Krieg der Propaganda: Japans Eintritt in den Ersten Weltkrieg
15. Juli 2014Mit Gewalt reißt ein deutscher Kämpfer einen japanischen Soldaten in die Lüfte – schmerzhaft hält ihn der Deutsche am Ohr gepackt. Den Japaner erwartet auf dieser deutschen Propagandakarte aus dem Ersten Weltkrieg ein schlimmes Schicksal: In der Hand hält der übergroße deutsche Soldat, lässig die Uniformjacke geöffnet, die Zuchtrute. Ihm zu Füßen liegen jammernd andere Gegner, die den deutschen Zorn bereits zu spüren bekommen haben: zum Beispiel Serbien und Frankreich. Nun also ist Japan an der Reihe. Entsprechend ist die Karte betitelt: "Des Deutschen Abrechnung". Dann folgt ein ebenso zynischer wie rassistischer Reim: "Heran, heran, du kleiner Jap!!! Mit deutschen Fäusten schwipp und schwapp – Eins hinters Ohr, doch nicht zu knapp!!! Dir geht es wie den andern hier, Du tückisches Mongolentier!"
Niederlage in Fernost
Damit stellte diese Feldpostkarte die wirklichen Machtverhältnisse auf den Kopf. Tatsächlich hatten die Deutschen eine verheerende Niederlage gegen das Kaiserreich Japan erlitten. Am 23. August 1914 hatte Japan dem Deutschen Reich den Krieg erklärt – und mit der Belagerung der deutschen Kolonie Kiautschou in China begonnen. 50.000 Japaner umzingelten das von etwas über 3.000 deutschen Marinesoldaten verteidigte deutsche Schutzgebiet in Fernost. Äußersten Widerstand hatte Kaiser Wilhelm II. seinen Männern in Kiautschou befohlen. Doch in auswegloser Lage musste sich der deutsche Gouverneur am 7. November 1914 den haushoch überlegenen Angreifern ergeben.
Für die Deutschen war die Eroberung Kiautschous durch Japan eine Blamage – schließlich galt ihnen die kleine chinesische Besitzung als deutsche "Musterkolonie".
Fortan rechneten die Deutschen in ihrer Propaganda mit ihrem fernöstlichen Feind ab. Als "tückisches Mongolentier" verhöhnt die obige Propagandakarte die Japaner und spricht ihnen damit gar die Menschlichkeit ab – sie werden zu Tieren degradiert. Angespielt wird zugleich auf die mongolischen Reiterheere, die vor Jahrhunderten in Europa eingefallen waren und Angst und Schrecken verbreitet hatten – nun sollten die deutschen Soldaten ihr Land und seine Besitzungen vor der "japanischen Gefahr" aus dem Osten beschützen.
Der Kaiser als Rassist
Dabei pflegten Deutsche und Japaner eigentlich ein gutes Verhältnis zueinander. Seit sich Japan 1854 nach gut zweihundertjähriger Isolation für Ausländer geöffnet hatte, orientierte sich das Land in vielen Bereichen am Beispiel Deutschland. So basiert beispielsweise das japanische Zivilrecht in weiten Teilen auf dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch. Doch bald konkurrierten die beiden Mächte Deutschland und Japan um Einfluss in Fernost. Vor allem der deutsche Kaiser Wilhelm II. trug Schuld an der deutlichen Verschlechterung der deutsch-japanischen Beziehungen.
"Auf ganz Asien aus" seien die Japaner, echauffierte sich der deutsche Kaiser 1907 beim russischen Zaren. Und fantasierte von einem Rassenkrieg: "Sie bereiten ihre Schläge sorgfältig vor, und diese werden gegen die gesamte weiße Rasse gerichtet sein". Als "Gelbe Gefahr" bezeichnete der Kaiser die Japaner und nahm damit ein weit verbreitetes Vorurteil auf. Er nannte sie abschätzig "Japsen". Den Japanern blieb die Verachtung Wilhelms II. kaum verborgen. Ihre Diplomaten behandelte er schroff und unhöflich.
Ein kaiserlicher Propagandakrieg
Höchstpersönlich führte Wilhelm II. einen Propagandakrieg gegen Japan und Ostasien. Der Kaiser erstellte 1895 eine Skizze, die ganz Europa zur Gegenwehr gegen die angebliche "Gelbe Gefahr" aufrufen sollte. Der Maler Hermann Knackfuß schuf anschließend nach der kaiserlichen Vorgabe ein Gemälde. Der Erzengel Michael, als deutscher Schutzheiliger, ruft darauf die Völker Europas zum Kampf auf gegen die Gefahr aus dem Osten. Besorgt schauen "Germania", die Personifikation Deutschlands, die "Marianne" als Verkörperung Frankreichs, und andere europäische Nationen Richtung Osten.
Dort lauert inmitten eines bedrohlichen Sturms ein gewaltiger Buddha als Symbol der "Gelben Gefahr". Über Europa schwebt in der Höhe hingegen in strahlendem Licht ein christliches Kreuz. Hier das zivilisierte Abendland, dort das finstere Asien mit seinen "gelben Horden", so teilte Wilhelm II. die Welt in Gut und Böse ein. "Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter", nannte der deutsche Herrscher dieses Bild. Kopien schickte er an Zar Nikolaus II., den Präsidenten Frankreichs und viele andere Politiker.
Japans Revanche
1914 revanchierten sich die Japaner für die erlittenen Demütigungen. Sie nahmen nicht nur Kiautschou, sondern auch deutsche Besitzungen in der Südsee ein – und verdrängten so die Deutschen aus Fernost. Damit rächten sie sich nicht nur für die antijapanische Propaganda aus Deutschland. 1895 hatten die Deutschen verhindert, dass die Japaner die chinesische Halbinsel Liaotung in Besitz nehmen konnte. Nun nahmen sie den Deutschen im Gegenzug Kiautschou weg.
Der deutsche General Karl Haushofer, der in Japan als Militärberater gedient hatte, schrieb nach dem Krieg: "In Angelegenheiten der nationalen Ehre und Sicherheit haben die Japaner ein langes Gedächtnis". Doch schon bald besserten sich die deutsch-japanischen Beziehungen wieder. Schließlich kämpften beide Länder 1941als Verbündete im Zweiten Weltkrieg – und führten gemeinsam aggressive Angriffskriege gegen ihre Nachbarstaaten.