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Kemfert: Nord Stream 2 wird nicht gebraucht

25. März 2021

Die umstrittene Gaspipeline sei unnötig, sagt Professorin Claudia Kemfert, die auch die Bundesregierung berät. Für das Pariser Klimaziel brauche es einen "Erdgasausstieg bis spätestens 2038", so Kemfert im DW-Interview.

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Professor Claudia Kemfert in Rostock
Die bekannteste Energieexpertin in Deutschland: Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Bild: picture-alliance/ZB/B. Wüstneck

DW: Frau Kemfert, Ihr DIW-Gutachten kommt zu dem Schluss, dass Nord Stream 2 besser nicht fertiggestellt werden soll. Warum?

Claudia Kemfert: Unsere Studien belegen, dass, wenn die Klimaschutzziele umgesetzt werden, der Gasbedarf abnehmen wird. Die Pipeline ist energiewirtschaftlich unnötig, teuer und widerspricht den Zielen der Energiewende, des Klimaschutzes sowie der Diversifikation der Erdgasbezüge. Man hätte das Projekt nie beginnen sollen.

Beim Kohleausstieg wird Erdgas häufig als sogenannte Brückentechnologie bezeichnet. Was ist daran falsch?

Wenn wir die Klimaziele ernsthaft erreichen wollen, brauchen wir einen Erdgasausstieg bis spätestens 2038, also parallel zum Kohleausstieg. Gas ist keine Brücke ins Nichts. Statt Brückentechnologien brauchen wir Zukunftstechnologien, nämlich erneuerbare Energien.

Infografik Stromkosten in Europa mit verschiedenen Technologien Solar, Wind, Gas, Kohle, Kernkraft

Erdgas ist in etwa so klimachädlich wie Kohle. Warum?

Gaskraftwerke verursachen zwar weniger CO2-Emissionen als Kohlekraftwerke. Das ist aber nur die halbe Geschichte. Beim Erdgas sind es auch Förderung und Transport, die die Klimabilanz verschlechtern. Das Problem heißt hier nicht Kohlendioxid, sondern Methan. Bei der Förderung entweicht ein Teil davon einfach in die Atmosphäre. Aber auch beim Transport gibt es Methanaustritte, an den Pipeline-Ventilen und durch Lecks. Dieser Effekt ist lange unterschätzt worden, auch weil er schwer zu messen ist.

Warum wird über das Klimaproblem von Erdgas bislang so wenig gesprochen?

In der Öffentlichkeit ist es gelungen, Erdgas als "klimafreundlich" darzustellen, auch einige Umweltverbände haben in der Vergangenheit oftmals zu wenig auf die schlechte Klimabilanz insbesondere bei Förderung und Transport verwiesen. Es stimmt ja, dass die Verbrennung von fossilem Erdgas weniger Emissionen verursacht als die Verbrennung von Kohle. Vor 15 Jahren war dies auch die bessere Wahl. Heute nicht mehr, da die Emissionen aufgrund von unzureichendem Klimaschutz nun sehr schnell massiv sinken müssen.

Infografik CO2-Ausstoß: Wie müssen die Emissionen für das Klimaziel sinken?

Sie sagen, dass der Ausstieg aus Erdgas und Kohle bis spätestens 2038 vollzogen sein muss. Was bedeutet dies für das Ausbautempo der Erneuerbaren in Deutschland und Europa?  

Das Ausbautempo der erneuerbaren Energien muss sich in demselben Zeitraum mindestens verdreifachen, um auf den richtigen Pfad der Vollversorgung mit erneuerbaren Energien zu kommen.

Ist das zu stemmen?

Natürlich, es ist nicht nur ökonomisch zu stemmen, sondern in enormem Maße lohnend! Erneuerbare Energien werden immer preiswerter. Investitionen schaffen Wertschöpfung und Arbeitsplätze und sind somit volkswirtschaftlich lohnend.

Die kompletten Systemkosten einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien inklusive Flexibilität, Digitalisierung und Speicher sind deutlich geringer als die des fossil-atomaren Energiesystems.

Zudem werden Umwelt- und Klimaschäden vermieden, Abhängigkeiten von Importen und damit negative Schocks vermindert, die Resilienz des Energiesystems und damit die dezentrale Versorgungssicherheit gestärkt.

