Eiszeit-Fundstück am Rhein
9. September 2018Es ist eigentlich ein ganz normaler Samstag. Sonja Pilch geht zusammen mit ihrem Lebensgefährten und den beiden Hunden Bella und Bonni am Rhein in Düsseldorf spazieren. Weil es in den vergangenen Wochen und Monaten kaum geregnet hat, führt der Rhein - wie viele andere Flüsse in Europa - gerade wenig Wasser. Anstatt oben auf dem Weg zu gehen, läuft Sonja Pilch runter zum Wasser.
Rund 50 Meter weit hinein kann sie in das ausgetrocknete Flussbett auf den kleinen Kieselsteinen spazieren. "Wir sind direkt darauf zugelaufen", erzählt sie. Aus der Ferne habe es ausgesehen wie ein einfaches Stück Treibholz, das da zwischen Ufer und Wasser treibt. "Dann haben wir es angehoben, das Gewicht war viel schwerer als Holz."
Sonja Pilch hat ziemlich schnell einen Verdacht: Das Ding könnte ein Mammutzahn sein. Schließlich war kurze Zeit vorher in der Nähe schon einmal ein Mammut-Backenzahn gefunden worden, erinnert sie sich. Also wickelt sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten den mysteriösen Fund kurzerhand in eine Decke und die beiden verfrachten ihn in den Kofferraum des Autos.
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Zahn muss vor dem Austrocknen geschützt werden
Zuhause angekommen recherchiert Sonja Pilch im Internet. Als sich ihr Verdacht erhärtet, meldet sie sich bei einem Fernsehsender. Das Team bringt einen Paläontologen von der Universität Bonn mit und der bestätigt ihre Vermutung: Es handelt sich um ein großes Stück eines Mammutstoßzahns. "Ganz überrascht war ich nicht mehr", sagt Sonja Pilch. Etwa 1,30 Meter ist der Stoßzahn lang und 25 Kilogramm schwer. Vermutlich ist es sogar nur ein Teil des gesamten Stoßzahns.
Sonja Pilch verständigt das Amt für Bodendenkmalpflege. Das ist gesetzliche Pflicht in Deutschland, erklärt Erich Claßen vom Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland: "Das Denkmalschutzgesetz regelt das." Darin steht, dass auch Zeugnisse tierischen und pflanzlichen Lebens aus erdgeschichtlicher Zeit als Bodendenkmäler gelten und deshalb beim Amt gemeldet werden müssen.
Bis die Behörde das Fundstück abholen kommt, kümmert sich Sonja Pilch darum, den Zahn möglichst gut zu schützen: "Wir haben die Decke nass gemacht und sind zwischendurch mit dem Gartenschlauch drüber gegangen, damit der Zahn nicht porös wird." Wie bei heutigen Elefanten waren die Stoßzähne von Mammuts aus Elfenbein. Das seltene Fundstück sorgt für Aufsehen in der Nachbarschaft: "Wir hatten zwischendurch einen richtigen 'Mammut-Tourismus'", erzählt Sonja Pilch lachend. Nachbarskinder kamen vorbei und fotografierten sich mit dem Mammutzahn, Bekannte fragen, wo genau sie den Zahn am Rhein gefunden habe.
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Kein ungewöhnlicher Fund
Mittlerweile ist das Fundstück im LVR-Landesmuseum Bonn und wird dort von Ralf W. Schmitz untersucht. Er ist Kurator für Vorgeschichte im Museum: "Momentan liegt der Zahn noch im Kühlraum, man muss ihn feucht und kühl halten", erklärt der Kurator für Vorgeschichte. Er relativiert jedoch den Fund: Von archäologischer Bedeutung sei der Stoßzahn nicht, denn es sind daran keine Schlag- oder Schnittspuren zu erkennen. Diese würden zumindest etwas über das Einwirken des Menschen verraten. So gehen die Experten davon aus, dass das Mammut ganz natürlich gestorben ist.
"Solche Stücke findet man immer wieder", sagt Kurator Schmitz. Ungewöhnlich sei aber, dass der Zahn jetzt wegen des Niedrigwassers direkt am Ufer gefunden wurde. Die lange Zeit im Wasser hat dafür gesorgt, dass das Überbleibsel überhaupt noch so gut erhalten ist. Denn wenn solch ein Stück Elfenbein austrocknet, zerbröselt es schnell. Das ist auch wichtig für die Konservierung, erklärt er. Die erfolgt mit Hilfe des Kunststoffs Polyethylenglycol, kurz PEG. Der Kunststoff dringt in das Material ein und drückt das Wasser heraus. Anschließend ersetzt der Kunststoff das Wasser und erhärtet im Elfenbein - so können Fundstücke wie der Mammutzahn konserviert werden.
Vorsicht vor Munition
Wie alt der Zahn ist und ob er tatsächlich von einem Mammut oder vielleicht sogar von einem älteren Elefanten, zum Beispiel einem Waldelefanten, stammt, lasse sich momentan noch nicht mit Sicherheit sagen, so Schmitz. Wahrscheinlich sei der Zahn aber älter als 15.000 und jünger als 200.000 Jahre.
Was mit dem Zahn nach der Konservierung passiert, hängt davon ab, ob die Experten ihn für wissenschaftlich bedeutsam halten. Wenn das nicht so ist, was zur Zeit wahrscheinlich ist, dann gehört der Fund laut Bürgerlichem Gesetzbuch zur Hälfte Sonja Pilch als Finderin und zur anderen Hälfte dem Bund, weil er im Rhein, also einer Binnenwasserstraße des Bundes, gefunden wurde.
Auch wenn der Zahn keinen besonderen wissenschaftlichen Wert hat, als Ausstellungsstück in einem Museum kommt so ein großes Exemplar trotzdem in Frage. Und für Sonja Pilch hat das Fundstück ihren Blick auf ihre Umgebung in jedem Fall geschärft: "Man guckt jetzt schon ein bisschen anders hin und schaut sich die Hölzer am Rhein genauer an." Vorsichtig müsse man jedoch bei metallenen Gegenständen sein, warnt Ralf W. Schmitz vom Landesmuseum Bonn. Der historisch niedrige Wasserstand lässt nämlich auch scharfe Kriegsmunition wieder auftauchen.