NATO will mehr Präsenz in Osteuropa
27. August 2014Alles auf Anfang: Die NATO will offenbar wieder die gemeinsame Verteidigung zur zentralen Aufgabe ihres Bestehens machen. Kommende Woche (04.09.2014) treffen sich die Staats- und Regierungs-Chefs des Bündnisses in Newport in Wales, um über die neue Bündnis-Strategie zu sprechen. Nach einer Sinnkrise in den 1990er Jahren und anschließenden internationalen Einsätzen unter anderem in Afghanistan steht die NATO jetzt vor einer neuen, altbekannten Herausforderung: der Umgang mit Russland.
Vor allem die Mitglieder im Baltikum, Estland, Lettland und Litauen, sind besorgt, genauso wie Polen. Nach Russlands Annexion der Krim und anhaltenden Kämpfen in der Ostukraine möchten die östlichen NATO-Staaten gut vorbereitet sein, sollte es Russland tatsächlich einmal auf ein Bündnisland abgesehen haben.
Vorsorgen für den Bündnisfall
Ein völliges Hirngespinst sei das nicht, sagt Egon Ramms, ehemaliger Vier-Sterne-General der Bundeswehr. "In Estland und in Lettland könnte man Destabilisierungs-Operationen - wie sie im Osten der Ukraine stattfinden und auf der Krim stattgefunden haben - gut durchführen", ist der ehemalige NATO-Kommandeur überzeugt. Dort lebten viele Russen, die möglicherweise instrumentalisiert werden könnten, so Ramms. "Ich hoffe und ich glaube aber, dass die NATO-Mitgliedschaft dieser Länder Russland von solchen Schritten abhalten wird."
NATO-Truppen sind in Polen und dem Baltikum kaum stationiert, häufiger war von dort schon die Klage zu hören, man sei nur NATO-Mitglied zweiter Klasse. In Litauen etwa liegt der Luftwaffenstützpunkt Siauliai. Von dort starten regelmäßig Militärflugzeuge aus NATO-Mitgliedsländern. Sie übernehmen damit die Luftraum-Überwachung stellvertretend für die de facto nicht existente Luftwaffe im Baltikum. Auch in Stettin im Nordwesten Polens - in der Nähe der deutschen Grenze - weht die NATO-Flagge. Dort gibt es ein 250 Mann starkes multinationales Korps, dass General Ramms drei Jahre lang kommandierte.
Keine permanenten Truppen
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen scheint das aber zu wenig zu sein. Er will mehr sichtbare Präsenz im Osten, will Stützpunkte aufbauen, Ausrüstung dort hinschaffen und dafür sorgen, dass weitere Soldaten im Bedarfsfall schnell nachrücken können, kündigte Rasmussen in mehreren Medien an. Allerdings gibt es die Vereinbarung zwischen dem Nordatlantischen Bündnis und Russland, dass es keine substanziellen und ständigen NATO-Stationierungen in Osteuropa geben darf. Rasmussen will sich offenbar auch weiter an diese Vereinbarung halten, auch wenn Russland - wie einige Quellen berichten - seine Truppen in der Grenzregion massiv verstärkt haben sollte.
Dennoch gibt es für die NATO einen Weg, mehr Präsenz zu zeigen und gleichzeitig vertragstreu zu bleiben. Denn eine permanente Stationierung von Soldaten müsse es gar nicht geben, meint auch Ex-General Ramms. Eine Möglichkeit sei, "Ausbildungs- und Trainingsbasen im Baltikum und in Polen anzulegen." Auf diese Weise könne man immer wieder neue Truppenteile in den Osten schicken, die regelmäßig wieder abgezogen werden. Damit würde man einem potenziellen Gegner zeigen: "Wir sind entschlossen, unsere NATO-Mitgliedsstaaten zu verteidigen", so Ramms. Das habe eine gewisse abschreckende Wirkung. Die Soldaten, die dann im Rahmen der Ausbildung rotationsmäßig dort stationiert sind, wären dann eine Art "Vorhut".
Schnelle Einsatzbereitschaft
Wichtiger sei es aber, im Falle des Falles Truppen schnell verlegen zu können, schätzt der Ex-General die neue NATO-Strategie ein. Bisher braucht das Bündnis für größere militärische Aktionen lange Vorbereitungszeiten, oft sind Jahre nötig. Selbst schnelle Eingreiftruppen, wie die seit einigen Jahren existierende NATO Response Force (NRF), brauchen aber Wochen, um voll gefechtsbereit zu sein.
Rasmussens Plan: Er will eine "Speerspitze" innerhalb der NRF , die "innerhalb von Stunden" einsatzbereit ist. "Das müssen Soldaten sein, die im Prinzip auf gepackten Koffern sitzen", sagt Ex-General Ramms. Für übertrieben hält er die Pläne des NATO-Generalsekretärs - der nur noch bis Ende September im Amt ist - aber nicht. Ramms sieht hier mehr als nur eine letzte Duftmarke vor dem Abdanken. Die NATO müsse in den kommenden Jahren vor allem geschlossen und entschlossen gegenüber potenziellen Gegnern auftreten: "Rasmussen nutzt hier vielleicht seinen Abgang, um bestimmte Weichen zu stellen. Aber die Weichen stellt er in die richtige Richtung."
Geld dafür wäre möglicherweise auch da: Wenn der NATO-Einsatz in Afghanistan jetzt bald offiziell zu Ende geht, würden Kapazitäten frei, die in den Aufbau der militärischen Strukturen im Osten fließen könnten. Aber einen Konsens darüber gibt es noch nicht. Länder wie Großbritannien und die USA unterstützen den Vorstoß, Frankreich, Italien oder Spanien sind dagegen. Deutschland ist - NATO-Mitarbeitern zufolge - noch gespalten. Denn ein solcher Schritt könnte Russland erst recht provozieren.