UN: "Eklatant unzureichende" Klimapolitik
9. Dezember 2020Staats- und Regierungschefs könnten mit grünen Wirtschaftsprogrammen die Corona-Pandemie nutzen, um Treibhausgasemissionen um 25% zu senken. Dies geht aus einem neuen Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) hervor.
Bisher ist aber genau das Gegenteil der Fall. Hatte man sich vor fünf Jahren noch auf Ziele zum Schutz des Klimas und der Menschen geeinigt, hat die Politik seitdem vor allem Entscheidungen getroffen, die diese Ziele in weitere Ferne rücken lässt. Durch die Verbrennung fossiler Energieträger und der Rodung von Regenwäldern sind Staaten dabei die Erde noch in diesem Jahrhundert um 3,2 Grad Celsius zu erwärmen – trotz der Selbstverpflichtung die Temperatur auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen.
Der jährlich erscheinende "Emissions Gap Report" ermittelt die "Lücke" zwischen den Zielen, zu denen sich die Staaten im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verpflichtet haben, und was sie tun müssten, damit diese auch erreicht werden.Trotz jüngster Ankündigungen großer Emittenten ihre Emissionen zu senken, bezeichnet der Bericht die konkreten Zusagen als "eklatant unzureichend".
"Die Reichen tragen die größte Verantwortung", schreibt Inger Andersen Chefin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Die reichsten 1%, die mehr als doppelt so viele Emissionen ausstoßen als die arme Hälfte der Weltbevölkerung, "müssen ihren [ökologischen] Fußabdruck um das 30-Fache verringern, wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden sollen."
Pandemie nur Momentaufnahme
Laut Bericht wird die coronabedingte Drosselung der Wirtschaft, des Verkehrs und Konsums dazu beitragen, dass in diesem Jahr 7% weniger Treibhausgase ausgestoßen werden. Langfristig wird das Coronavirus den Regierungen aber kaum dabei helfen, ihre Klimaziele zu erreichen. Es sei denn, sie setzen auf grüne Konjunkturpakete.
Mit der Schaffung von Arbeitsplätzen in grünen Sektoren, Investitionen in grüne Infrastruktur und klimafreundlicher Richtlinien, könnten die Emissionen der Weltgemeinschaft bis 2030 um ein Viertel reduziert werden, so der Bericht. Als Lösungen werden ein Ende der Subventionen für fossile Brennstoffe, das Verbot neuer Kohlekraftwerke und die Aufforstung abgeholzter Landschaften vorgeschlagen.
Im Bericht heißt es allerdings, dass die meisten reichen Länder stattdessen einen "Status quo mit hohen Emissionen" befürworten würden, bei dem einige Staaten auch weiterhin in fossile Brennstoffe investieren.
"Man hat den Eindruck gewonnen, dass es uns gut ging und wir uns in die richtige Richtung bewegen, weil wir zu Hause festsaßen und nicht reisen konnten", sagte Martina Caretta Assistenzprofessorin für Geographie an der West Virginia University und Co-Autorin des Berichts. "Aber die Wahrheit ist, dass es sich nur um eine Momentaufnahme handelt", so Caretta.
Der Bericht fordert entschiedeneres Handeln bei Flug- und Schiffsverkehr, da die Branchen schon heute zusammen für 5% der weltweiten Treibhausgasemissionen stehen - Tendenz steigend. Etwa zwei Drittel dieser Emissionen sind international und entstehen zwischen einzelnen Ländern, weshalb sie nicht direkt durch nationale Klimamaßnahmen im Rahmen des Pariser Abkommens abgedeckt sind.
Zusagen zu Klimaneutralität, aber ohne Plan
Dass sich auf internationalem Niveau etwas bewegt haben die vergangen Monate gezeigt.
China, der größte CO2-Produzent der Welt, kündigte im Oktober an bis 2060 klimaneutral zu sein. Südafrika und Südkorea wollen dies schon bis 2050 erreichen, ebenso Joe Biden, der gewählte US- Präsident, der außerdem versprochen hat sein Land zurück in das Pariser Klimaabkommen zu führen.
Japan hat sich den Zielen der EU angeschlossen bis Mitte des Jahrhunderts Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Das würde bedeuten auch andere Treibhausgase wie Methan zu minimieren. Mit der Ankündigung noch in dieser Dekade seine Emissionen um 68% gegenüber 1990 zu senken, hat sich das Vereinigte Königreich vergangene Woche das ehrgeizigste kurzfristige Klimaziel aller großen Volkswirtschaften auferlegt.
Aber keine dieser Verpflichtungen wurde bisher in konkrete Klimaaktionspläne umgesetzt, die im Pariser Abkommen als "national festgelegte Beiträge" bezeichnet werden.
Schon heute hat die Verbrennung fossiler Brennstoffe die Erde um mehr als 1 Grad Celsius erwärmt. Stürme sind dadurch stärker, Hitzewellen heißer und Dürren länger geworden. Je mehr CO2 Jahr pro Jahr ausgestoßen wird, umso drastischer müssen Staaten in Zukunft ihre Emissionen senken.
2019 befanden sich bereits Treibhausgase äquivalent zu 59,1 Gigatonnen CO2 in der Atmosphäre. Die Pandemie hat den Kohlenstoff-Hahn zeitweise zugedreht und den Ausstoß von Schadstoffen verlangsamt, gestoppt hat sie ihn aber nicht.
"Sind wir auf dem Weg die Lücke zu schließen?", schreiben die Autoren. "Mit Sicherheit nicht.
"Emissionen müssen laut dem Bericht besser früher als später gesenkt werden. Denn nur so lässt sich die Menge CO2 verringern, die man sonst später wieder aus der Atmosphäre herausholen müsste. Hintergrund: Für das Erreichen des 2-Grad Ziels – ohne drastische Emissionssenkungen – bräuchte man Technologien mit negativen Emissionen, diese sind aber noch nicht im großen Maßstab verfügbar.
Die Ziele des Pariser Klimaabkommens sind weit entfernt, "um sie zu erreichen müssen Maßnahmen, in Form von Emissionssenkungen umgehend in Angriff genommen werden", sagte Alaa Al Khourdajie, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Environmental Policy des Imperial Colleges in London und Leitender Wissenschaftler des Weltklimarats (IPCC). Er war nicht an dem Bericht beteiligt.
Neue Klimapolitik auch im Privaten
Der 132-seitige Bericht untersucht auch wie unser Lebensstil klimafreundlicher gestaltet werden könnte.
Hervorgehoben wird, dass zwei Drittel der Treibhausgasemissionen durch private Haushalte verursacht werden. Einen großen Anteil daran hat das Essen von Rindfleisch, die Art und Weise, wie wir unsere Häuser heizen und das Fahren von Autos. Wer beispielsweise darauf verzichtet Fleisch zu essen verringert seinen CO2-Fußabdruck um eine halbe Tonne CO2 pro Jahr – wer sich vegan ernährt, verdoppelt den Wert sogar.
Um mehr Menschen einen klimafreundlicheren Lebensstil zu ermöglichen, schlägt der Bericht vor, Gesetze einzuführen, die Werbung für kohlenstoffintensive Nahrungsmittel beschränken, den Ausbau von klimafreundlichen Wärmepumpen in Häusern fördern und Vielflieger besteuern.
Den Klimawandel durch individuelle Entscheidungen oder durch Maßnahmen von Regierungen aufzuhalten, "wird oft als eine Abwägung zwischen zwei Möglichkeiten" dargestellt, schreiben die Autoren des "Emissions gap report". "Systemwandel und Verhaltensänderung sind jedoch zwei Seiten derselben Medaille."