Nigerias Präsident verweigert Lösegelder bei Entführungen
16. März 2024Die Angehörigen der mehr als 280 entführten Schulkinder in Nordwestnigeria können sich keine Hoffnung machen, dass die Regierung ein Lösegeld für deren Freilassung aufbringt: Präsident Bola Tinubu erklärte, dass "nicht ein Groschen" in Richtung der Entführer gezahlt werde - schließlich seien Lösegeldzahlungen in Nigeria im Jahr 2022 verboten worden.
Am 7. März hatten bewaffnete Männer eine Schule in Kuriga im Bundesstaat Kaduna gestürmt. In Nigeria ereignen sich Jahr für Jahr mehrere Tausend Entführungen - gerade auch von Schulkindern - mit dem Ziel, Lösegeld zu erpressen. Im aktuellen Fall fordern die Entführer umgerechnet rund 570.000 Euro für die Freilassung aller Kinder und des ebenfalls entführten Schulpersonals. Außerdem verlangen sie elf Toyota-Pickups und 150 Motorräder.
Nun stehen die örtlichen Behörden unter Zeitdruck, die Befreiung der Geiseln ohne Lösegeld zu erwirken - im Raum steht die Drohung der Entführer, sie zu ermorden. Der Gouverneur von Kaduna, Uba Sani, sagte, dass die Behörden "alles in ihrer Macht Stehende tun, um die sichere Rückkehr der Schüler zu gewährleisten".
Präsident Tinubu forderte nach Angaben von Informationsminister Mohammed Idris das Militär zum Eingreifen auf. "Der Präsident hat die Sicherheitsbehörden angewiesen, dies als dringliche Angelegenheit zu behandeln, um zu erwirken, dass die Kinder und alle Entführten sicher zurückgebracht werden", sagte Idris vor Journalisten.
Islamisten und Banditen stecken hinter Trend zu Entführungen
Die nigerianische Regierung hat mit einer schweren Wirtschaftskrise zu kämpfen. Nun kommt ein regelrechter Trend zu solchen Entführungen als politisches Problem hinzu: In den vergangenen anderthalb Wochen sind insgesamt an die 400 Menschen in Nigeria in Verbindung mit Lösegeldforderungen entführt worden, darunter 15 weitere Schüler. So ereignete sich vor wenigen Tagen eine weitere Massenentführung in Kaduna mit rund 60 Opfern.
Nigeria hat eine lange Geschichte solcher Massenentführungen. Weltweites Aufsehen erregte die Entführung von 276 Schülerinnen aus Chibok durch Anhänger der islamistischen Terrormiliz Boko Haram. Unter dem Hashtag #BringBackOurGirls machten damals ungezählte Nigerianer, aber auch internationale Stars auf den Fall aufmerksam.
Grundsätzlich gebe es zwei Typen von Entführern, sagt der Sicherheitsexperte Ryan Cummings der DW: "Die einen sind militante Islamisten, die anderen sind Banditen, die von der nigerianischen Regierung als Terroristen eingestuft werden." Cummings leitet die Analysefirma Signal Risk, die sich auf Afrika fokussiert. "Islamisten stellen oft Forderungen an die Politik als Bedingung für eine Freilassung der Geiseln - etwa, eigene Kämpfer aus dem Gefängnis zu entlassen."
Für die Banditen im westlichen und zentralen Norden Nigerias gehe es offenbar eher um Geld und in zweiter Linie auch um ihre territorialen Interessen, sagt Cummings: "Sie stellen eher finanzielle Forderungen, aber setzen Geiseln in manchen ihrer Camps auch zum Beispiel als Mittel ein, um das nigerianische Militär von Luftschlägen darauf abzubringen. Sie nutzen also Zivilisten als menschliche Schutzschilde."
Sind die Entführer verhandlungsbereit?
Trotz allem gibt es auch immer wieder Verhandlungen zwischen der Regierung und kriminellen Banden. Sheikh Ahmad Gumi, ein angesehener muslimischer Kleriker mit militärischer Erfahrung, hat sich als Vermittler angeboten - aber es gibt kaum Hoffnung auf Erfolg.
Mögliche Verhandlungen werden ohnehin kritisch gesehen, weil dies die Täter in der Folge zu noch höheren Forderungen ermutigen könnte. So sieht es zum Beispiel der nigerianische Analyst und Journalist Aliyu Othman: "Mit Banditen zu verhandeln, wird in vielen Fällen nicht unbedingt Frieden bringen. Sheikh Gumi hat das schon unter Präsident Buhari angeboten." Muhammadu Buhari stand bis vor einem Jahr an der Staatsspitze. "Sind die Entführer bereit zu Verhandlungen oder Schlichtung? Das ist die wichtige Frage hier", sagt Othman der DW.
"All unsere bisherigen Versuche sind gescheitert"
Während auch auf Regierungsseite viele einer Verhandlungslösung skeptisch gegenüberstehen, finden manche Nigerianer, Tinubus Regierung sollte im Umgang mit der Krise keine Option ausschließen. Die DW hat sich in der Hauptstadt Abuja umgehört. Eine Anwohnerin sagte, sie finde, die Regierung müsse größere Anstrengungen für die Sicherheit der Familien unternehmen, die im ganzen Land den Aktivitäten von Banditen ausgesetzt sind. "Wir wachen jeden Morgen mit einer neuen Entführungs-Nachricht auf, wenn man es am wenigsten erwartet. Und das Traurige ist, dass die Schwächsten die Opfer sind - Kinder, Frauen und ganze Familien", sagte sie.
Eine andere Frau äußerte sich resigniert: "Etwas muss passieren - denn all unsere bisherigen Versuche sind gescheitert. Alle Sicherheitsmaßnahmen, die die Regierung ergriffen hat, sind gescheitert."
Ein männlicher Bewohner der Hauptstadt sagte der DW, die Regierung müsse mehr unternehmen. "Die Attacken nehmen Überhand. Wenn wir uns fragen, wie viele Sicherheitskräfte wir vor Ort haben und wie gut sich um sie gekümmert wird, könnten wir etwas erreichen. Ich appelliere an die Regierung, die modernste Ausrüstung zu kaufen, um diesen Kriminellen das Handwerk zu legen, denn das ist der einzige Ausweg."
Korruption behindert den Kampf gegen Entführungen
Auch Sicherheitsanalyst Cummings sieht Luft nach oben im Einsatz der Behörden. "Die nigerianische Regierung muss zunächst die Ressourcen ausweiten, die den Sicherheitskräften der Bundesstaaten zur Verfügung stehen. Sie muss spezialisierte Einheiten ordentlich ausbilden, die an Anti-Kidnapping-Operationen beteiligt sind. Die meisten Mitglieder der Sicherheitskräfte sind nicht adäquat ausgerüstet - es fehlt an Munition, Nahrungsvorräten und anderen Dingen", sagt Cummings der DW.
Dazu kommt aus seiner Sicht, dass Korruption innerhalb der Sicherheitskräfte die Verteilung und effiziente Nutzung der Ressourcen behindert. "Der Staat ist nicht in der Lage, zusätzliche Ressourcen bereitzustellen. Das muss sich ändern. Die Strategie muss sich ändern."
Denn durch das Ausschließen von Lösegeldzahlungen allein wird die nigerianische Regierung die gegenwärtige Zunahme von Entführungen wohl kaum in den Griff bekommen.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.