Wie kann man sich diesen Übergang vorstellen?

Wir befinden uns am Beginn der zweiten Phase der notwendigen Energiesystemwende hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien: Erneuerbare Energien übernehmen mehr und mehr Energiesystemverantwortungen.

Es beginnt die sogenannte Sektorenkopplung, in der Ökostrom vermehrt zur Elektromobilität auf der Schiene und Straße sowie im Gebäudesektor durch Wärmepumpen eingesetzt wird. Dezentralität, Digitalisierung, Flexibilisierung und Speicherungsoptionen schaffen Technologieinnovationen und jede Menge neue Jobs. Ein auf erneuerbaren Energien basierendes Energiesystem ist deutlich beschäftigungsintensiver als das konventionelle.

Infografik Erdgasbezugsquellen in Deutschland 2019: Russland, Norwegen, Niederlande und übriges Europa

Beim Streit um Nord Stream 2 haben USA und Russland ganz andere Interessen. Worum geht es?

Die USA werden weiter massiven Druck machen, Nord Stream 2 nicht in Betrieb zu nehmen. Sie wollen allerdings ihr eigenes Flüssiggas, Frackinggas nach Europa verkaufen. Russland ist darauf angewiesen, Gas nach Europa zu verkaufen. Russland will aber auch den Transport durch die Ukraine umgehen. Die Hauptursache sind geostrategische Streitigkeiten.

Wird Nord Stream 2 noch in Betrieb gehen?

Die Wahrscheinlichkeit schwindet mehr und mehr. Selbst wenn sie in Betrieb gehen sollte, ist fraglich, ob das Gas jemals wie geplant transportiert werden wird.

Fridays for Future Demonstration in Köln. Ein Mann hält ein Plakat mit der Aufschrift:  #Gas Exit
Ausstieg aus Erdgas für das Pariser Klimaziel: Demonstration von Fridays for Future in Köln 2021 Bild: Gero Rueter/DW

Auch die Klimabewegung macht nun Druck. Welche Dynamik erwarten Sie hier?

Die Klimabewegungen weisen zu Recht darauf hin, dass neue fossile Infrastrukturen nicht kompatibel sind mit den Klimabeschlüssen. Europa darf im Rahmen der vereinbarten EU-Taxonomie nicht zulassen, dass künftig zusätzliche und überflüssige fossile Infrastrukturen finanziell gefördert werden.

Bei der EU-Taxonomie sollen Unternehmen berichten, wie nachhaltig sie sind und auch um die finanzielle Förderung von neuen Projekten soll es gehen. Welche Möglichkeiten hat hier die EU?

Die EU muss für Transparenz finanzieller Risiken durch fossile Energien und den dadurch forcierten Klimawandel sorgen. Aufgrund des Klimaschutzes erfährt fossiles Kapital eine zunehmende Abwertung.

Um eine Finanzkrise zu vermeiden, wo eine Art "Carbon Bad Bank" toxisches fossiles Kapital mit Steuergeldern aufkaufen muss, muss rechtzeitig Transparenz geschaffen und umgesteuert werden. Und: die ESG Kriterien [Standard für nachhaltige Anlagen] müssen insbesondere für die Finanzierung der Transformation streng und verbindlich sein. Atomenergie ist weder nachhaltig noch umweltschonend. Klimaschutz erfordert den Rück- nicht den Zubau neuer fossiler Infrastrukturen.

Wie viel Erdgas wird Europa 2030 im Vergleich zu heute noch verbrauchen? 

Wenn die Pariser Klimaziele ernsthaft umgesetzt werden, wird sich der heutige Gasverbrauch halbiert haben müssen. Ob dies gelingt, hängt entscheidend davon ab, ob die Ausbaubarrieren für erneuerbare Energien abgebaut werden, und insbesondere im Gebäudebereich die umfassende energetische Sanierung zur deutlichen Senkung des Erdgasbedarfs führen wird.

Prof. Claudia Kemfert ist Wissenschaftlerin für Energie- und Klimaökonomie. Sie leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Sie ist eine mehrfach ausgezeichnete Spitzenforscherin, Ko-Vorsitzende im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) und im Präsidium der deutschen Gesellschaft des Club of Rome.

Das Interview führte Gero Rueter.

Rueter Gero Kommentarbild App
Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion
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