Schulz erneut Parlamentspräsident
1. Juli 2014"Ich bin ein Mensch mit Stärken und Schwächen", rief der SPD-Abgeordnete Martin Schulz bei seiner Bewerbungsrede den Parlamentariern in Straßburg zu. "Ganz sicher machen Menschen auch Fehler. Ich bin der letzte, der sich für fehlerfrei hält." Schulz bewarb sich zum zweiten Mal um das Amt des Parlamentspräsidenten, das er bereits die vergangenen 2 1/2 Jahre innehatte. Er hatte das eigentlich repräsentative Amt völlig umgekrempelt und als Plattform für seine eigenen politischen Ambitionen genutzt. Der Sozialdemokrat hat als Parlamentspräsident versucht, den beiden anderen großen EU-Institutionen, also EU-Kommission und dem Rat als Vertretung der EU-Mitgliedsstaaten, Beine zu machen. Das ist ihm teilweise gelungen, aber vielen Abgeordneten passte dieser Stil nicht.
Martin Schulz erinnerte daran, dass er maßgeblich durchgesetzt hat, dass die EU-Staats- und Regierungschefs jetzt mehr als je zuvor auf das Parlament hören. Schließlich hätten sie mit Jean-Claude Juncker als Präsidenten der EU-Kommission den Sieger der Europawahlen vorschlagen müssen. Der EU-Gipfel fügte sich am vergangenen Freitag (27.06.14) dem Parlament. "Heute sind wir in einer Situation, dass an diesem Parlament, dieser einzigartigen Institution keiner mehr auf der europäischen Ebene, keiner mehr auf der nationalen Ebene mehr vorbei kann. Heute sind wir der Quell der demokratischen Legitimation in Europa", so Schulz.
Teil des großen Pakets
Martin Schulz hat allerdings sein persönliches Ziel nicht erreicht. Der Sozialdemokrat wollte selbst Präsident der mächtigen EU-Kommission werden. Diesen Posten bekommt jetzt Jean-Claude Juncker, der Spitzenkandidat der Konservativen, die bei den Europawahlen Ende Mai besser abgeschnitten haben als die Sozialisten. Beide große Fraktionen bilden im Parlament eine informelle große Koalition. Im Vorfeld hatte man sich in vertraulichen Verhandlungen auf das Personalpaket geeinigt. Eine Schlüsselrolle spielte die große Koalition des größten Mitgliedslandes Deutschland. Die konservative Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel hatten sich auf Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsidenten und Martin Schulz als Parlamentspräsidenten festgelegt.
Kritik am Kungeln
Sowohl die grüne Fraktion im Europäischen Parlament als auch die Fraktion der "konservativen Reformer" kritisierten diese Deals in Hinterzimmern scharf. "Was ist aus uns geworden, wenn der Präsident dieses Hauses, der über dem Parteistreit und normalen Politikgezänk stehen sollte, reduziert wird zu einem Einsatz in einem Spiel, zu einem Trostpreis in einen Personalspiel, zu einem Plan D für einen Politiker, bei dem Plan A,B,C nicht funktioniert haben", sagte der Fraktionschef der Reformer, der britische Konservative Sajjad Karim.
Trotz der Kritik kann Martin Schulz wieder auf dem vertrauten Sessel des Parlamentspräsidenten Platz nehmen. 409 der 723 anwesenden Abgeordneten stimmten in der ersten Sitzung des neu gewählten Parlaments am Dienstag für ihn; eine komfortable Mehrheit. Es ist das erste Mal, dass ein Parlamentspräsident wiedergewählt wurde. Auch das war Teil des Personalpaketes, das die Parteien und die Staats- und Regierungschefs ausgehandelt haben. Nach der Hälfte der Legislaturperiode, also in 2 1/2 Jahren, muss Martin Schulz seinen Sessel für einen konservativen Abgeordneten räumen.
Schulz will Reformen
Der neue und alte Parlamentspräsident kündigte eine grundlegende Debatte über die Rolle und die Zukunft der Europäischen Union an. Es gäbe viele außenpolitische Herausforderungen in der Migrations- und Entwicklungspolitik, sagte Martin Schulz nach seiner Wahl. Die Krise rund um die Ukraine müsse gelöst werden. In Europa dürften Menschen, 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, nicht wieder Angst vor Krieg haben müssen. Nicht der Stärkere dürfe herrschen, sondern das Recht müsse herrschen, sagte Schulz mit Blick auf die russische Besetzung der Krim. Indirekt sprach er sich für härtere Sanktionen der EU gegen Russland aus.
Viele neue Europa-Kritiker im Straßburger Parlament
Das Europäische Parlament ist komplexer und bunter geworden. Die größten Gruppen von Abgeordneten aus Frankreich und Großbritannien gehören nicht mehr zu etablierten Parteien, sondern zu Rechtspopulisten und Nationalisten. Insgesamt gehören 15 bis 20 Prozent der 751 Parlamentarier Europa-skeptischen Parteien an. Aus Deutschland sind sieben Abgeordnete der "Alternative für Deutschland" (AfD) in den Straßburger Plenarsaal eingezogen. Beim traditionellen Abspielen der Europa-Hymne wandten viele Euro-Skeptiker dem Orchester demonstrativ den Rücken zu. Die Änderung des bisherigen Systems ist ein wichtiges politisches Ziel der AfD, allerdings will die AfD die EU als solche erhalten. Hans-Olaf Henkel, Abgeordneter der AfD und früher Spitzenfunktionär in einem Wirtschaftsverband, sagte der Deutschen Welle: "Wir fallen schon auf hier." Immerhin ist die AfD die drittgrößte nationale Gruppe in der drittgrößten Fraktion des Parlaments, in der konservative Euro-Kritiker zusammenarbeiten.
Die EU habe heute rund 50 000 Mitarbeiter, meint Hans-Olaf Henkel. Davon pendelten 3000 regelmäßig zwischen dem Parlamentssitz in Straßburg und der EU-Zentrale in Brüssel hin und her. "Wir wollen diesen seltsamen parlamentarischen Tourismus abstellen", sagte Henkel der DW. Das haben schon viele Parlamentarier vor ihm in den letzten Jahrzehnten versucht. Sie scheiterten regelmäßig am Veto Frankreichs, das auf Straßburg als Sitz des Parlaments besteht, der in den EU-Verträgen garantiert ist. Der rechtspopulistische "Front National" aus Frankreich und die ausländerfeindliche "Partei für die Freiheit" aus den Niederlanden scheiterten bislang mit dem Vorhaben, eine radikal-nationalistische Fraktion zu bilden, da in dieser Gruppe nach den Regeln des Parlaments sieben verschiedene EU-Staaten vertreten sein müssen. Ohne Fraktionsstatus können die Rechtsextremen auch keinen Vorsitzenden in einem Ausschuss stellen oder einen Posten als Vizepräsident des Parlaments beanspruchen.