Religiöser Dialog in Zeiten von Boko Haram
5. Oktober 2015Der Erzbischof und der Emir sitzen nebeneinander und lachen. Dabei ist der Grund ihres Besuchs in Deutschland durchaus ernst: Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) diskutieren sie darüber, welche Rolle der Dialog zwischen den Religionen in Zeiten von Boko Haram spielen kann und muss.
Erzbischof Ignatius Ayau Kaigama ist Vorsitzender des Interreligiösen Komitees für Frieden in Nigeria sowie der nigerianischen Bischofskonferenz. Er ist davon überzeugt, dass Religion nicht die Ursache der Gewalt im Norden Nigerias ist, sondern die Lösung. "Religion wird leider für falsche Zwecke genutzt", sagt er. "Sie wird politisiert. Sie wird missbraucht, um andere Menschen zu töten." Mit Religion habe der Terror, den die islamistische Boko-Haram-Miliz verbreite, nichts zu tun. Diese Botschaft wollen er und der Emir Muhammadu Muazu Mohammed, die beide aus dem nigerianischen Bundestaat Plateau stammen, verbreiten. "Ich bin voller Hoffnung, dass Nigeria über diese Spannungen hinwegkommen kann, wenn wir mehr Menschen erreichen", sagt Kaigama.
"Nah an den Menschen"
Eine Überzeugung, die auch Thomas Silberhorn teilt. Als Parlamentarischer Staatssekretär beim BMZ arbeitet er eng mit religiösen Führern in Nigeria zusammen. "Der Emir und der Erzbischof sind ein sehr positives Beispiel für interreligiösen Dialog", so Silberhorn. Im Rahmen der Dialogreihe "Religion Matters - Zukunftsfragen neu denken", hatte er die beiden in Berlin empfangen.
Die Deutsche Bundesregierung lege großen Wert darauf, mit Personen zu arbeiten, die "nah an den Menschen sind", so Silberhorn. Kaigama und Muazu seien religiöse Führer, die auch die jüngeren Generationen erreichten. Das sei in dem mit 160 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Land Afrikas besonders wichtig.
Eine Stadt zwischen Terror und Verständigung
In Jos, der Hauptstadt des Bundesstaates Plateau, kam es in der Vergangenheit häufig zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen. Die Terrorgruppe Boko Haram zündete in Jos zahlreiche Bomben, zielte dabei nicht nur auf Christen: Ein Anschlag Anfang Juli auf eine Moschee und ein Restaurant tötete 44 Menschen.
Der Emir Mohammed und der Erzbischof Kaigama engagieren sich dort gemeinsam für ein harmonisches Zusammenleben der beiden religiösen Gruppen: "Christliche und muslimische Jugendliche in Jos gehen zusammen in die Moschee, beten Freitags gemeinsam. Jeder passt auf den anderen auf", erzählt Mohammed. Das Gleiche gelte für die Kirchen: "Die Muslime werden eingeladen, um zu sehen dass der Gottesdienst friedlich stattfindet - ohne Hetze gegen sie."
"Kein Krieg zwischen Christen und Muslimen"
Ein ganz konkreter Dialog, der leider viel zu wenig Widerhall in den Medien finde, bedauert Kaigama. "Die Medien übertreiben in ihrer Berichterstattung über Nigeria", meint der Erzbischof. Es stimme zwar, dass es Unstimmigkeiten gebe, "aber wenn es verallgemeinert wird, wenn behauptet wird, dass es sich um einen Krieg zwischen Christen und Muslimen handele, entspricht das nicht der Wahrheit." Es gehe vielmehr um wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen dem Norden und dem Süden des Landes und um die Perspektivlosigkeit der Jugend - und um den fehlenden politischen Willen, etwas an der Situation zu ändern.
Laut Staatssekretär Silberhorn vergesse die Politik, dass die Religion auch eine positive Rolle spiele - vor allem in Nigeria. "Religion hat für viele Menschen eine hohe Bedeutung in ihrem persönlichen Leben. Und deswegen können internationale Beziehungen nicht wirkungsvoll gepflegt werden, wenn man die Kraft der Religionen ignoriert." Die Politik müsse verstehen, dass Religion auch die politischen Beziehungen beeinflusse. Das sei der Anfang des Weges hin zu Frieden und Gewaltverzicht in Nigeria.