Frische EU-Abgeordnete staunen
3. Juli 2014Ein zylinderförmiger Bürobau und eine langgestreckte Ellipse aus Glas und Stahl am Ufer des Flüsschen Ill in Straßburg. Das ist der Sitz des Europäischen Parlaments. Der frisch gebackene Abgeordnete Hans-Olaf Henkel näherte sich seiner neuen Wirkungsstätte mit dem Auto. Erst hat er sich verfahren, dann den Parlamentspalast dank Navigationsgerät gefunden. "Als ich dann das Richtige fand, da war mir so wie als 25-Jähriger, als ich das erste Mal vor den Pyramiden in Kairo stand. Ich war überwältigt." Jetzt ist Hans-Olaf Henkel 74 Jahre alt, elegant in einen leichten Sommeranzug gekleidet, durch die vielen endlosen Gänge und Treppenfluchten des Parlaments unterwegs. "Ich war vorhin zum zweiten Mal in meinem Büro und es hat etwas gedauert, es zu finden. Der Rückweg war auch etwas kompliziert zu finden, aber architektonisch gefällt mir das alles hier in Straßburg wesentlich besser als dieses unglaubliche architektonische Monster in Brüssel."
Henkel startet eine neue Karriere als Politker, kritisiert die Gemeinschaftwährung Euro und den viel zu großen Apparat der EU. "Wir sind der Meinung, dass man innerhalb von sieben Jahren diesen Wasserkopf um 50 Prozent verkleinern müsste. Wir sind der Meinung, dass wir nicht 28 Kommissare brauchen mit jeweils einem großen Kabinett, sondern 12 würden reichen." Wenn der passionierte Segler von "Wir" spricht, dann meint er seine Partei "Die Alternative für Deutschland", die bei der Europawahl Ende Mai aus dem Stand sieben Mandate holte. Die "AfD" hat sich in die Fraktion der konservativen Europa-Skeptiker eingereiht, zu der auch die konservative Partei des britischen Premiers David Cameron gehört. Hans-Olaf Henkel war Unternehmer, Verbandschef, Berater und hat zahlreiche Posten und Pöstchen innegehabt. Er weiß, wie man sich auf dem politischen Parkett bewegt. Sein Leben will er als Abgeordneter nicht völlig umkrempeln und an jeder Plenarsitzung müsse man ja auch nicht teilnehmen. "Na, ja, ich werde versuchen, so oft und lange wie möglich dazusein, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich nun jedes Mal da rumsitze. Denn es gibt ja noch andere Aufgaben, die man übrigens als Parlamentarier wahrnehmen muss." Was er anstellen muss, um im Plenum eine Rede halten zu dürfen, ist ihm eigentlich schnuppe. "Ich habe keine Ahnung und lege auch keinen großen Wert darauf, ehrlich gesagt.
Mehr Spaß im Parlament
Reden halten im Parlament will dagegen Martin Sonneborn. Der einzige Abgeordnete der "Partei" weiß um die Macht des Wortes. Er ist von Beruf Satiriker, Journalist, Polit-Clown. "Ich muss Anträge stellen und ich muss meine Reden auf eine Minute reduzieren und kürzen, aber im Zeitalter von Twitter dürfte das ja nicht schwer sein.", weiß der 49-jährige Neu-Abgeordnete. Auch sein Büro in dem verwinkelten Parlamentsbebäude hat er recht schnell gefunden, aber ganz so elegant wie Hans-Olaf Henkel kommt er nicht daher. Der Hemdkragen steht hoch. Die Krawatte ist ein wenig schief. Ständig muss der Vertreter der Spaß-Partei Reporterfragen beantworten, zum Beispiel, welche Gedanken ihn beim ersten Betreten des Hohen Hauses durch den Kopf gingen. Antwort: "Ich dachte, das wird alles eines Tages uns gehören und daran werden wir jetzt fünf Jahre arbeiten müssen."
