"Ein faszinierendes Projekt"
8. Mai 2018Zehntausende Gläubige versammeln sich ab Mittwoch in Münster zum Deutschen Katholikentag. Im kommenden Jahr gibt es dann wieder einen Deutschen Evangelischen Kirchentag. Der grüne Europapolitiker Sven Giegold will mehr: In rund fünf Jahren soll es einen Europäischen Kirchentag geben. Für alle.
DW: Münster steht vor dem 101. Deutschen Katholikentag. Sie werben seit Jahren für einen Europäischen Kirchentag. Warum?
Sven Giegold: Europa braucht eine viel tiefer integrierte Zivilgesellschaft. Wir haben zwar seit vielen Jahren die offiziellen europäischen Kirchenbünde auf der katholischen Seite, bei Protestanten und Orthodoxen, die sich europaweit treffen. Aber die europäischen Laien, auch die Pastoren an der Basis, begegnen sich europäisch nur sehr selten. Und das möchten wir ändern. Wir möchten einen Raum schaffen für europäische Christinnen und Christen, sich als Europäer zu erfahren.
Hat das Aussichten auf Umsetzung?
Unsere Initiative ist schon weit fortgeschritten. Wir haben inzwischen einen ökumenisch getragenen europäischen Verein mit Sitz in Brüssel, zu dem Kirchen und christliche Organisationen aus ganz Europa gehören. Bis Anfang 2019 soll feststehen, wo das erste Mal zwischen 2023 und 2024 ein Europäischer Kirchentag stattfinden soll.
Vor einigen Jahren gab es in der Debatte um die Europäische Verfassung immer wieder die Mahnung, Europa dürfe kein Christenclub sein. Wie wollen Sie diesen Eindruck vermeiden?
Indem man diesen Anspruch gar nicht erst erhebt. In Europa leben Christen ganz unterschiedlicher Konfession, Juden, Muslime und Menschen anderen Glaubens. Und eine wachsende Zahl von Menschen hat gar keinen Bezug mehr zum Glauben. Aber wir alle haben unseren Beitrag zu leisten zum Entstehen einer europäischen Demokratie und einer europäischen Zivilgesellschaft. Und ich glaube, dass wir Christinnen und Christen dazu ein paar besondere Dinge beitragen können. Zum Beispiel den Universalismus, der unserer Religion zugrunde liegt. Dass eben der Gott der Bibel allen Menschen gegenüber offen steht und nicht nur den Menschen einer Nation. Dieser Universalismus könnte uns in Europa eine Wegleitung sein. Und was auch helfen kann, eine Grundlage für europäisches Mitgefühl zu schaffen. Das brauchen wir in Europa dringend.
Jetzt gibt es in Europa ganz unterschiedliche christliche Ausprägungen, polnische Nationalkatholiken zum Beispiel, schwedische Lutheraner, italienische Waldenser, Orthodoxe.
Und immer mehr Freikirchen. Sicher sehen wir in allen verfassten Kirchen in Europa auf institutioneller Ebene immer mehr Spannungen. Die Unterstützung des europäischen Projekts ist nicht mehr selbstverständlich. Schauen Sie zum Beispiel auf die Reformierten in Ungarn oder auf die Positionen vieler katholischer Bischöfe in Polen. Da hat man das Gefühl, die stehen ihrer nationalen Regierung näher als dem Papst in Rom. Auf protestantischer Seite gibt es ähnliche Probleme. Das reicht hinab bis in die Gemeinden. Ein Europäischer Katholikentag soll offen sein für alle Christinnen und Christen, die am Dialog Interesse haben.
Wie wollen Sie verhindern, dass ein Europäischer Kirchentag ein Treffen von Hauptamtlichen oder kirchlich sehr gebundenen Gläubigen wird und die Basis nicht erreicht?
Da bin ich ganz entspannt. Meine Erfahrung aus dem Präsidium des Evangelischen Kirchentages ist ganz anders. Auf dem Kirchentag sind auch sehr viele Menschen, die ihre Gemeinde leider nicht so spannend finden. Das zeigt jedesmal, welches Potenzial in diesem Konzept liegt. Dass das auch auf europäischer Ebene auch möglich ist, beweisen die Europäischen Jugendtreffen von Taizé, die jeweils zehntausende junge Menschen anziehen. Bei einem Europäischen Kirchentag müssten der gemeinsame Glaube und das gemeinsame Gebet im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus sollten wir darüber reden, was der Glaube für uns in der Gesellschaft bedeutet. Es gibt so viele Fragen, die die Menschen bewegen: die Toten im Mittelmeer, unser Lebensstil, der mit der Bewahrung der Schöpfung nicht zusammengeht, die zunehmende soziale Spaltung und Armut in einigen europäischen Ländern.
Das sind schon grundsätzliche politische Mahnungen.
All das sind Fragen, die viele Christinnen und Christen bewegen. Sich darüber europaweit zu verständigen und auszutauschen, das ist – da bin ich sicher - ein faszinierendes Projekt, nicht nur für die Hauptamtlichen. Dabei geht es nicht um eine einzelne politische Richtung. Der Europäische Kirchentag ist kein Ausdruck des Linkskatholizismus oder -protestantismus, sondern er soll wirklich alle zusammenbringen, die auf europäischer Ebene in den Dialog einsteigen wollen.
Haben Sie keine Bedenken wegen der Sprachenvielfalt?
Die Lösung Roms, dass wir alle Latein sprechen, bietet ja leider keinen Ausweg. Aber in einigen Jahren wird die Digitalisierung so weit vorangeschritten sein, da wird es ganz normal sein, dass zu allen Veranstaltungen das Gesagte verschriftlicht wird und sofort auf Wänden oder dem eigenen Smartphone mitzulesen und auch binnen Sekunden übersetzt ist. Außerdem sprechen immer mehr Menschen zumindest schlechtes Englisch, also Globisch, wie ich es gerne nenne. Viele werden sich auf Globisch verständigen können. Und jenen, die es nicht können, denen wird die Technik zusammen mit Übersetzerinnen und Übersetzern helfen.
Das Gespräch führte Christoph Strack.