Warten auf die Energiewende auf dem Balkan
17. April 2019Wären die Länder des Westbalkans schon morgen Mitglieder in der EU, würden alle Kohlekraftwerke über Nacht pleitegehen. So fasst Janez Kopac das Ergebnis seiner neuesten Studie zusammen. Kopac ist der Direktor der "Energy Community", einem Zusammenschluss der Europäischen Union und der Länder Ost- und Südosteuropas für den Energiebereich.
Bereits jetzt stecken Bosnien, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien jährlich knapp 170 Millionen Euro an Subventionen in die Kohlekraft. Wären die fünf Länder in der EU, würden jährlich eine Milliarde Euro dazukommen. Der Grund dafür: der Emissionshandel der Europäischen Union.
Kohlestrom vom Balkan erzielt Gewinne in der EU
In der EU müssen Unternehmen, die mit Treibhausgasen die Luft belasten, dafür Rechte kaufen. Der Ausstoß einer Tonne Kohlendioxid (CO2) kostet beispielsweise gut zwanzig Euro. Die Kohlekraftwerke auf dem Westbalkan sind besonders schmutzig und gesundheitsschädlich. Daher ist die Summe so hoch, die nötig wäre, um die Betriebe nach einem EU-Beitritt am Laufen zu halten.
Janez Kopac rät, bereits jetzt eine Emissionssteuer einzuführen. Statt zwanzig sollten wenige Euro pro Tonne erhoben werden, die dann in den Ausbau erneuerbarer Energie investiert werden könnte. Dadurch könnte der Energiesektor langsam auf einen möglichen EU-Beitritt vorbereitet werden.
Die Realität sieht aber anders aus. In den nächsten Jahren sollen neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Dahinter steckt Kalkül: "Der auf dem Westbalkan erzeugte Kohlestrom wird größtenteils in die EU exportiert. Dort ist er billiger als Strom aus EU-Kohlekraftwerken, die Emissionsgebühren zahlen müssen", so Kopac. Die Rechnung gehe also auf.
Irrweg Wasserkraft
Massive staatliche Subventionen für Strom aus Kohle gibt es auch in der EU, beispielsweise in Deutschland oder Polen. Die Europäische Kommission fordert seit Jahren, die Energiegewinnung aus nachhaltigen Quellen auszubauen. Bis 2020 sollen zwanzig Prozent des in der EU konsumierten Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen. Bis 2030 sollen es 32 Prozent sein. Viele EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, werden die Zielvorgabe für 2020 nicht erreichen.
Länder, die der EU beitreten wollen, sollen sich ebenfalls an den Zielen orientieren. Der Bau "grüner" Kraftwerke wird daher in Südosteuropa ebenfalls gefördert. Das führte dazu, dass aktuell über 2.700 sogenannte Mini-Wasserkraftwerke mit einer Leistung von bis zu zehn Megavoltamper in Serbien, Bosnien, Kroatien, Nordmazedonien, Albanien und Montenegro geplant und gebaut werden - zum Leidwesen der lokalen Bevölkerung und Umweltschützer.
Stromgewinnung aus Wasserkraft sei allgemein nur bedingt nachhaltig, so Igor Kalaba von Climate Action Network, da die Dämme großen Schaden in der Natur anrichten. Mini-Wasserkraftwerke seien ohne Subventionen wirtschaftlich nicht rentabel und würden wegen ihrer geringen Größe nichts zur Energiesicherheit der Region beitragen. Die Zerstörung der Landschaft sei unverhältnismäßig. Baugenehmigungen würden oft ohne oder trotz mangelhafter Umweltverträglichkeitsprüfung vergeben. Betreiber solcher Kraftwerke seien Gewinne bei den derzeitigen Gesetzen trotzdem sicher, so Kalaba.
Fortschritte trotz fehlendem politischen Willen
Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, fordert Kalaba eine Kurskorrektur weg von Subventionen für Kleinwasserkraftwerke und hin zu öffentlichen Ausschreibungen für größere Wind- und Solarprojekte. Diese sollen vom Höchstbietenden umgesetzt werden, ähnlich wie es vereinzelt bereits in der EU der Fall ist. Grundlage für alle Ausschreibungen könnten regelkonforme Umweltverträglichkeitsprüfungen sein, in die auch die lokale Bevölkerung eingebunden werden soll, so der Klimaaktivist.
Großes Potenzial sieht Kalaba auch bei der Effizienz der Energieversorgung in den Ländern Südosteuropas. Bestehende Kraftwerke könnten durch Modernisierungen mehr Strom produzieren. Bessere Leitungssysteme und Endgeräte könnten helfen, Energie zu sparen. Warum das nicht umgesetzt wird, hat mehrere Gründe, so Igor Kalaba.
Manchmal würden Kompetenzen und Ressourcen fehlen, um beispielsweise Umweltrichtlinien umzusetzen und zu kontrollieren. Meistens fehle aber der politische Wille. Um das Stromnetz in der Region effizienter zu machen, müssten die Netze der einzelnen Länder besser miteinander verbunden werden. Das würde den Staaten Vertrauen in ihre Nachbarländer abverlangen.
Trotz aller Probleme gäbe es aber auch positive Ergebnisse. In Nordmazedonien, Serbien und Kroatien seien in den letzten Jahren Windparks entstanden, die alle Auflagen erfüllen und tatsächlich nachhaltig sind. Die größte Entwicklung sieht Igor Kalaba aber in der Bevölkerung: "Vor fünf Jahren hat niemand in der Region über die Energiewende gesprochen. Jetzt reden die Menschen darüber. Das ist ein gewaltiger Fortschritt."