Kurden wollen Unabhängigkeit um jeden Preis
25. September 2017Angesichts der umstrittenen Abstimmung der Kurden im Nordirak über eine Unabhängigkeit befürchtet nicht nur der UN-Generalsekretär "möglicherweise destabilisierende Folgen" und neue Spannungen. Er respektiere die Souveränität, territoriale Integrität und Einheit des Irak, ließ António Guterres in New York mitteilen. Alle Konflikte zwischen Iraks Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung sollten durch "strukturierten Dialog und konstruktiven Kompromiss" gelöst werden.
Im Nordirak hatten die Kurden am Montag trotz heftigen Widerstands der Zentralregierung und der Nachbarstaaten über ihre Unabhängigkeit abgestimmt. Vor den Wahllokalen bildeten sich teilweise Schlangen. Bei dem Referendum zeichnet sich eine überwältigende Mehrheit für die Unabhängigkeit ab. Die Wahlkommission in Erbil rechnet nach ersten Auszählungen damit, dass mehr als 90 Prozent der Wähler mit Ja gestimmt haben. Die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 72 Prozent, wie die Kommission mitteilte. Das endgültige Ergebnis will sie innerhalb von drei Tagen verkünden. Das Referendum ist jedoch rechtlich nicht bindend.
Ergebnisse binnen drei Tagen
In Erbil, der Hauptstadt der Kurden im Irak, feierten Menschen auf der Straße, obwohl noch keine offiziellen Ergebnisse vorlagen. Gegen das Referendum gibt es jedoch im In- und Ausland starken Widerstand. Die irakische Zentralregierung erklärte, es sei nicht verfassungsgemäß. Vize-Präsident Nuri al-Maliki sagte, "das Referendum sei eine Kriegserklärung an die Einheit des irakischen Volks".
Ausgangssperre in Kirkuk
Wegen des Referendums im Nordirak verhängten die Behörden eine Ausgangssperre in der Stadt Kirkuk. Obwohl Kirkuk nicht zur kurdischen Autonomieregion gehört, hatte der Gouverneur der Provinz Kirkuk die Abhaltung des Referendums in der Provinz erlaubt. Das irakische Parlament forderte daraufhin die Zentralregierung auf, Truppen in die umstrittenen Gebiete zu schicken, die von den Kurden kontrolliert werden. Dazu gehört die Provinz Kirkuk sowie Teile der Provinzen Ninive, Dijala und Salaheddin. Die meisten Gebiete wurden im Zuge des Kampfes gegen die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) von den Kurden besetzt. Die Entsendung irakischer Militärverbände würde nach Ansicht von Beobachtern einer Kriegserklärung an die Kurden gleichkommen. Bereits im Vorfeld des Volksentscheids war gewarnt worden, dass das Votum über die Abspaltung der Kurden einen Bürgerkrieg auslösen könnte.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte damit, den kurdischen Ölexport zu unterbinden, sowie mit einer militärischen Intervention im Nordirak nach dem Vorbild des türkischen Einmarsches in Syrien. Das Referendum nannte er "null und nichtig". Die Türkei werde das Ergebnis der "illegalen" Volksabstimmung nicht anerkennen. Erdogan drohte, die Grenze zur Kurdenregion komplett zu schließen. Kurz zuvor hatte das Außenministerium türkische Bürger in der nordirakischen Kurdenregion zur Ausreise aufgerufen und eine Reisewarnung ausgesprochen.
Das Nachbarland Iran schloss nach dem Luftraum nach offiziellen Angaben auch die Landgrenze zu den Kurden-Gebieten. Allerdings gab es unterschiedliche Berichte dazu, ob ein Grenzübergang weiterhin geöffnet blieb. Die Türkei und der Iran fürchten Auswirkungen auf die Autonomiebestrebungen ihrer eigenen kurdischen Minderheiten und lehnen das Referendum deswegen strikt ab.
Die USA als wichtiger Verbündeter der Kurden hatten sich im Vorfeld ebenfalls gegen das Referendum ausgesprochen, weil sie den Kampf gegen die Terrormiliz IS gefährdet sehen. Für diesen erhalten die Kurden auch militärische Hilfe aus Deutschland. Inzwischen zeigte sich ein Sprecher des amerikanischen Außenministeriums tief enttäuscht über die Abhaltung des Referendum. Dieses werde in der Region die "Instabilität vergrößern".
Sehnsucht nach Unabhängigkeit
Für viele Kurden würde sich mit der Unabhängigkeit ein langgehegter Traum erfüllen. Sie verweisen darauf, dass sie lange von der Zentralregierung unterdrückt und bekämpft worden seien. Vor allem der Giftgasangriff in dem Ort Halabdscha und die Tötung Zehntausender Menschen im Nordirak unter Ex-Langzeitherrscher Saddam Hussein haben sich in das kollektive Gedächtnis der Kurden eingebrannt. "Wir als Kurden haben unter Unterdrückung gelebt", sagte der 64 Jahre alte Abdullah Salih nach der Abstimmung in einem Wahllokal in Erbil. "Es hat mich glücklich gemacht, meine Stimme abzugeben." Auch der 52 Jahre Christ Khalil Sarioka Martani unterstützt die Unabhängigkeit: "Niemand hat uns Christen den Schutz und die Rechte gegeben wie die Kurden."
kle/qu (dpa, afp, rtre)