Neue Gas-Pipelines sind keine Lösung
14. Februar 2022Es war ein festlicher Moment. Im Januar 2020 unterzeichneten Griechenland, Israel und Zypern in Athen ein Grundsatzabkommen über den Bau der Mittelmeer-Gas-Pipeline Eastmed. Das Konzept: Ab 2025 liefert Israel aus dem östlichen Mittelmeer über eine 1900 Kilometer lange Unterwasser-Pipeline Erdgas nach Westeuropa. Italien ist Hauptabnehmer, sämtliche Staaten Südosteuropas kommen in den Genuss verbilligter Erdgas-Lieferungen.
Bei der Unterzeichnung schwärmte Griechenlands damaliger Energieminister Kostis Hatzidakis von einem "Friedensprojekt, das zur Energiesicherheit Europas beiträgt und von der EU unterstützt wird". Der zyprische Staatschef Nikos Anastasiades sprach sogar von einem "historischen Ereignis". Dass die Regierungsvertreter Italiens ihre Teilnahme an der Unterzeichnung des Abkommens überraschend abgesagt hatten, wollten die Gastgeber zu diesem Zeitpunkt nicht überbewerten. Zu sehr überwog die Freude über die künftige Rolle Griechenlands als Energieknotenpunkt im östlichen Mittelmeer. Soweit die Theorie.
Zwei Jahre später ist bei allen Beteiligten Ernüchterung eingekehrt. Die Finanzierung des Projekts ist noch immer nicht gesichert. Nach übereinstimmenden griechischen Medienberichten hätten zudem die USA mit Hinweis auf wirtschaftliche Engpässe und politische Komplikationen im östlichen Mittelmeer vom Bau der neuen Pipeline abgeraten. Davon berichtete zuletzt das Brüsseler Magazin Politico - und erklärte das Projekt für "tot".
Falsche Erwartungen
Nun erklärt Griechenlands Regierungssprecher Jannis Economou, letzten Endes müsse der Markt entscheiden, ob sich die Gas-Pipeline wirtschaftlich rechne. Jorgos Kyrtsos, EU-Parlamentarier der in Athen regierenden Nea Dimokratia (ND), glaubt jedoch nicht, dass Privatinvestoren die nötigen sechs Milliarden Euro zusammenbringen. "Ich habe nie damit gerechnet, dass sich dieses Projekt wirtschaftlich trägt. Und ich bezweifle sogar, dass die beteiligten Länder jemals daran geglaubt haben", sagt Kyrtsos der DW. Außerdem seien die jüngsten Spannungen zwischen Griechenland und dem Nachbarland Türkei nicht hilfreich gewesen, mahnt der Ökonom. Denn: "Wenn eine mächtige Regionalmacht wie die Türkei bei einem solchen Projekt außen vor bleibt, dann geht die Rechnung nur schwer auf."
Unzeitgemäß erscheinen heute auch die Erwartungen der beteiligten Länder, die EU könnte die neue Pipeline zum großen Teil finanzieren. Bis zum Jahr 2030 will die EU ihre CO2-Emissionen um 55 Prozent senken. Deshalb gelten Neuinvestitionen in Pipelines oder Gaskraftwerke als verpönt. Zwischen 2008 und 2019 subventionierten die EU-Mitgliedstaaten fossile Brennstoffe aus öffentlichen Geldern mit über 50 Milliarden Euro pro Jahr. Das geht aus dem jüngsten Bericht des Europäischen Rechnungshofs hervor. Diese Subventionen "stellen ein Hindernis auf dem Weg zu den Klimazielen dar", monieren die Rechnungsprüfer.
Streit um die "Taxonomie-Verordnung"
Ende 2021 konnten sich Vertreter aller EU-Mitgliedstaaten auf neue Vorschriften für grenzüberschreitende Energieprojekte einigen. Demnach ist die Förderung von Erdgas-Pipelines mit EU-Geldern nicht mehr erlaubt. Eine Ausnahme gilt jedoch für den künftigen Anschluss Zyperns an das europäische Gasnetz. Kommt es damit also zu einer Teilfinanzierung von Eastmed durch die Hintertür? Noch ist die Lage unübersichtlich.
