Fünf Jahre Pariser Klimaabkommen - eine Bilanz
11. Dezember 2020195 Länder dazu zu bringen, sich auf einen gemeinsamen Plan zur Bewältigung der Klimakrise zu einigen, war keine leichte Aufgabe. Die Verhandlungen auf der UN-Klimakonferenz Ende 2015 zogen sich hin, gingen in die Verlängerung und drohten sogar zu scheitern - konkurrierende Interessen kämpften um Einfluss.
Und doch, es gelang. Am 12. Dezember 2015 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der Welt ein Abkommen, das allerseits als Durchbruch gefeiert wurde. Die Mächtigen der Welt verpflichteten sich, die globale Erwärmung unseres Planeten auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen.
Jubel über das Klimaabkommen 2015
"Es war wirklich ein bewegender Moment. Die Menschen weinten buchstäblich vor Freude in den Gängen, Menschen aus der ganzen Welt umarmten sich", erinnert sich Rachel Cleetus, Direktorin für Klima- und Energiepolitik bei der US-Organisation Union of Concerned Scientists, die zu diesem Zeitpunkt in Paris war. "Alle waren voller Anerkennung, dass Länder sich tatsächlich über ihre Eigeninteressen erheben und für das globale Gemeinwohl arbeiten können."
Fünf Jahre später sollte die Klimakonferenz 2020 in Glasgow die Ambitionen des Pariser Abkommens vorantreiben, den Ländern helfen, Netto-Null-Emissionsstrategien zu verabschieden und Initiativen zu entwickeln, um die Auswirkungen der Klimakatastrophe zu mildern. Es sollte "ein entscheidendes Jahr dafür werden, wie wir den Klimawandel angehen", sagte UN-Generalsekretär Antonio Guterres im März.
CO2-Emissionen steigen weiter
Doch die weltweite Corona-Pandemie machte dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Die Konferenz in Glasgow wurde abgesagt, stattdessen eine verkleinerte virtuelle Veranstaltung angesetzt.
Die Prioritäten verschoben sich. Nun kämpften die Nationen darum, ihre Volkswirtschaften zu stabilisieren. Und die Treibhausgasemissionen steigen weiter an - trotz einer kurzen Abschwächung Anfang des Jahres, die dem Herunterfahren des öffentlichen Lebens zur Eindämmung der Pandemie geschuldet war.
Erfahren Sie mehr: Globale Erwärmung steuert auf mehr als drei Grad zu
"Damals, im Jahr 2015, gab es viel Hoffnung, dass dies ein echter Wendepunkt sein würde, aber wir haben es nicht geschafft, die globale Emissionskurve nach unten zu biegen", konstatiert Cleetus. "Und in der Zwischenzeit beobachten wir, wie sich die Klimaauswirkungen um uns herum auf erschreckende Weise entfalten."
Kein Staat tut genug fürs Klima
Der jüngste Climate Change Performance Index (Klimawandel-Leistungsindex), der die Klimaschutzleistung jener 57 Länder bewertet, die zusammen mit der EU für 90 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind, ergab: Kein Land tut genug, um die gefährliche Erderwärmung in Schach zu halten. Und laut dem Emissions Gap Report (Emissionslücken-Bericht), der diese Woche vom UN-Umweltprogramm veröffentlicht wurde, ist die Welt immer noch auf dem besten Weg zu einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf über 3 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts.
"Wir haben das Versprechen von Paris eindeutig nicht eingelöst", so Cleetus. "Aber das liegt nicht etwa am Abkommen selbst. Das ist nach wie vor ein sehr mächtiges Rahmenwerk und zeigt, wo wir hin müssen. Aber was gefehlt hat, sind Taten."
Schritte in Richtung 1,5-Grad-Ziel
Einige Experten glauben dennoch, dass die Welt noch die Kurve kriegen kann. Die jüngsten Zusagen der größten Kohlenstoffemittenten der Welt hätten das Pariser Ziel, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, in "erreichbare Distanz" gebracht, so die jüngste Einschätzung im Climate Action Tracker (CAT), einer unabhängigen wissenschaftlichen Analyse zweier deutscher Forschungsorganisationen.
"Es ist klar, dass das Pariser Abkommen den Klimaschutz vorantreibt", heißt es Anfang dieser Woche in einer Erklärung im CAT. Der Übergang zu einer Null-Emissions-Gesellschaft sei im Gange, dennoch brauche es höhere Ziele für 2030 und detaillierte Pläne, um sicherzustellen, dass diese Ziele tatsächlich erfüllt werden.Das neue Klimaziel, dass die EU-Staats- und Regierungschefs diese Woche in Brüssel verabschiedeten, ist so ein Schritt in diese Richtung. Nach monatelangen zähen Verhandlungen einigten sich die 27 Mitgliedsstaaten verbindlich darauf, die Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken.
Klimawandel als Priorität auf der globalen Agenda
"Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem der Klimawandel nun fest als oberste Priorität auf der globalen Agenda verankert ist", so Wissenschaftlerin Cleetus. "Er wird jetzt als wirtschaftliche Bedrohung gesehen, zusätzlich zu der Bedrohung für den Planeten und die Ökosysteme."
Das Pariser Klimaabkommen habe den Rahmen für den Übergang zu einer Netto-Null-Wirtschaft gesetzt und das habe sowohl die Politik als auch die Wirtschaft zu Zugeständnissen bewegt.
Erfahren Sie mehr: Wie viel Erneuerbare braucht Deutschland?
