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Trockenzeit in Deutschland

Anne Höhn
24. November 2018

Die Pegel von Deutschlands Flüssen sinken, so auch der des Rheins. Viele Frachtschiffe können nur noch zum Teil, oder gar nicht mit Ware beladen werden. Darunter leiden Binnenschiffer und Verbraucher. Ein Besuch.

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Deutschland Niedrigwasser Rhein bei Köln
Bild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

"Einmal die Schuhe ausziehen", bittet Kapitän Torsten Stuntz, als wir an Deck seines Binnenfrachters Stella Maris stehen. Angesichts des nasskalten Wetters im niederländischen Örtchen Lobith wirkt die Aufforderung eher ungewöhnlich. "In die Wohnung kommt keiner mit Schuhen", erklärt Stuntz und streift seine Sneaker ab, die Hand an der schmalen Eingangstüre abgestützt. Über eine kurze Treppe geht es in den Bauch des Schiffes, wo die Wohnräume liegen. "Die Wohnung ist eigentlich zu groß und zu komfortabel für mich alleine", sagt Stuntz, während er sich in der Küche zu schaffen macht. Die Möbel sind in warmen Farben gehalten, in die niedrige, holzgetäfelte Decke sind kleine runde Deckenlichter eingelassen, die alles in ein gemütliches Licht tauchen. Auf den ersten Blick erinnert nichts wirklich an ein Schiff, nur die leichte Bewegung des Bodens ruft es in Erinnerung. Gerade liegt die Stella Maris im Lobither Hafen; in den kommenden Tagen bekommt sie einen neuen Motor.

"Seit ich fahre, habe ich immer wieder kleines Wasser gesehen. Aber dieses Jahr sprengt echt alles", sagt Stuntz mit einem Blick aus dem Fenster auf den niedrigen Wasserstand im Rhein. "Ich ärgere mich manchmal, dass weder die Unternehmen noch die Regierung sehen, welchen Problemen wir ausgesetzt sind. Wir sind nicht Schuld an den Lieferengpässen. Wir leiden genauso darunter." Auf die Frage, was er tun will, wenn die Situation so bleibt, zuckt Stuntz die Schultern. Er könne sich ein anderes Leben als das auf dem Binnenschiff nicht vorstellen. "Für mich gibts nix anderes, als Binnenschifffahrt. Ist eben meine Erfüllung", sagt der Kapitän, während er das Mittagessen für seine Crew vorbereitet.

Torsten Stuntz Binnenschiffskapitän auf der Stella Maris
"Ein leeres Schiff kostet nur Geld": Binnenschiffer Torsten Stuntz (r.)Bild: DW/A. Höhn

Fahren auf eigenes Risiko

Zwischendurch kontrolliert Stuntz den Pegelstand via App auf seinem Handy. Der Wasserstand auf seiner Stammstrecke liegt gerade bei ungefähr einem Meter achtzig. Als erfahrener Kapitän kann er schnell überschlagen, wie viel Ladung er heute theoretisch mitnehmen könnte. "Ich kann circa für einen Meter sechzig Ladung aufnehmen", erklärt Stuntz. "Wenn ich die 2400 Tonnen voll machen würde, hätte ich einen Tiefgang von 2,90 Metern. Ich kann also nur ungefähr knapp die Hälfte mitnehmen." Durch den Ausfall wird die Fahrt teurer, für den Kapitän und für den Abnehmer. Weil der sein Geld auch wieder hereinbekommen muss, erhöht er die Preise für den Endverbraucher.

Zwar werden in Deutschland nur elf Prozent der Güter per Binnenschiff transportiert; der Rest verteilt sich vor allem auf Straße und Schiene. Aber die Auswirkungen des Niedrigwassers sind deutlich spürbar: An deutschen Tankstellen wurde in den vergangenen Wochen der Sprit immer teurer, obwohl der Rohölpreis zuvor sogar gefallen war. An manchen Orten gab es schon gar kein Benzin oder Diesel mehr. Als Reaktion darauf gab die Bundesregierung bereits Ende Oktober Ölreserven frei. Die Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg konnten so die Benzin- und Dieselvorräte anzapfen und so Engpässe umgehen. Auch andere Branchen spüren das Niedrigwasser im Rhein. Der Stahl- und Industriekonzern Thyssen Krupp in Duisburg vermeldete negative Auswirkungen auf das Stahlgeschäft, das Chemieunternehmen BASF beklagte Lieferengpässe an den süddeutschen Standorten.

