Neue Hoffnung für die Peschmerga
9. August 2014"Dort, dort drüben sind sie". Faisal Abdullah zeigt geradeaus und gibt der deutschen Journalistin sein Fernglas in die Hand. Doch selbst damit sind die Männer, auf die der Major der kurdischen Peschmerga hinweist, nur schwer zu erkennen. Wie schwarze Strichmännchen bewegen sie sich vor der Linse. "Das ist Daash", sagt der Kurde in braun-grün gefleckter Uniform mit je einem fliegenden Vogel auf den Schulterklappen. "Sie haben Bärte und sind schwarz gekleidet, manche tragen lange Gewänder wie in Afghanistan."
Abdullah kommandiert eine kleine Kompanie von etwa 60 Kämpfern und kommt gerade vom Mossul-Damm, wo er und seine Männer 15 Tage lang gegen die Terrorgruppe IS gekämpft haben, die seit nunmehr zwei Monaten Angst und Schrecken im Irak verbreitet. Der alte Freiheitskämpfer mit sonnenverbrannten, gegerbten Gesichtszügen ist müde, erschöpft und deprimiert. Zwar hätten er und seine Leute den Mossul-Damm vorerst zurückerobert, aber das gehe schon seit Tagen hin und her. Der Staudamm und seine Schleusen sind ein strategisch wichtiges Element für das Kalifat, das der IS im Irak und Syrien errichten will. Wasser ist dafür unentbehrlich.
Der Kampf um die Ressource wird im Zweistromland derzeit genauso erbittert geführt wie die Schlacht ums Öl. Während der IS oder Daash, wie das arabische Wort für die Terrororganisation heißt, bereits die Provinz Anbar nordwestlich von Bagdad fest im Griff hat und damit das Wasser des Euphrat kontrolliert, will sie jetzt auch das Sagen über den Tigris haben. Sollte dies gelingen, wäre die Wasserversorgung des Irak gänzlich von den Terroristen abhängig. Sie könnten über Trockenheit oder Flut bestimmen, über das Lebenselixier von 33 Millionen Menschen. "Das können wir nicht zulassen", sagt der Major.
"Das sind keine Menschen"
Auf der Straße von Tilkef nach Dohuk sind die Truppenbewegungen nicht zu übersehen. Lange Konvois mit Militärlastwagen und Jeeps bringen die Soldaten in die Berge von Irak-Kurdistan und mischen sich mit den unzähligen Flüchtlingstrecks, die vor den IS-Terroristen fliehen. Am späten Mittwochabend begann die zweite Angriffswelle der Dschihadisten von Mossul aus nach Osten in Richtung Erbil, der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion und nach Norden in Richtung Dohuk. Davor hatten die schwarzen Bärtigen von Syrien aus kommend schon die Jesiden-Stadt Sindschar angegriffen, brachten Zmmar am Mossul-Stausee unter ihre Kontrolle und verschanzten sich zum Stellungskampf am Damm.
Ihr offensichtliches Ziel: Im gesamten Raum zwischen der syrischen Grenze und den kurdischen Autonomiegebieten soll die Flagge des Kalifats wehen. Dafür bombardieren und beschießen sie christliche, jesidische, turkmenische, aber auch kurdische Dörfer und Städte, treiben die Einwohner in die Flucht, setzen Kirchen und Grabmäler in Brand, plündern Häuser und Geschäfte von Christen und Jesiden, ermorden jeden, der sich ihnen in den Weg stellt. Hunderttausende suchen derzeit Zuflucht in Erbil, Dohuk und den Bergen Kurdistans.
"Das sind keine Menschen", charakterisiert Major Abdullah die mordende und brandschatzende Truppe. Deren Sache sei das Sterben für den Dschihad, "während wir Leben erhalten wollen". Am Freitag ziehen sich die Peschmerga dann zurück - resigniert, ernüchtert, gedemütigt. Tilkef, Bashiqa, Hamdanija, Bartilla und die Christenhochburg Karakosch sind in die Hände von Daash gefallen. Die Terrororganisation ist bis auf 40 Kilometer an Erbil herangerückt und steht 50 Kilometer vor Dohuk. Die kurdische Regionalregierung spricht von 150 toten und 500 verletzten Kämpfern. "Alleine werden wir mit denen nicht fertig", schätzt Faisal Abdullah die Möglichkeiten der Peschmerga pessimistisch ein. Jetzt steigt der Major erst einmal in seinen Jeep und fährt nach Hause, um sich auszuschlafen.
"Die dem Tod ins Auge Sehenden"
Peschmerga ist der kurdische Begriff für die irakisch-kurdischen Freiheitskämpfer und heißt übersetzt "die dem Tod ins Auge Sehenden". Es sind die bewaffneten Einheiten der kurdischen Parteien KDP (Demokratische Partei Kurdistans) und PUK (Patriotische Union Kurdistans). Von manchen wird sie auch als Kurdenmiliz bezeichnet. Ihre historischen Wurzeln reichen zurück in die Zeit des Untergangs des Osmanischen Reiches, das bis in die 1920er Jahre hinein das Kurdengebiet beherrschte. In dieser Zeit erstarkte die kurdische Unabhängigkeitsbewegung, die bis heute ihren Fortbestand hat.
Kämpfe für mehr Autonomie gegen die Zentralregierung in Bagdad beherrschten seit den 1960er Jahren die Agenda der Peschmerga. Saddam Hussein konterte mit Giftgas, Deportationen und Massenhinrichtungen. Bei dem Einmarsch der amerikanischen und britischen Truppen im Frühjahr 2003, marschierten Peschmerga-Kämpfer stellvertretend in die Städte Mossul und Kirkuk ein, da das Parlament in Ankara den US-Truppen den Durchzug durch die Türkei in den Nordirak untersagte. Nach dem Sturz Saddam Husseins in Bagdad zogen sich die Kurden aus diesen Gebieten zugunsten der Amerikaner wieder zurück, beanspruchen aber seitdem die Verwaltungshoheit über Kirkuk und einige andere mehrheitlich von Kurden bewohnte Orte außerhalb der drei Kurdenprovinzen Erbil, Dohuk und Sulaimaniyya.
Jubel über Obamas Entscheidung
Im Juni dann ergriffen "die dem Tod ins Auge Sehenden" ihre Chance. Auf Befehl der kurdischen Regionalregierung sicherten Peschmerga-Einheiten nach der Flucht irakischer Truppen vor dem IS Gebiete um Kirkuk und nördliche Teile von Mossul bis zur syrischen Grenze, sodass diese seitdem de facto zum kurdischen Autonomiegebiet zählten. Jetzt beansprucht der IS diese Gebiete für sich.
Als US-Präsident Barack Obama seine Unterstützung für die Kurden im Kampf gegen den IS verkündet und Luftangriffe anordnet, bricht in Dohuk Jubel aus. Spontan versammeln sich zumeist junge Menschen im Stadtzentrum zu einer Demonstration zur Unterstützung der Freiheitskämpfer, singen patriotische Lieder und schwenken kurdische Fahnen. "Danke Obama", rufen sie, "Auf geht's, Peschmerga!" und "Raus mit den Arabern!"