Mehr als 110 Länder haben sich mittlerweile verpflichtet, bis zur Mitte des Jahrhunderts kohlenstoffneutral zu wirtschaften, darunter große CO2-Emittenten wie die Europäische Union, Japan, Südkorea und Großbritannien. China, der größte Umweltverschmutzer der Welt, verpflichtete sich, das Ziel bis 2060 zu erreichen, während die USA unter der künftigen Regierung von Joe Biden planen, dem Pariser Abkommen wieder beizutreten und bis 2050 auf Netto-Null-CO2-Emissionen zu kommen.
"Dies sind enorm wichtige Ankündigungen und ich denke, sie können zum Teil und ganz zentral auf die Architektur des Pariser Abkommens zurückgeführt werden", meint Damon Jones, Leiter des Bereichs Klimadiplomatie am gemeinnützigen Politikinstitut Climate Analytics in Köln.
Klimafolgen-Finanzierung bleibt ein Knackpunkt
Aber sowohl Cleetus als auch Jones betonten, dass die internationale Gemeinschaft besonders in einem Punkt noch einen weiten Weg vor sich hat: bei der Zusage, die Staaten der Welt zu unterstützen, die mit den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels am meisten zu kämpfen haben.
"Diese Auswirkungen werden von Tag zu Tag schlimmer, doch die Vereinigten Staaten und andere reiche Länder weigern sich, den Verlust und Schaden anzuerkennen, den sie dem Rest der Welt zufügen", kritisiert Cleetus. "Dies ist nach wie vor eine der größten Ungerechtigkeiten, die in den globalen Verhandlungen noch nicht angemessen behandelt wurde."
Ende 2019, im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Madrid, unterzeichneten mehr als 150 Nichtregierungsorganisationen einen offenen Brief, in dem sie mehr Unterstützung für die von Klimakatastrophen Betroffenen im Globalen Süden fordern. Seitdem hat sich die Situation in vielen Staaten durch die Corona-Pandemie sogar noch einmal verschlechtert.
"Das Tempo reicht nicht"
"Die Klimafinanzierung ist immer ein heikler Punkt", erklärt Jones, der als Klimaanwalt den karibischen Inselstaat St. Lucia bei den Pariser Verhandlungen beraten hat. Es seien zwar Fortschritte gemacht worden, so etwa die Zusage von 7,9 Milliarden Euro für den Grünen Klimafonds Ende 2019. Der Fonds war 2010 von den Vereinten Nationen eingerichtet worden, um Entwicklungsländern bei der Senkung ihrer Emissionen zu helfen und sie beim Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels zu unterstützen.
Aber, so fügt Jones hinzu, "das ist nicht die Größenordnung und das Tempo, das tatsächlich notwendig ist und das die betroffenen Staaten erwarten."
Mehr Klimaschutz-Bewegungen seit 2015
Länder und Gemeinden, die mit der Klimaanpassung zu kämpfen haben, sehen ihre Forderungen durch internationale Unterstützergruppen wie Extinction Rebellion oder Fridays for Future (FFF) verstärkt. Angeführt von einer Generation politisch engagierter Jugendlicher, die die Hauptlast des Klimawandels tragen werden, haben diese Gruppen die dringende Klimabotschaft des Pariser Abkommens aufgegriffen und erleben seitdem großen Zulauf.
"Beim Pariser Abkommen haben wir zum ersten Mal gesehen, dass die globale Klimabewegung ihre Macht wirklich ausspielt", berichtet Cleetus. Erst auf Drängen von bedrohten Inselnationen und Umweltschutzgruppen habe das 1,5-Grad-Ziel in das Abkommen Einzug gehalten.
Fridays for Future rund um den Globus
Diese Woche feierte die deutsche Sektion von Fridays for Future ihr zweijähriges Bestehen. Die 18-jährige Lina Gobbelé ist Sprecherin der FFF-Ortsgruppe Aachen. In den vergangenen fünf Jahren, berichtet Gobbelé im Gespräch mit der DW, habe die Klimabewegung wirklich begonnen, in der Gesellschaft Fuß zu fassen - "besonders im Jahr 2019."
Das war das Jahr, in dem sich Greta Thunbergs Klima-Schulstreiks und -Demonstrationen von Schweden aus um die ganze Welt ausbreiteten und immer mehr Unterstützung von anderen Umweltschutzgruppen erhielten. Bei der globalen Klima-Aktionswoche im September 2019 nahmen schätzungsweise sechs Millionen Menschen in mehr als 150 Ländern teil. Sie forderten Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, zur Beseitigung sozialer Ungleichheit und zum Aufbau einer gerechteren Weltwirtschaft. "Am 20. September waren unglaublich viele Menschen mit uns auf der Straße", erinnert sich Gobbelé.
Den Wiederaufbau nach Corona fürs Klima nutzen
Trotz der Rückschläge durch politisches Nicht-Handeln und die Corona-Pandemie sollten sich Klimaaktivisten die große Errungenschaft des Abkommens von 2015 vor Augen halten, meint Rachel Cleetus. "Wir müssen uns an diesen Moment erinnern, und daran, was nötig war, um das überhaupt zu erreichen. Und auch jetzt in der Pandemie befinden wir uns wieder in so einem entscheidenden Moment", mahnt sie. Denn gerade der Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Corona-Pandemie biete eine perfekte Gelegenheit, um den Wechsel in eine kohlenstoffarme Zukunft zu vollziehen.
Dies könnte gelingen, wenn sich die großen Emittenten wie die USA, die EU, China und andere im Vorfeld der nächsten Welt-Klimakonferenz 2021 in Glasgow zu einer "Koalition der Willigen" zusammenschließen, so Cleetus. "Sie müssen sehr ehrgeizige Verpflichtungen bezüglich Emissionsreduzierungen auf den Tisch legen und die Maßnahmen zu Hause umzusetzen."
Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk