Unverständis über Netzsperren-Urteil
27. März 2014Netzpolitiker in Deutschland reagieren weitgehend verständnislos auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Internetsperren. Die Richter in Straßburg hatten am Donnerstag (27.03.2014) entschieden, dass Internetanbieter verpflichtet sind, illegale Inhalte im Netz zu sperren, wenn die Gesetze in einem Mitgliedsland das fordern. Ein österreichischer Kabelnetzbetreiber hatte gegen einen Antrag der Filmindustrie geklagt, Downloadportale zu sperren. In Deutschland, das keine solchen Sperren kennt, wird das Urteil quer durch die politischen Lager mit Unbehagen aufgenommen.
"Netzsperren in den Köpfen nicht tot zu kriegen"
"Das bringt Debatten wieder hoch, die wir eigentlich schon hinter uns haben", klagt der netzpolitische Sprecher der Christdemokraten, Thomas Jarzombek. Die Netzpolitiker aller Parteien hatten sich in den vergangenen Jahren weitgehend auf das Prinzip "Löschen statt sperren" geeinigt. "Das heißt, wir lassen illegale Inhalte nicht zu, aber nicht indem wir sie sperren, sondern indem wir sie rechtstaatlich verfolgen", sagt Jarzombek. Der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, erinnert an Befürchtungen, dass Netzsperren der Internetzensur Vorschub leisten können, wie dies jüngst in der Türkei geschehen ist. "Dieses Urteil kommt ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem praktisch die ganze Welt über Erdogans Twitter-Netzsperren diskutiert, und diese in praktisch allen Rechtsstaaten scharf verurteilt wurden." Und auch die Bundesregierung kann mit dem Urteil aus Straßburg nicht viel anfangen. Die CSU-Politikerin Dorothee Bär, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, kündigte an, sie wolle "nicht müde werden, sich gegen Internetsperrungen zur Wehr zu setzen. "Netzsperren sind wohl in den Köpfen einiger Menschen nicht tot zu kriegen."
Das Urteil rührt in Deutschland an eine Debatte, die vor einigen Jahren sehr kontrovers geführt wurde. 2009 hatte die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen vorgeschlagen, kinderpornografische Inhalte im Netz mit Netzsperren zu belegen. Netzaktivisten liefen Sturm gegen die Pläne, die bald unter dem Spitznamen "Zensursula" bekannt wurden. Die Befürchtung der Netzgemeinde damals: Die Sperren könnten der Anfang zum Aufbau einer Infrastruktur zur Internetzensur sein und bald auch auf andere Inhalte ausgeweitet werden. Jetzt fürchtet Alexander Sander vom netzpolitischen Interessenverband Digitale Gesellschaft die Rückkehr der Pläne, die damals nach langer Debatte beerdigt wurden: "Mit dem Urteil ist die Büchse der Pandora geöffnet", glaubt er. "Die Rechteinhaber werden jetzt auch in Deutschland versuchen, das veraltete Urheberrecht über Netzsperren durchzusetzen."
Produzenten sehen Stärkung des Urheberrechts
Vorsichtig begrüßt wird das Urteil hingegen von der Allianz deutscher Produzenten. Der Europäische Gerichtshof habe "mit seiner Entscheidung wieder ein Stück Definitionssicherheit in den komplizierten Prozess der Durchsetzung von Urheberrechten in Internet-Zusammenhängen gebracht", sagt Alexander Thieß, der Vorsitzende des Verbands, in dem sich Produzenten aus Film und Fernsehen zusammengeschlossen haben. Allerdings fordern auch die Produzenten ein juristisches Vorgehen direkt gegen die Anbieter illegaler Downloads und Streams. "Eine nachhaltige und sachgerechte Lösung beim Umgang mit illegalen Inhalte-Anbietern ist noch lange nicht in Sicht", sagt Thieß. "Da muss im nationalen Recht – auch der Bundesrepublik – noch einiges passieren.“