Landkonflikt im Namen der Religion
11. Februar 2017Die Straße zwischen Kaduna und Kafanchan ist am frühen Morgen kaum befahren. Freiwillig nutzt sie ohnehin niemand: Hier kommt es immer wieder zu Überfällen. Noch besorgniserregender sind im Norden Nigerias allerdings die Ausschreitungen zwischen Viehhirten und Bauern, bei denen in den vergangenen Monaten hunderte Menschen ums Leben gekommen sind. Vereinzelt gibt es nun Polizeiposten, und in einigen Großgemeinden wurden Ausgangssperren verhängt.
Auch in Zonkwa war das der Fall. Hier lebt Emmanuel Dabish. Der Pastor der Bishara Baptist Church erinnert sich an jenen Abend, an dem die Krise auch seinen Wohnort erreichte: "Männer kamen auf Motorrädern. Sie haben auf einige Jungs geschossen und drei von ihnen umgebracht. Andere wurden verletzt und mussten ins Krankenhaus." Die Ausgangssperre, die mittlerweile gelockert wurde, sei aber keine Lösung, sagt Dabish. Immerhin: Vergeltungsangriffe hat es nicht gegeben.
Zertrampelte Äcker, zugebaute Weideflächen
Wie viele Menschen insgesamt gestorben sind, lässt sich kaum sagen. Die katholische Kirche geht von mehr als 800 Opfern aus. Die Polizei zählte 204. Diese Zahl scheint Mohammed Bello Tukur aus Kaduna realistischer. Der Rechtsanwalt und Generalsekretär von CORET, einem Zusammenschluss afrikanischer Viehhalter-Organisationen, beobachtet den Konflikt seit Jahrzehnten. Er sei kompliziert und vielschichtig: "Es gibt konkrete Streitigkeiten um Landnutzung. Dazu kommt aber noch die Frage nach ethnischer Identität."
Jahrhundertelang lebten Ackerbauern und halbnomadische Viehhirten weitgehend friedlich nebeneinander. Doch die Bevölkerung wächst rasant. Heute leben rund 186 Millionen Menschen in Nigeria. Land ist zum knappen Gut geworden, um das ein heftiger Konkurrenzkampf entbrennt. Bauern klagen über von Kühen zertrampelte Felder. Viehhirten ärgern sich, dass zum Teil Jahrhunderte alte Weiderouten zugebaut werden. Unter die Hirten mischen sich auch bewaffnete Banditen. Wie hoch die Zahl der Kleinwaffen in der Region ist, kann niemand sagen.
Ein Landkonflikt unter dem Deckmantel der Religion
Der Konflikt habe aber auch eine religiöse Dimension, sagt Mohammed Bello Tukur: "Muslimische Gruppen kämpfen gegen christliche. Auch hier sind die Motive vielfältig und müssen gar nicht in der religiösen Zugehörigkeit liegen." Dennoch: Die religiöse Lesart setzt sich immer mehr durch. Die Viehhirten gehören meist der ethnischen Gruppe der Fulani an und sind überwiegend Muslime, während viele Bauern in der Region sich zum Christentum bekennen.
Angefeuert wird der Konflikt durch zahlreiche Gerüchte, die sich oft in Windeseile verbreiten. "Es sind die Erzählungen der Eliten", ärgert sich Kabir Kasim, stellvertretender Hauptimam der Zentralmoschee in Kafanchan. Die Eliten - das sind für ihn die Christen. "Sie verbreiten Lügen. Uns ist klar, dass es einen sehr tief sitzenden Hass gegen uns Muslime gibt." Er wirft ihnen vor, dass sie vom Konflikt profitieren würden, weil er ihnen Gelder von internationalen Hilfsorganisationen einbringe. Beispiele will er aber vor dem Mikrofon keine nennen.
Nigeria als Sonderfall
Gehetzt wird derzeit auf beiden Seiten. Ein Prediger der Freikirche Omega Fire Ministries forderte jüngst seine Anhänger dazu auf, jeden Fulani, der ihnen begegne, umzubringen. Erst nach massiven Protesten distanzierte sich Apostle Johnson Suleman von seiner Aussage. Nicht nur in Nigeria gibt es Konflikte zwischen Farmern und Viehhirten, sondern auch in den Nachbarländern. Doch egal ob im Senegal, in Ghana oder in Burkina Faso: "Die religiöse Komponente spielt in anderen westafrikanischen Ländern so gut wie keine Rolle", sagt Mohammed Bello Tukur. "Nicht in Ghana, und schon gar nicht in den frankophonen Ländern."
Die Menschen in Nordnigeria empfinden den Staat als weitgehend abwesend. Ethnische und religiöse Zugehörigkeiten sind zu wichtigen Identifikationsfaktoren geworden. Was die Situation außerdem verschärft, ist die fehlende Aufarbeitung. Prozesse hat es bisher nicht gegeben. Das sieht in Zonkwa auch Pastor Emmanuel Dabish als ein entscheidendes Problem an. Täter würden bisher nicht bestraft, Opfer übten oft Vergeltung: "Würde es aber Gerechtigkeit geben, dann könnten alle Menschen wieder das Leben genießen. Dann würde es richtigen Frieden geben", seufzt er.