isolierten Land fordert auch Nordkorea-Experte Rüdiger Frank. Im Gespräch mit der DW nach dem bislang letzten Atomtest vom September vergangenen Jahres wirft der Professor für Ostasienkunde an der Uni Wien der Internationalen Gemeinschaft ein "kolossales Scheitern" vor mit ihren Versuchen, Nordkorea davon abzubringen, weiter Atomwaffen zu entwickeln. "Wir haben gesehen, wie die Sanktionsschraube - sowohl diplomatisch als auch wirtschaftlich - immer stärker angezogen wurde. Speziell im März 2016 gab es die bislang härtesten Sanktionen, die nahezu den kompletten Außenhandel Nordkoreas betroffen haben. Und trotzdem macht Nordkorea weiter." Daraus könne man nur die Schlussfolgerung ziehen, dass die Linie seit dem ersten Atomtest 2006 insgesamt falsch war. "Wenn wir so weitermachen, müssen wir uns nicht wundern, wenn es den sechsten, siebten und achten Test gibt."
Ob ein solcher sechster Test unmittelbar bevorsteht und ob Nordkorea die derzeitige herrschende innenpolitische Übergangsphase sowohl in den USA als auch in Südkorea nutzt, um einmal mehr eine ballistische Rakete zu zünden, das vermag zurzeit niemand vorherzusehen. Am Sonntag jedenfalls feiert der junge Machthaber seinen Geburtstag. Der wie vielte es genau ist, ist ebenfalls nicht bekannt - ein weiteres Fragezeichen im Zusammenhang mit Nordkorea.