Nelson Mandelas Enkel erzählt
17. Juli 2018Im Alter von elf Jahren traf Ndaba Mandela seinen Großvater zum zweiten Mal. Ein großer schwarzer BMW holte ihn aus dem heruntergekommenen Stadtteil Soweto ab und brachte ihn zu Nelson Mandela, der im wohlhabenden Vorort Houghton in Johannesburg wohnte. Von diesem Zeitpunkt an sollte er bei dem Mann leben, der von so vielen verehrt wurde - für Ndaba jedoch ein Fremder war.
27 Jahre saß Nelson Mandela hinter Gittern. Seine Opfer im Kampf gegen die Apartheid wurden auch zu den Opfern seiner Familie: Seine Kinder mussten drei Jahrzehnte ohne ihren Vater auskommen. Seine Mutter starb während seiner Inhaftierung. Seine Enkelkinder wurden in eine Welt geboren, in der jeder den Namen ihres Großvaters kannte. Doch für sie blieb er derselbe Unbekannte wie für alle anderen.
Als Mandela 1990 aus dem Gefängnis entlassen wurde, war der Jubel ebenso groß wie die Erwartungen an ihn. Mandela wurde als Heilsbringer gefeiert, der endlich die Menschen und das Land nach dem Ende nach der Apartheid vereinen sollte. Der damals 75-Jährige erkannte, dass er von der Gesellschaft, die viel von ihm erwartete, zu lange getrennt gewesen war. Deshalb suchte er die Nähe zur Jugend Südafrikas.
Wie der "Prinz von Bel-Air"
Ndaba Mandela beschreibt in seinem neuen Buch "Mut zur Vergebung: Das Vermächtnis meines Großvaters Nelson Mandela", wie der ehemalige südafrikanische Präsident neue Bindungen zu seiner Familie aufbaute und seine Enkel ihm halfen, die nötige "jugendliche Perspektive" zu erhalten. Mit Bezug auf die Comedyserie "Der Prinz von Bel-Air" spricht Ndaba von der "Infusion des Fresh Prince": Die von Will Smith gespielte Hauptfigur Will zieht dort zum wohlhabenden Onkel, der ihn entscheidende Dinge des Lebens lehrt. Ndaba erklärt, dass, während "die Vorteile für das Kind offensichtlich waren", der Hauptfokus der Serie darin lag, "wie der Junge das Leben des reichen Onkels verbesserte und seinen Blickwinkel weitete".
In seinem Buch beschreibt Ndaba eine ähnliche Beziehung zwischen ihm und seinem Großvater - eine, die vielleicht nur langsam Wurzeln schlägt, aber zweifellos beiden Seiten gut tut. Wenn beide zum ersten Mal unter einem Dach zusammenkommen, hängt der junge Ndaba mehr an seiner neuen Sega-Spielkonsole als am Großvater, der sie ihm geschenkt hat.
Am Ende des Buches haben beide eine Reise hinter sich gebracht: Mandela, der Anführer, hat sein öffentliches Amt verlassen und einen Weg ins Familienleben gefunden. Ndaba ist erwachsen geworden und hat sich mit den Schwierigkeiten seiner Vergangenheit auseinandergesetzt und gelernt, die ihm gegebenen Chancen und Weisheiten wertzuschätzen.
Männlichkeitsrituale und Schmerzen als Initiation
Ein wiederkehrendes Thema, das dem Originaltitel des Buchs "Going to the Mountain" seinen Namen gibt, ist "auf den Berg gehen". Dies bezieht sich auf die traditionelle Initiation, die von Männern des Xhosa-Volkes als Ritual für den Schritt in die Männlichkeit unternommen wird. Ndaba beschreibt diesen Prozess, den quälenden Schmerz der Beschneidung und die anschließende Abgeschiedenheit. Diese Zeremonie erinnert an die patriarchalischen Elemente der südafrikanischen Gesellschaft, dient zugleich aber als Metapher für Ndabas Erleichterung, mit dem Erwachsensein eine Position einzunehmen, von der aus er mit seinem Großvater auf Augenhöhe sprechen kann.
Der vielleicht ergreifendste Moment in Ndabas Geschichte spielt nach dem Tod seiner Eltern, die er in seinen Teenagerjahren nur sporadisch gesehen hatte. Er beschreibt, wie sehr er unter dem AIDS-Tod seiner Mutter gelitten hatte. Das Stigma und die Geheimhaltung, mit der man in Südafrika damals mit der Krankheit umging, machten ihm zu schaffen. In der Pressemitteilung seiner Familie stand damals, Ndabas Mutter sei an einer Lungenentzündung gestorben.
Als Ndabas Vater, Nelson Mandelas Sohn, zwei Jahre später an derselben Krankheit starb, hatte sich etwas verändert. Ndaba beschreibt, wie stolz er darauf war, dass sein Großvater der Welt mitteilte, sein Sohn sei an AIDS gestorben: "Er schämte sich nicht, und er war nicht länger bereit, sich an der Scham anderer zu beteiligen."
Der Nelson Mandela in Ndabas Buch ist kein Heiliger, er ist oft sehr streng und kann sich schon mal irren in seinen Urteilen. Am Ende bleibt dennoch kein Zweifel, dass Ndaba seinen Großvater verehrt und dessen Vermächtnis aufrecht erhalten will. Er ist dankbar für das Leben des Mannes, der die Demokratie nach Südafrika brachte.