Im Übrigen will die EU-Kommission in ihrer sogenannten "Taxonomie-Verordnung" auch Erdgas als umweltfreundliche Energie einstufen - wenn auch nur übergangsweise und unter Auflagen. Hier sieht das griechische Wirtschaftsportal Energy Press durchaus Möglichkeiten für eine Finanzierung durch EU-Gelder. Eine Förderung von neuen Gas-Pipelines ist in der Taxonomie-Verordnung eigentlich nicht vorgesehen. Oder vielleicht doch? "Mal ist die EU-Kommission für Erdgas und mal dagegen", klagt der EU-Parlamentarier Kyrtsos. "Die Regeln sind derzeit unklar, wir wissen nicht, wer förderungswürdig ist und wer nicht. Das ist ein Problem für einen potentiellen Investor, der Planungssicherheit braucht", fügt der konservative Politiker hinzu.
Gas statt Kohle
Noch drastischer bringen es Experten auf den Punkt: Das Abschalten aller fossiler Energieträger wäre ein Schuss ins eigene Knie, mahnt Alexandros Lagakos, Leiter der Athener Energiefirma Blue Grid und Mitbegründer des Think Tanks Greek Energy Forum. In den kommenden Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, bleibe Erdgas ein wichtiger Bestandteil im Energiemix Europas, so Lagakos. Darüber seien sich alle Experten einig.
Das gilt besonders für Südosteuropa: In den EU-Ländern Griechenland und Bulgarien, aber auch anderswo in der Region, steht Gas als vergleichsweise umweltfreundlicher Energieträger hoch im Kurs - um von der noch klimaschädlicheren Kohle wegzukommen. Allein in der griechischen Braunkohleregion Westmakedonien läuft derzeit ein Förderprogramm in Höhe von rund sieben Milliarden Euro für die Abkehr von Kohlekraftwerken.
TAP - eine kleine Erfolgsgeschichte
Immerhin ein wichtiges Pipeline-Projekt konnte im Südosten Europas bereits realisiert werden: Seit Dezember 2020 beliefert Aserbaidschan den Kontinent mit Brennstoff über die Transadriatische Pipeline (TAP). Der knapp 900 Kilometer lange Gaskorridor führt von der türkisch-griechischen Grenze über Albanien bis nach Italien. Er hat eine Kapazität von zehn Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Das Projekt wurde von der EU unterstützt und durch die Europäische Investitionsbank (ΕΙΒ) finanziert. Von den Gaslieferungen profitieren auch Bulgarien und Griechenland. "Ab jetzt herrscht Diversifizierung", verkündete der damalige bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow Ende 2020 und erklärte damit das Quasi-Monopol von Gazprom für beendet. Eine ernst zu nehmende Konkurrenz für russisches Gas?
Für Alexander Lagakos liegt der Erfolg auf der Hand, "wenn man bedenkt, dass Bulgarien und Griechenland jeweils eine Milliarde Kubikmeter Erdgas pro Jahr über die TAP-Pipeline erhalten. Auf dem kleinen Markt Südosteuropas könnte die Gasmenge aus Aserbaidschan durchaus ins Gewicht fallen". Im gesamteuropäischen Kontext sähe es jedoch anders aus: Jedes Jahr verbrauchten die Europäer 500 Milliarden Kubikmeter Gas, da könnten auch die Lieferungen aus Aserbaidschan den Wettbewerb kaum verändern, so der Energieexperte.
Daher kämen die EU-Mitgliedstaaten an Russland noch immer nicht vorbei. "Als einziger Gasanbieter wäre Russland durchaus in der Lage, seine Lieferungen deutlich zu erhöhen", sagt Lagakos. "Doch das tut es nicht. Russland will von den heutigen Rekordpreisen profitieren."