Corona: Durchbruch fürs Homeoffice?
22. Juli 20203, 2, 1, Homeoffice. Für die meisten war der Umzug an den heimischen Schreibtisch zu Beginn der Coronapandemie ein Sprung ins kalte Wasser.
Neue Abläufe mussten her, ein neues Zeitmanagement, es gab neue Stör- und Ablenkungsfaktoren, neue Einblicke ins Privatleben der Kollegen und Kolleginnen - und sicherlich gab es auch die ein oder andere technische Schwierigkeit zu überwinden.
Gar nicht mal so übel
Doch mittlerweile scheinen sich die meisten Arbeitnehmer mit den neuen Gegebenheiten ganz gut arrangiert zu haben. Das geht aus einer Studie der Krankenkasse DAK hervor.
Während sich vor der Pandemie noch 21 Prozent der Beschäftigten regelmäßig gestresst fühlten, waren es während - oder sogar trotz - der Corona-Krise nur 15 Prozent. Der Anteil der Erwerbstätigen, die nie oder nur gelegentlich gestresst waren, stieg unterdessen von 48 auf 57 Prozent.
Die Forschungsinstitute IGES und Forsa hatten für die DAK-Studie vor und während der Pandemie jeweils rund 7000 Beschäftigte befragt. Von denjenigen, die mittlerweile regelmäßig zu Hause arbeiten, sagten 56 Prozent, sie seien dort produktiver als im Büro.
Zwei Drittel erklärten außerdem, im Heimbüro könnten sie Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren. Ähnlich viele freuen sich über den Zeitgewinn, seit das Pendeln zum Arbeitsplatz weggefallen ist.
"Von zu Hause aus zu arbeiten, senkt nicht nur die Ansteckungsgefahr vor Virusinfektionen, sondern zahlt sich auch für das seelische Gleichgewicht aus", bilanziert DAK-Vorstandschef Andreas Storm.
Aber...
Die positiven Erkenntnisse müsse man für die Zukunft nutzen - "ohne die negativen Aspekte des Homeoffice zu übergehen, die es ebenfalls gibt", sagt Storm.
Denn fast jeder Zweite vermisst laut der Studie die klare Trennung zwischen Job und Privatleben. Bei den 18- bis 29-Jährigen bemängelt das sogar eine Mehrheit von 52 Prozent. Drei Viertel der Befragten fehlt zudem der direkte Kontakt zu den Kollegen.
Doch viele Betroffene wollen das Homeoffice trotzdem nicht mehr missen: 76,9 Prozent der Beschäftigten, die erst seit der Corona-Krise regelmäßig in der eigenen Wohnung arbeiten, möchten diese Arbeitsform auch in Zukunft beibehalten - zumindest teilweise.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam kürzlich eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO).
Digitalisierungsschub durch Corona
Doch in der DAK-Analyse zeigte sich noch ein anderer positiver Nebeneffekt der Pandemie: Die Mehrheit der Arbeitgeber (57 Prozent) weitete die Möglichkeiten für digitales Arbeiten spürbar aus. Den stärksten Schub erleben digitale Vorreiter, also die Firmen, die neue digitale Technik erfahrungsgemäß ohnehin schnell und möglichst breit im Betrieb einführen.
Doch auch digitale Nachzügler reagierten in der Krise. Zu den Branchen, die die Möglichkeiten digitalen Arbeitens während der Krise besonders stark ausgebaut haben bzw. noch immer ausbauen, gehören Banken und Versicherungen (80 Prozent) sowie IT-Dienstleister (75 Prozent). Leicht überdurchschnittlich reagierten Automobilindustrie, Kultur und Medien (jeweils 68 Prozent).
Am Ende könnte COVID-19 also tatsächlich dazu beitragen, unser Arbeitsleben dauerhaft zu verändern.
New Normal?
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) Eric Schweitzer bremst die Euphorie allerdings ein wenig und zeigte sich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) indes kritisch - zumindest was die Umsetzung betrifft. Zwar erwartet auch er mehr Videokonferenzen und weniger Dienstreisen, glaubt aber, dass sich die meisten Unternehmen auf Dauer nicht vom Rechner aus steuern lassen.
"Wir haben auch gemerkt, dass wir vieles doch mobil erledigen können, was wir bis dahin nicht für denkbar gehalten haben", räumte Schweitzer ein. "Allerdings dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, unser komplettes Wirtschaftsleben von Zuhause aus erledigen zu können", so Schweitzer. "Die meisten Unternehmen lassen sich auf Dauer nicht vom Rechner aus steuern."
Oder vielleicht doch? Siemens hat jüngst ein neues Konzept verabschiedet, wonach mobiles Arbeiten von nun an als Kernelement der "neuen Normalität" fungiert.
"Die Corona-Krise hat einen Digitalisierungsschub ausgelöst. Mobiles Arbeiten bei Siemens gab es schon immer, aber jetzt gehen wir einen Schritt weiter", so Roland Busch, der designierte Vorstandsvorsitzender und derzeitige Arbeitsdirektor der Siemens AG. Von dem neuen Arbeitskonzept erwartet sich der Konzern zudem eine Weiterentwicklung der Unternehmenskultur. "Damit verbunden ist auch ein anderer Führungsstil, der sich an Ergebnissen orientiert, nicht an der Präsenz im Büro", so Busch.
Der führende deutsche Technologiekonzern möchte Homeoffice ab sofort, zumindest für zwei bis drei Tage pro Woche als Standard im gesamten Unternehmen etablieren. Davon betroffen sind mehr als 140.000 Mitarbeiter des Konzerns in 43 Ländern, darunter rund 45.000 in Deutschland.
Trotz aller Skepsis rechnet auch DIHK-Präsident Schweitzer am Ende damit, dass sich die Arbeitswelt erheblich verändern wird. "Wir werden nicht wieder in die Zeit von vor Corona zurückkehren."
Tatsächlich dürfte das Homeoffice die Corona-Krise überdauern - nicht nur wegen der positiven Erfahrungen vieler Beschäftigten. Nach einer Befragung des Münchner Ifo-Instituts gehen auch 54 Prozent der Unternehmen davon aus, dass diese Arbeitsform dauerhaft zunimmt.