"Niemand gibt leichtfertig seine Heimat auf"
10. Mai 2018"Niemand macht es sich leicht, seine Heimat aufzugeben, einfach wegzugehen. Das dürfen wir nie vergessen." Es ist einer der ersten Sätze von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf einem Podium zum Thema Integration beim Katholikentag in Münster. Der CDU-Politiker bekommt Applaus in einer gut besuchten, aber nicht komplett gefüllten Halle. Und es ist der Auftakt für ein ruhiges Gespräch über ein heiß umstrittenes Thema.
Eigentlich sollte auf diesem Podium Horst Seehofer sitzen, der Bundesinnenminister. Da wurde ein politisch heißes Gespräch erwartet. Denn Seehofer, der auch CSU-Chef ist, setzt seit langem bei Integration und beim Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern auf einen deutlich härteren Kurs - und geht da auch mit den Kirchen auf Konfrontation. Aber wenige Stunden vor der Debatte wurde die Absage von Seehofer, offiziell "wegen Anreiseproblemen", bekannt. Und Merkels Gesundheitsminister gab spontan den Innenminister.
"Verletzend und beschämend"
"Wir haben erst in den letzten zwei, drei Jahren gelernt, über Probleme zu reden", sagt Spahn. "Wichtig ist, dass wir das auch weiterhin tun". Von einem seiner Gesprächspartner bekommt Spahn - bekommt die Politik insgesamt - Kritik zu hören. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, bemängelt, die Politik habe die Frage von Abschiebungen so ins politische Zentrum gerückt, "dass die Integration vernachlässigt wird". Dabei gehe es um rund 20000 Menschen, die abgeschoben werden sollten, aber über eine Million, die integriert werden sollten.
Und wenn, so der Caritas-Chef, sich Politiker dann im Streit um Abschiebungen populistisch äußerten, empfänden das viele ehrenamtliche Helfer in der Arbeit mit Geflüchteten als "verletzend und beschämend".
Es dauert nur Minuten, bis Spahn dem Kirchenmann verbal zurückgibt. Da erläutert Neher, dass Kirche Muslimen leichteren Zugang zu Arbeitsplätzen beispielsweise in kirchlichen Pflege-Einrichtungen ermöglichen wolle und dafür Vorgaben ändere. Dann solle, sagt Spahn, selbst homosexuell, Kirche gleich dafür sorgen, "dass auch schwule und lesbische Partner und Menschen, die in Beziehungen gescheitert sind", in den Einrichtungen arbeiten dürften. Da ist ihm Applaus sicher.
Mahnungen von Geflüchteten
Aber den kräftigsten Applaus erhalten weder der Minister noch der Caritas-Chef. Auf der Bühne kommen auch zwei Geflüchtete zu Wort. Der Christ Aria Patto, der im Sommer 2015 aus dem Irak nach Deutschland floh, und die Hebamme Mahnaz Teimouri, die schon viele Jahre früher aus dem Iran kam. Beide arbeiten heute als Flüchtlingslotsen mit Geflüchteten.
"Der Flüchtling muss ankommen wollen, muss auch rausgehen, eine Tür aufmachen, Kontakt suchen", sagt Patto, der vor drei Monaten als Asylbewerber anerkannt wurde. "Er muss viel dafür arbeiten." Der Iraker, der als ausgebildeter Sport- und Religionslehrer kam, kickt heute in zwei Fußballvereinen. Und er betont, wie wichtig es sei, Deutsch zu lernen, "richtig wichtig". Und Teimouri berichtet von ihrer Arbeit mit schwangeren Frauen und kleinen Kindern. "Die Menschen brauchen Vertrauen. Die haben Ängste, Krieg erlebt, Gewalt gesehen." Viele hätten Traumata. Ein Punkt ist der Iranerin noch wichtig. "Frauen brauchen Zeit. Männer brauchen Aufklärung." Männer müssten beispielsweise aufgeklärt werden, dass in Deutschland Frauen und Kinder nicht geschlagen werden dürften und die Geschlechter gleichberechtigt seien. Wieder Applaus.
Spahn, der ja erst einige Stunden vor dem Gespräch von seinem Auftritt erfuhr, äußert sich zu Fragen der Sicherheit, der Pflege, zum Kampf gegen Wohnungsnot, zu Bildungsfragen. Ruhig, nachdenklich.
"Ein anderer Spahn"
Das sei, sagt ein älterer Herr aus Baden-Württemberg nach der Veranstaltung, ein anderer Jens Spahn, als er ihn beim Fernsehen erlebt habe. Von sechs befragten Zuhörern äußern sich drei in diesem Sinne. Renate Bender aus Mosbach zeigt sich erstaunt, dass der Minister auch zugegeben habe, dass Fehler gemacht und Deutschland zu spät auf Integration geachtet habe. "Gut, dass Seehofer nicht anreisen konnte", sagt einer.
Übrigens: Seehofer war vor 20 Jahren auch mal Bundesgesundheitsminister. Man darf also abwarten, was aus Spahn noch so wird.