Martin Sonneborn grinst und man weiß nicht recht, was an seinem Politikerleben Ernst ist und was Spaß. "Nach Aussage des Bundesverfassungsgerichts ist das Parlament in Straßburg ein absolutes Spaßparlament, das nicht Ernst genommen gehört. Sonst wäre ja auch die Drei-Prozent-Hürde nicht gekippt worden und wir wären hier nicht im Parlament. Das sieht alles ganz spaßig aus hier und wird wohl auch so sein, hoffe ich.", sagt Sonneborn. Dem Verfassungsgericht haben nicht nur "Die Partei" Sonneborns, sondern auch die Tierschutzpartei, die Ökologisch-Demokratische Partei, die Familienpartei und die rechtsextreme NPD ihren Einzug ins Europaparlament zu verdanken. Ohne die aufgehobene Sperrklausel reichte in Deutschland etwas mehr als ein Prozent der Stimmen, um ein Mandat im Europaparlament zu erringen.
Ein ziemlich irrer Haufen
Diese Chance hat Martin Sonneborn genutzt und findet sich jetzt auf den hinteren Bänken des Parlaments in der Gruppe der Fraktionslosen wieder, zu der auch der rechtspopulistische "Front National" von Marine Le Pen gehört. "Natürlich haben wir Kontakt zu Kollegen. Es gibt ja viele Irre hier", erzählt Martin Sonneborn. "Eine ganze Fraktion von Fraktionslosen. Wir sind ja, obwohl wir auch im finanziellen Bereich gute Angebote hatten, keiner Fraktion beigetreten. Jetzt sind wir mit einem Haufen Verhaltensauffälliger von der 'Lega Nord' aus Italien, der FPÖ aus Österreich, Udo Voigt (NPD) aus Deutschland und den französischen Nationalisten. Das ist schon ein sehr illustrer Haufen, dem wir uns da angeschlossen haben." Auf ein konkretes Programm will sich der berufsmäßige Scherzbold nicht festlegen. Er möchte die EU melken, also möglichst viel Geld für Spesen und Angestellte kassieren. "Wir haben ein Programm, das heißt 'Ja zu Europa und Nein zu Europa'. Das werde ich versuchen, hier durchzuziehen."
Klar zum Entern: Piratin will etwas bewegen
Julia Reda hat für die deutschen "Piraten" den einzigen Sitz in Straßburg ergattert. Ihr Programm ist konkreter als das des Satirikers, den sie aber freundlich vor dem Plenarsaal begrüßt. "Ich will ein europäisches Urheberrecht verabschieden und verhindern, dass das transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA zustande kommt." Die Politologin (geboren 1986) war schon als Studentin politisch aktiv und Vorsitzende der "Jungpiraten". Aus der SPD ist sie vor Jahren ausgestreten, um sich der Netzpolitik zu widmen. Die neue Abgeordnete hat viel vor und fühlt sich nicht als Einzelkämpferin, denn schließlich stellen auch die schwedischen "Piraten" zwei Abgeordnete. "Ich glaube, das Europaparlament ist prädestiniert dafür, dass einzelne Abgeordnete etwas erreichen, weil viel mehr über die Fraktionen verhandelt wird."
Das Leben ändert sich
Ganz cool geht Julia Reda mit dem wuchtigen Gebäude um. Keine Pyramide. Es sei ganz eindrucksvoll, aber sie kenne den Kasten schon von früheren Besuchen. Gewöhnen muss sich die junge Politikerin an das ständige Reisen. "Ich habe den ganzen Wahlkampf über aus Koffern gelebt und das hat auch seit der Wahl nicht aufgehört. Ich hoffe, ich komme dann ein bisschen zur Ruhe. Ich beziehe nächste Woche meine Wohnung in Brüssel, aber es schon sehr viel Reiserei." Das habe ihr Leben schon verändert, sagt die Mainzerin. Einschneidend sind auch die Veränderungen im Leben des satirischen Partei-Abgeordneten Martin Sonneborn. "Ich habe bisher mit einer Familie zusammengelebt. Jetzt lebe ich mit meinem Assistenten Dustin Hoffmann zusammen und ansonsten ändert sich praktisch nichts." Der junge Mann neben Sonneborn, der ihm tatsächlich den Koffer trägt und nicht von seiner Seite weicht, lächelt. Ob er wirklich Dustin Hoffmann heißt, weiß man nicht. Angeblich ist Sonneborn ja auch mit einer armenischen Prinzessin verheiratet, verraten biografische Nachschlagewerke.