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Politik

Neue "Territorialarmee" gegen Taliban

Waslat Hasrat-Nazimi | Hussain Sirat
27. April 2018

Um den Taliban besser zu trotzen, will die afghanische Regierung Zivilisten in gefährdeten Gebieten bewaffnen. Ähnliche Versuche gab es bereits vor einigen Jahren mit der lokalen Polizei - mit zweifelhaften Resultaten.

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Afghanistan Armee Ausbildung Militär
Bild: DW/Tanha

Vor dem Beginn ihrer alljährlichen sogenannten "Frühlingsoffensive" überlegen sich die Taliban, unter welchem sprechendem Namen sie ihre kommenden Anschläge zusammenfassen wollen. Dieses Jahr haben sie sich für "Al Khandaq" ("der Graben") entschieden. Wie schon früher sind vor allem die "amerikanischen Invasoren" und deren "einheimischen Unterstützer" die vorrangigen Ziele, gemeint sind die afghanische Regierung und Sicherheitskräfte, aber auch NGOs. Mögliche Friedensgespräche sind damit vorerst auf Eis gelegt.

Um den erstarkten Taliban zu trotzen, setzen USA und afghanische Regierung auf mehr Soldaten und eine stärkere Präsenz der afghanischen und amerikanischen Truppen im Land. Präsident Donald Trump stellte bereits im August 2017 eine neue, aggressivere Afghanistan-Strategie vor. Nachdem jahrelang US-Truppen reduziert wurden, sollen nun wieder Tausende zusätzliche US-Soldaten entsendet werden, momentan sind etwa 15.000 in Afghanistan stationiert.

Gleichzeitig plant die afghanische Regierung eine Verstärkung der afghanischen Sicherheitskräfte. Eine sogenannte "Territorialarmee" nach indischem Vorbild soll Abhilfe schaffen. Die indische Territorialarmee ist eine Heeresreserve, in der nicht professionelle Soldaten dienen, sondern Bürger mit zivilen Berufen.

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Der Wunsch dieser Afghanen nach einem Friedensabkommen zwischen Regierung und Taliban wird wohl noch länger Wunsch bleiben - beide Seiten setzen auf militärische LösungenBild: DW/M. Mojtaba

Aufbau der Territorialarmee hat begonnen

In Afghanistan sollen in mehreren Phasen insgesamt 36.000 Rekruten eingestellt werden. Laut dem afghanischen Verteidigungsministerium würde sich damit die Zahl der afghanischen Sicherheitskräfte mitsamt Armee und Polizei auf 390.000 belaufen. Mohammad Radmanesh, ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, sagte gegenüber der DW: "Wir sind noch in der Einführungsphase, der Prozess wird Zeit in Anspruch nehmen. Bis jetzt sind etwa 350-400 Männer eingeführt worden. Diese Zahl wird jedoch stetig steigen", so Radmanesh.

Die "Territorialarmee" soll zudem lediglich in ihren Einsatzgebieten dienen und nicht an weiteren Operationen teilnehmen. Außerdem bekommen ihre Angehörigen nur 75 Prozent des Gehalts und der Zuwendungen, die die afghanische Armee erhält.

"Die "Afghan National Army Territorial Force' soll Gebiete halten, aus denen die afghanische Armee die Taliban oder den IS vertreibt, weil die Armee bisher oft nicht in der Lage war, diese zu halten", erklärt Thomas Ruttig, Afghanistan-Experte und Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network.  Ob die neue Miliz das kann, müsse sich erst herausstellen, so Ruttig gegenüber der DW.

Die Idee der "Territorialarmee" ist nicht ganz neu in Afghanistan. Die Lokale Polizei (ALP), die seit 2006 ausgebildet wird, arbeitet unter ähnlichen Bedingungen und hat ähnliche Aufgaben. Der Unterschied ist, dass die ALP unter den Verantwortungsbereich des Innenministeriums fällt. Bisher ist noch nicht klar, ob mit der Einführung der "Territorialarmee" die lokale Polizei ergänzt oder abgeschafft werden soll.

Afghanistan Lokal Polizei ALP Archiv
Einheit der Afghanischen Lokalen Polizei in der Provinz Urusgan. Die Bilanz der 2011 gegründeten ALP ist gemischt Bild: AP

Neue Milizen - mehr Probleme?

Die ALP hat in den letzten Jahren jedoch viel Kritik einstecken müssen. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Aktivisten beklagten Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und eine Terrorisierung der Bevölkerung. So hätten in der Vergangenheit regierungstreue Milizen die Sicherheitslage im Land öfter gefährdet als beschützt. Experten und afghanische Politiker befürchten aus diesem Grund eine ähnliche Entwicklung bei der neuen "Territorialarmee".

"Dieses Vorhaben wird nur einen neuen Kriegsherd bereiten und zu mehr Unsicherheit führen", sagt Hashim Alokozay, Vorsitzender des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses des afghanischen Senats, der DW. "Es werden neue  Milizen gebildet, was nicht im nationalen Interesse ist." Auch Thomas Ruttig sieht die Zukunft der neuen Milizen kritisch. "Die Erfahrung mit der ALP ist, dass sie oft unregelmäßig bezahlt wird, auch sonst nicht verlässlich ist und in vielen Fällen die örtliche Bevölkerung drangsaliert, und dadurch oft den Taliban die Tür öffnet", so Ruttig.

Zudem befürchten Experten, dass die Lokale Polizei und die neue "Territorialarmee" sich in die Quere kommen und dass sogar Kämpfe zwischen beiden Organisationen entstehen könnten. Außerdem gibt es die Sorge, dass die bewaffneten Zivilisten von lokalen Warlords für deren private Auseinandersetzungen mit Rivalen rekrutiert werden, wie es bereits mit der ALP der Fall ist.

Das Verteidigungsministerium jedoch teilt diese Angst nicht. "Wir wählen nur Männer für verantwortungsvolle Positionen aus, die bereits in der Armee gedient haben, deshalb ist die Chance einer Destabilisierung sehr gering", sagt Mohammad Radmanesh.

Thomas Ruttig
Afghanistan-Experte Ruttig: Militarisierung der afghanischen Gesellschaft wird verstärktBild: picture-alliance/dpa/AAN

"Vom Westen durchgesetztes Konzept"

Hashim Alokozay sieht das nicht so optimistisch. Seiner Meinung nach sei das wahre Opfer die normale Bevölkerung. „Den lokalen Warlords und der Mafia wird nur eine weitere Chance gegeben, sich weiter zu bewaffnen und zu stärken. Das schadet dem Volk. Afghanistan hat bereits genug schlechte Erfahrungen bei der Bewaffnung  der Bevölkerung gemacht", unterstreicht Alekozay.

Nicht immer seien die bestehenden ALP-Einheiten problematisch, wendet Thomas Ruttig ein.  Einige würden gut funktionieren, und an eben diesen orientiere man sich, nicht an den aus dem Ruder gelaufenen. „Aber letztere sind natürlich das Problem, auch weil sie sich oft nicht wieder auflösen, selbst wenn die Bezahlung eingestellt wird", so Ruttig. Insgesamt aber stelle die Proliferation aller möglichen Milizen ein enormes Konfliktpotenzial für die Zukunft Afghanistans dar, da dadurch die afghanische Gesellschaft weiter militarisiert werde. Man könne nicht voraussehen, wohin ihre Loyalitäten in der Zukunft gehen werden. Thomas Ruttig fasst zusammen: „Dieses von Westen durchgesetzte Konzept ist also bestenfalls in manchen Fällen eine Kurzzeitlösung, aber langfristig sehr problematisch".