Leere Tankstellen, teures Heizöl

Auch der Preis für Heizöl erklimmt immer neue Höhen. Rund ein Drittel mehr muss der Abnehmer für den Liter zahlen, im Vergleich zur selben Zeit 2017 - und das, obwohl die Raffinerien genug Rohöl produzieren. Nur der Transport des Heizöls per Schiff klemmt. "Ich sehe das mit Sorge", sagt Stuntz. "Jetzt geht es noch, aber wenn es richtig kalt wird und alle nach Heizöl rufen und nicht genug da ist, dann schlittert vielleicht ganz Europa in eine Heizöl-Krise." Bisher ist keine Lösung des Problems in Sicht, denn das Wetter zeigt sich von den Problemen der Binnenschiffer unbeeindruckt.

Deutschland Trockenheit | Treibstoffmangel
Anfang November hatte diese Tankstelle in der Nähe von Köln kein Diesel mehrBild: Imago/Manngold

Normalerweise fährt das Binnenschiff in anderthalb Tagen rund 240 Flusskilometer auf der Strecke zwischen Frankfurt am Main und der Grenzstadt Kehl nahe Frankreich. Mit Kies als Ladung geht es über den Main nach Frankfurt und von dort aus zurück auf den Rhein und vollgeladen mit Schrott nach Kehl. Die Probleme mit dem Niedrigwasser sind für den selbstständigen Binnenschiffer Stuntz eine enorme Belastung. Er ist sein eigener Herr, muss deshalb auch den Verdienstausfall selbst ausgleichen. "Wir können nicht mehr voll laden, manchmal bleiben wir sogar leer. Und ein leeres Schiff, das fährt, macht kein Geld. Es kostet nur, Treibstoff und Personalkosten und so weiter."

Nach dem Mittagessen bricht Stuntz zum Kontrollgang durch sein Schiff auf. Trotz des kalten Windes zeiht er nur einen dicken Pullover über und schlüpft in ausgelatschte Sandalen. Oben auf Deck herrscht Nieselregen. Die niederländischen Schiffshandwerker im Blaumann scheint das genauso wenig zu stören wie Stuntz. Sie scherzen miteinander und plaudern in einem Gemisch aus Deutsch und Holländisch. Vom Schiff nebenan grüßen die Nachbarn, man kennt sich.

Über eine schmale Treppe geht es runter in den Maschinenraum. Es riecht streng nach Schmieröl. In der Ecke plärrt aus einem alten Radio holländischer Pop. Der Motor kann nur von außen in den Maschinenraum gewuchtet werden. Dazu hat einer der Handwerker mit dem Schneidbrenner einen Durchgang in die Wand zur Ladefläche geschweißt. Durch ihn kann man die fast fußballfeldlange und zehn Meter breite Ladefläche betreten; an ihren Seiten ragen die Stahlwände sechs Meter hoch auf. Der Boden ist von einem ausgewaschenen Orange, rostig und rau. Die Menschen wirken auf einmal wie Ameisen in einer Brotbox.

Deutschland Trockenheit | Rhein bei Düsseldorf
Sogar die Fahrwassertonnen liegen auf dem Trockenen: Der Rhein bei DüsseldorfBild: Getty Images/M. Hitij

Hoffen auf Regen

Seit drei Jahren ist Stuntz Vorsitzender der Abteilung Binnenschifffahrt im Bundesverband der Selbständigen. Erst am Tag zuvor war er bei einer Sitzung in Straßburg, wo sich Binnenschiffer aus den Rheinstaaten, also Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland, getroffen und über die Zukunft ihrer Branche beraten haben. 85 Prozent der gesamten Güterverkehrsleistung in der europäischen Binnenschifffahrt werden von diesen Staaten abgewickelt Zwei Drittel der beförderten Mengen in der Europäischen Union werden auf dem Rhein bewegt. Der Fluss ist die Lebensader der Binnenschifffahrt. Sein Hauptfluss reicht von Basel nach Rotterdam und führt mitten durch Europa. "Wenn der trocken fällt, dann wirds schwierig für uns", sagt Stuntz.

Als es schon dämmert, meldet die Bord-Crew, dass der Ersatzmotor auf dem Weg ist. Am frühen Morgen des nächsten Tages soll er da sein. Anfang Dezember kann die Stella Maris dann wieder aufs Wasser. Damit das Schiff gut durchkommt, müsste es vorher mindestens eine Woche lang durchregnen. Im Wetterbericht für die nächsten Tage steht davon allerdings nichts. Kapitän Stuntz hofft, dass es zumindest dann endlich zu regnen beginnt, wenn er im Dezember wieder starten kann.