Niger: Neue Außenstelle der EU-Asylpolitik?
29. April 2015Die Häuser und Straßen von Agadez sind staubig und lehmbraun wie die Wüste, die die Stadt umgibt. Agadez liegt fernab von den pulsierenden Metropolen und doch ist die Stadt im Niger ein zentraler Knotenpunkt für Händler - und für Migranten. Wer aus Westafrika nach Libyen will, der kommt an Agadez nicht vorbei. So wie Traoré aus Mali. "Ich muss meine Familie in Bamako versorgen. Ich bin Metallhandwerker. In Bamako konnte ich zwar in dem Beruf arbeiten, aber anderswo kann ich vierzigmal mehr verdienen." Von Mali aus reiste Traoré über Burkina Faso bis nach Agadez. Sein Ziel ist Libyen. Die Reise sei beschwerlich, erzählt er: "Früher musste man 1000 Westafrikanische Franc, umgerechnet rund 1,50 Euro zahlen, wenn man in ein Land einreist. In Burkina Faso musste ich den Grenzbeamten mehr als das Zwanzigfache zahlen."
Die Flucht von Menschen wie Traoré ist für viele zu einem lukrativen Geschäft geworden - nicht nur für korrupte Grenzbeamte. Die Europäische Union will Schleppern den Geldhahn zudrehen und denkt laut darüber nach, wie sie Migranten bereits vor der gefährlichen Reise durch die Sahara und über das Mittelmeer zum Umkehren bewegen kann. In wichtigen Drittstaaten könnten sogenannte Verbindungsbeamte für Immigrationsfragen eingesetzt werden, die Informationen zu Flüchtlingsbewegungen sammeln, schlägt die EU-Kommission vor. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière wirbt für die Idee, Auffanglager mit Asylbüros in afrikanischen Transitstaaten einzurichten - etwa im Niger. Bereits dort solle die Entscheidung fallen, wer legal nach Europa kommen darf und wer in seine Heimat zurückkehren muss.
Ursachen von Flucht bekämpfen
Boubacar Mossi, der für die Opposition im nigrischen Parlament sitzt, glaubt nicht, dass sich die Migration mithilfe von Asylbüros kontrollieren lässt. Denn wenn ein Antrag abgelehnt werde, würde der Asylsuchende eben versuchen, auf anderen Wegen nach Europa zu gelangen. "Statt solche Büros zu gründen, wäre es besser, in unsere Länder zu investieren und hier Jobs zu schaffen." Dann würden auch weniger Menschen ihre Heimat verlassen wollen. Wer dennoch auswandern wolle, dessen Asylantrag sollte direkt im eigenen Heimatland geprüft werden.
Das sieht der nigrische Ethnologe Sani Yahya Janjuna ähnlich: "Egal, welche Maßnahmen sie treffen - sie werden die Menschen nie davon abhalten, nach Europa fliehen zu wollen." Der Westen solle alles in seiner Macht stehende tun, Kriege und Konflikte in Afrika zu beenden. "Als nächster Schritt muss die Armut in den Ländern, aus denen die Menschen fliehen, bekämpft werden. Anderenfalls werden die Maßnahmen der EU keine langfristige Wirkung entfalten."
Keine "libysche Lösung"
Mit Auffanglagern außerhalb der eigenen Grenzen hat die EU bereits Erfahrungen gesammelt: In Libyen arbeitete sie mit dem ehemaligen Diktator Muammar al-Gaddafi zusammen - Flüchtlinge wurden in Lager gesperrt, die teilweise von der EU mitfinanziert wurden; Menschenrechtsorganisationen haben Fälle von Folter dokumentiert. "Damals war Lampedusa leer, kein Flüchtling kam übers Mittelmeer und die Libyer haben gutes Geld kassiert und Hightech-Geräte bekommen, um ihr schlimmes Werk zu verrichten", sagt Wenzel Michalski von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
Es dürfe im Niger nicht zu einer "libyschen Lösung" kommen, mahnt Michalski - und zeigt sich wenig optimistisch. "Selbst in Flüchtlingslagern in Bulgarien, Rumänien und Griechenland herrschen zum Teil furchtbare Zustände - wie wollen wir ordentliche Bedingungen in Ländern wie Niger garantieren?" Zudem: Wenn sich herumspreche, dass die Zustände in diesen Lagern verheerend seien, dann würde dort auch niemand hinkommen. "Wenn diese Zentren kommen, dann müssen sie tadellos sein."
Nigrer sehen selbst keine Perspektive in der Heimat
Die Ausgangsbedingungen dafür sind nicht gerade ideal: Niger gehört zu den zehn ärmsten Ländern der Welt. Auf dem Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen belegt das Land den letzten Platz. Der größte Teil Nigers besteht aus Wüste und die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen leiden unter Dürreperioden. Wegen Ernteausfällen ist nach Regierungsangaben momentan die Ernährung von mehr als zweieinhalb Millionen Menschen nicht sichergestellt. Jahr für Jahr wächst die Bevölkerung um rund vier Prozent, was jegliches Wirtschaftswachstum ausbremst. Viele Nigrer sehen selbst keine Perspektive mehr in ihrer Heimat - sie emigrieren nach Libyen. Doch der Staat zerfällt, die Beschäftigungsmöglichkeiten für ausländische Arbeitskräfte schwinden - die Konsequenz ist für viele Nigrer die Überfahrt nach Europa.
Hadjia Nafissa Agada ist Vorsitzende einer nigrischen Frauenrechtsorganisation. Sie beobachtet, dass sich zunehmend auch Frauen auf die gefährliche Reise machen. Für die Angehörigen, die zurückblieben, sei das unerträglich, erzählt sie. Oft dauere es ein halbes Jahr, ehe sie wieder von ihren Frauen, Schwestern und Müttern hörten. "Der Ausgang dieses Abenteuers ist ungewiss. Gott sei dank, wenn sie ihr Ziel erreichen - aber das kommt selten vor. Deswegen fordern wir von den Frauen, Abstand von dieser Entscheidung zu nehmen und hier zu bleiben."
Mitarbeit: Eric Topona, Tila Amadou, Abdoulaye Mamane Amadou