Übersetzer der Literaturklassiker
5. Oktober 2013"Im Idealfall ist der Übersetzer eines Klassikers jemand, der den Text besser kennt als jeder andere Leser", sagt Wolfgang Matz, der beim Carl Hanser Verlag in München für klassische Literatur zuständig ist. Ein Gefühl für literarische Ästhetik müsse er mitbringen und historische Kenntnisse. Ein guter Übersetzter sollte, so Matz, eine Art "Zeitsprung" vollführen: "Er muss sich mit einer Art von Sprache beschäftigen, die heute möglicherweise gar nicht mehr vorhanden ist." Wer ein guter Klassiker-Übersetzer sein will, der muss ein Künstler im besten Sinne sein.
Vielerlei Fähigkeiten sind gefragt
Das Übersetzen von älteren literarischen Texten erfordert noch einmal zusätzliche Fähigkeiten. Eike Schönfeld ist einer der bekanntesten deutschen Übersetzer für englischsprachige Literatur. Er hat neben vielen aktuellen Romanen weltberühmte Autoren wie J.D. Salinger oder Vladimir Nabokov ins Deutsche übertragen.
Zu "sprachlichem Einfühlungsvermögen und einer möglichst großen Bandbreite im Deutschen", die man bräuchte, sollte man sich mit der deutschen Literatur der jeweiligen Zeit auskennen, nennt Schönfeld ein weiteres Kriterium. Schönfeld hat gerade den modernen Klassiker "Der Mann im grauen Flanell" des britischen Schriftstellers Sloan Wilson aus dem Jahre 1955 übersetzt. Für seine Verdienste erhielt Schönfeld Anfang September den angesehenen Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis.
Mit Auflagenzahlen überzeugt
Beim renommierten Hanser-Verlag erscheinen seit rund 15 Jahren Texte der Weltliteratur in Neuübertragungen. Anfangs sei man überhaupt nicht vom Erfolg des Projekts überzeugt gewesen, erzählt Wolfgang Matz im Gespräch mit der Deutschen Welle. Mit Klassikern Geld verdienen im umkämpften Buchgeschäft - das hätten damals viele vehement in Frage gestellt. Doch der Erfolg mit den ersten beiden Übersetzungen, Alessandro Manzonis "Die Brautleute" und Stendahls "Rot und Schwarz", habe dann auch die Skeptiker im Hause überzeugt.
In diesem Jahr hat man zwei Bücher von US-Amerikanern im Programm, die viele eher in den Bereich Jugendbuch einordnen würden: James Fenimore Coopers "Lederstrumpf" und Robert Louis Stevensons "Die Schatzinsel". Auch das sei ein Ziel der Reihe, sagt Wolfgang Matz, "den gängigen Literatur-Kanon zu hinterfragen". Mit Cooper habe die moderne amerikanische Literatur schließlich begonnen. Stevenson gelte in Ländern wie Frankreich längst als ein ganz großer Autor.
Mit Klassikern in die schwarzen Zahlen
Die Klassiker-Übersetzungen aus dem Hause Hanser erscheinen inzwischen in fünfstelligen Auflagen. Das seien Zahlen, von denen viele Gegenwartsautoren nur träumen, meint Matz. Ein Buch wie Hermann Melvilles "Moby Dick" ist sogar über 30.000 Mal verkauft worden. Eine beachtliche Zahl, vor allem wenn man bedenkt, dass Romane wie "Moby Dick" in mehreren älteren Übersetzungen und zudem in preiswerten Taschenbuchausgaben vorliegen.
Moderne Klassiker hat seit Jahren auch der Manesse Verlag aus Zürich im Programm. Gerade ist dort eine neue Übersetzung des amerikanischen Romans "Öl" von Upton Sinclair herausgekommen. Ein Kriterium ist bei der Veröffentlichung von Klassikern laut Verlagsleiter Horst Lauinger ganz besonders wichtig: "Lesbarkeit". Ein für die Literaturgeschichte wichtiger Barockroman sei heute zum Beispiel nicht vermittelbar, sagt Lauinger. "Wir im Lektorat haben die Aufgabe, uns quer durch alle Epochen und Kulturkreise durchzulesen und auszuwählen, was uns heutigen Lesern noch was zu sagen hat." In einem zweiten Schritt schaue man dann auf den Markt: Ist eine Übersetzung überhaupt sinnvoll? Oder genügen ältere Übertragungen noch den Ansprüchen von heute? "Man ahnt gar nicht, wie viele mäßig übersetzte Klassiker es trotz aller Bemühungen der Verlage gibt", erzählt der Verleger.
Wagner-Roman im Wagner-Jahr
Manesse hat sich darüber hinaus auf Entdeckungen spezialisiert. "Wir kümmern uns um Nischen, um Bereiche, wo sonst niemand hinsieht. Wir haben einen ganz eigenen Ehrgeiz entwickelt, Entdeckungen zu machen, auch und gerade am Rande des Kanons." Zum Richard Wagner-Jahr habe man beispielsweise den französischen Roman "Götterdämmerung" von Élémir Bourges aus dem Jahre 1884 erstmals ins Deutsche übertragen. Eine kleine Sensation.
Ein weiterer Grund, weswegen Leser immer wieder gern zu Klassikerneuübersetzungen greifen, ist die Qualität der Bücher. Bei Hanser muss man immerhin stolze 35 Euro für eine Hardcover-Ausgabe eines solchen Bandes auf den Tisch legen. Doch dafür bekommt der Leser auch etwas. Ein ausführliches Nachwort von ausgewiesenen Fachleuten ist Standard. Auch optisch sind die Bücher bei Verlagen wie Manesse und Hanser schön anzusehen - Papier und Leineneinband von höchster Qualität. "Wenn man ein Buch fürs Leben haben will, dann greift man eben auch zu einem richtig schön gemachten gebundenen Buch, das nicht nach einmaligem Lesen kaputtgeht", sagt Lauinger. "Die Buchausstattung muss einfach auch optisch den Preis rechtfertigen."
Erholung von Gegenwartsprosa
Und dann gibt es noch das ästhetische Argument: "Von Lesern höre ich sehr häufig, dass sie sich bei Klassikern förmlich erholen von der Flut der Gegenwartsliteratur", erzählt Lauinger. "Wenn ich einen Klassiker lese, dann weiß ich, dass ich auf einem ganz anderen Niveau Prosa geboten bekomme." Klassiker seien Werke, die sich über Jahrhunderte hinweg im Bewusstsein der Menschen gehalten haben und die uns auch heute noch etwas geben.
Schließlich nennt Wolfgang Matz noch einen letzten Grund für die Neuübersetzung eines Klassikers: "Viele Kritiker sagen, dass sie einen 'Don Quijote' oder einen 'Moby Dick' vorher eigentlich gar nicht gekannt haben." Das sei das Ergebnis einer guten Neuübersetzung. Auf solche Kritikerurteile hörten dann die Leser. Gerade auch auf dem Buchmarkt würden ständig neue Genies ausgerufen. Denen sage ich: "Lies mal Melville, lies mal Flaubert oder Tolstoi, dann weißt du, was ein Genie ist!"
Zum Weiterlesen: Robert Louis Stevenson: "Die Schatzinsel", Hanser-Verlag, erscheint am 30. September 2013; Upton Sinclair: "Öl"; Elémir Bourges: "Götterdämmerung", beide bei Manesse erschienen; Sloan Wilson: "Der Mann im grauen Flanell", DuMont-Verlag.