Niger: Streit um Pressefreiheit flammt auf
1. Dezember 2015Zwei Stunden lang Stille im Radio, zwei Stunden lang Sendepause im Fernsehen. Stattdessen steht ein Schriftzug auf den Bildschirmen: "Die Pressefreiheit im Niger ist bedroht. Lasst uns alles tun, um sie zu retten." Etwa 20 private Radio- und Fernsehsender im westafrikanischen Niger haben so am vergangenen Montag gegen Verhaftungen von mehreren Journalisten protestiert.
Und das ausgerechnet am 30. November, dem nationalen Tag der Pressefreiheit. Eine große Feier war geplant, doch viele der privaten Medien riefen zum Boykott auf. "Wir werden darüber überhaupt nicht berichten. Gar nichts machen wir dazu!", sagt Moumouni Mamane Lawali verärgert. Er ist Chefredakteur der Radio- und TV-Gruppe Ténéré.
Dabei war Niger bisher im afrikanischen Vergleich Vorreiter in Sachen Medienfreiheit. Den Tag der Pressefreiheit begeht das westafrikanische Land seit zwei Jahren. Er geht zurück auf den 30.11.2011: An diesem Tag hatte Nigers Präsident Mahamadou Issoufou als erster afrikanischer Staatschef die Tafelberg-Erklärung unterzeichnet. Sie wurde vom Weltverband der Zeitungen und Nachrichtenmedien in Kapstadt verfasst und ist deshalb nach dem Wahrzeichen der Stadt benannt. Die Erklärung bekennt sich klar zur Freiheit der Presse und fordert, dass Gesetze, die Journalisten einschüchtern oder in ihrer Arbeit einschränken, abgeschafft werden sollen.
Mehr Pressefreiheit als die USA
Im Sommer 2011 schrieb die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen in einem Bericht, Niger könne zu einem Modell für gute Regierungsführung und Medienfreiheit in der Region werden. Das Land hatte unter anderem Haftstrafen und Untersuchungshaft für Mediendelikte abgeschafft und ein Recht auf Zugang zu staatlichen Informationen eingeführt. Im aktuellen weltweiten Ranking, das Reporter ohne Grenzen jährlich veröffentlicht, steht Niger auf Platz 47 von 180 - und damit sogar vor Malta und den USA.
Doch in der letzten Zeit häufen sich Meldungen von Verhaftungen und Einschüchterungsversuchen gegenüber Journalisten, die für private Medien arbeiten. Ein Beispiel: Am 14. November kehrte Oppositionsführer Hama Amadou aus dem französischen Exil zurück in den Niger. Amadou will bei der Präsidentenwahl kommenden Februar antreten. Der Politiker wurde bei seiner Ankunft verhaftet. Er soll in den Handel mit Babys verwickelt sein. Sicherheitskräfte und Anhänger Amadous gerieten am Flughafen aneinander. Die Polizei setzte Tränengas ein.
Vier Journalisten, die kritisch darüber berichten wollten, wurden festgenommen und einen Tag lang festgehalten. Die Polizei soll ihr Material beschlagnahmt und Informationen über ihre Quellen verlangt haben. Wenige Tage später die nächste Festnahme: Souleymane Salha ist Chefredakteur der Wochenzeitung Le Courrier und hatte den stellvertretenden Polizeidirektor wegen der Festnahme Amadous in einem Artikel kritisiert. Auch ihn hielt die Polizei zunächst fest.
Doch weil es ihm plötzlich sehr schlecht ging, musste Salha vergangene Woche ins Krankenhaus in der Hauptstadt Niamey gebracht werden. Baba Alpha, Vorsitzender der Maison de la Presse, eines Zusammenschlusses von Medienorganisationen im Niger, ist aufgebracht. Salha leide an Diabetes, sagt er der DW. "Wenn ihm irgendetwas passiert, sind der Polizeidirektor, der Justizminister und der Innenminister dafür verantwortlich."
Zeugen: Polizei geht gewaltsam gegen Kritiker vor
Kritik am harten Durchgreifen der Polizei gegenüber Demonstranten und Journalisten bei der Ankunft und Verhaftung Amadous kommt auch von der Menschenrechtskommission im Niger - einer Institution der Regierung. "Eine Frau hatte schwere Verletzungen an den Augen, weil man sie geschlagen hatte. Ein Mann hat uns erzählt, er wurde auf beide Beine geschlagen. Sie waren ganz geschwollen", sagt Doro Ahmadou, Sprecher der Menschenrechtskommission. Beide hätten erzählt, dass Polizisten sie beschimpft und mit Stöcken geschlagen haben. "Polizei und Armee sollen die Bevölkerung beschützen und nicht Unschuldige verletzen", so Ahmadou auf einer Pressekonferenz.
Einen Monat vorher hatten Polizisten bereits fünf Journalisten festgenommen, die während einer Demonstration von Studenten Radio- und Fernsehaufnahmen machten. Nach dem Attentat auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar kam es im muslimisch geprägten Niger zu Ausschreitungen und Demonstrationen, auch damals griff die Polizei hart gegen Journalisten durch, die darüber berichteten. Insgesamt scheint die Lage im Niger mit Blick auf die anstehenden Wahlen im Februar sehr angespannt.
Kommunikationsminister: "Pressefreiheit ist bei uns Realität"
Nigers Kommunikationsminister Yahouza Sadissou hält dagegen: "Die Regierung im Niger tut alles, was in ihrer Macht steht, um die freie Meinungsäußerung zu gewährleisten. Wer hier Zeitung liest, Radio hört oder Fernsehen guckt, sieht, dass Pressefreiheit bei uns Realität ist", sagt er im DW-Interview. Es gebe aber Journalisten, die sich hinter dieser Freiheit versteckten und einfach irgendwelche Behauptungen veröffentlichten, so Sadissou. "Das ist bedauerlich."
Er fügt hinzu: "In Situationen, die zu entgleisen drohen, müssen wir als Führungskräfte im Staat die entsprechenden Maßnahmen ergreifen. Auch gegenüber Journalisten." Dennoch: Die Medien im Niger seien frei, sagt er. Für Reporter ohne Grenzen scheint das nicht mehr ganz so klar zu sein. "Niger hält seine Verpflichtungen zur Medienfreiheit nicht ein", schreibt die Organisation in einer Pressemitteilung. "Sie sind nicht vor Ort", sagt der Minister. Er habe sie eingeladen, sich selbst von der Pressefreiheit in seinem Land zu überzeugen. "Bis jetzt sind sie nicht gekommen."
Mitarbeit: Mahaman Kanta, Abdoul Karim Mahamadou