Nordkorea-Diplomatie nach jüngstem Raketenstart
29. November 2017Es war ein gewaltiger Knall mit Ansage: Bereits Anfang Januar 2017 hatte Kim Jong Un angekündigt, sein Interkontinentalprogramm bis zum Jahresende vervollständigen zu wollen. Knapp zwölf Monate später scheint der Diktator sein Ziel nun erreicht zu haben. Die Hwasong-15 (im Bild die Baureihe 14) flog in den Nachtstunden auf Dienstag in einem 4500 Kilometer hohen Bogen ins Japanische Meer. Bei einer herkömmlichen Flugkurve hätte die Interkontinentalrakete damit eine genügend große Reichweite, um jeden Winkel des US-Festlandes ins Visier nehmen zu können.
Dementsprechend besorgniserregend wurde der Raketentest in Übersee aufgenommen. Besonders hervor getan hat sich der republikanische Senator von South Carolina: Lindsay Graham sprach in einem Fernsehinterview mit CNN davon, dass man momentan auf einen Krieg mit Nordkorea zusteuere. Als der Moderator entgegenhielt, dass dieses Szenario Hunderttausende, möglicherweise Millionen an Menschenleben in Nordostasien gefährden würde, entgegnete der Senator stoisch: "Der US-Präsident muss sich nun mal zwischen der Sicherheit des US-Heimatlandes und der regionalen Stabilität entscheiden".
Südkoreas Militär zeigte sich vorbereitet
Südkoreas Präsident Moon Jae In machte in einer Stellungnahme jedoch deutlich, dass die US-Regierung Gedankenspiele über einen möglichen Erstschlag gegen Nordkorea unterlassen solle. Gleichzeitig befürwortet Moon - in Abstimmung mit Tokio und Washington – stärkere Sanktionen gegen Pjöngjang. Nur wenige Minuten nach dem Start der nordkoreanischen Hwaseong-15 feuerte zudem das südkoreanische Militär ebenfalls drei Flugkörper in Richtung Japanisches Meer ab – ein klares Zeichen, dass Nordkoreas Provokation seinen Nachbarn diesmal keinesfalls unvorbereitet traf.
Unter progressiven Nordkorea-Experten wird unterdessen vielfach die Auffassung geteilt, dass in der derzeit angespannten Situation diplomatische Annäherungen wichtiger denn je seien. "Ich glaube, dass Nordkorea nun vorerst zur Ruhe kommen wird", sagt Andray Abrahamian, Forscher an der japanischen Haneda Universität. Einerseits habe Kim Jong Un schließlich selbst verkündet, dass er mit dem Interkontinentalraketentest von Dienstag sein Ziel eines Nuklearstaats erreicht habe. Es liege also nahe, dass in nächster Zukunft keine weiteren Raketentests unmittelbar bevorstehen. Statistiken stützen diese These: Nordkorea hat seit 1984 in den Dezembermonaten bis dato nur zwei Raketen abgefeuert, in den Januarmonaten desselben Zeitraums nur eine.
"Nordkorea könnte nun, da es von einer Position der Stärke agiert, bereit für Verhandlungen sein", sagt Abrahamian. Auch Donald Trump hat in der Vergangenheit zumindest durchschimmern lassen, dass er für direkte Gespräche ohne Vorbedingungen mit Kim Jong Un prinzipiell offen wäre. Immerhin hat Trump sich bislang in seiner Reaktion auf Nordkoreas Atomtest auffällig zurückgehalten.
Sportdiplomatie bei Olympiade?
"Wir müssen unbedingt etwas tun, damit sich die Situation nicht verschlimmert", meint auch Hwang Jae-ho, der das Institut für Internationale Beziehungen der Hankuk Fremdsprachenuniversität in Seoul leitet. Professor Hwangs Hoffnung ruht auf den bevorstehenden Olympischen Winterspielen in Pyeongchang: Sollte Nordkorea Athleten zur Teilnahme nach Südkorea schicken, würde sich ein geeigneter Rahmen für erste Annäherungen bieten.
Laut Hwang wäre die realistischste Lösung ein bereits von China vorgeschlagenes "Double freeze"-Abkommen, wonach Nordkorea sein Atomprogramm einfriert, während Südkorea seine halbjährlichen Militärübungen mit den Amerikanern einstellt oder deutlich reduziert. Dabei würde sich das Regime in Pjöngjang einen solchen Deal sicherlich teuer bezahlen lassen – durch regelmäßige Öllieferungen oder Entschädigungszahlungen der USA für den offiziell noch immer nicht beendeten Koreakrieg.
Damit wäre die internationale Gemeinschaft am selben Punkt angelangt, an dem man bereits Mitte der 90er Jahre mit dem fragilen Atomabkommen zwischen Bill Clinton und Nordkoreas Staatsgründer Kim Il Sung war. "Diese Lösung ist sicher nicht optimal. Aber welche Optionen haben wir sonst?", meint Hwang.