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Menschenkette im Baltikum

Mikhail Bushuev22. August 2014

Vor 25 Jahren blickte die Welt auf das Baltikum: Mit einer langen Kette demonstrierten dort die Menschen für ihre Unabhängigkeit. Seitdem haben sie viel erreicht.

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1989 Menschenkette durch Lettland, Litauen und Estland (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es war ein historischer Tag: Am Mittwoch, den 23. August 1989, bildeten etwa zwei Millionen Bürger Estlands, Lettlands und Litauens eine über 600 Kilometer lange Menschenkette. Sie sangen Lieder in ihren Nationalsprachen aus Protest gegen die sowjetische Vorherrschaft. Hand in Hand wollten sie am 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes die ganze Welt daran erinnern, dass die Sowjetunion und Nazi-Deutschland damals Europa unter sich aufgeteilt hatten. Die drei baltischen Länder fielen so an die UdSSR. Offiziell galt bei den Sowjets viele Jahrzehnte lang: das geheime Protokoll gab es nicht.

Obwohl die Massenaktion, die den Namen "Baltischer Weg" bekam, von den sowjetischen Behörden verboten worden war, gingen Menschen auf die Straßen und demonstrierten friedlich für ihre Unabhängigkeit. Gorbatschows Politik der "Perestrojka" machte es möglich. Der 23. August 1989 legte den Grundstein für die Unabhängigkeit der drei Staaten im Jahr 1991.

Mit friedlichen Aktionen etwas bewegen

"Die Demonstration hat bewirkt, dass die Menschen sich sicher waren, dass sie mit friedlichen Aktionen, mit Mut und Engagement etwas verändern können, dass sie etwas bewegen können gegen diese scheinbar politische Übermacht", fasst Norbert Beckmann-Dierkes, Leiter der Auslandsbüros Lettland und Litauen der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung, die Bedeutung jenes Tages zusammen.

Die erfolgreiche Menschenkette habe einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der drei Länder gehabt, sagt der frühere estnische Politiker und Unternehmer Raivo Vare im DW-Interview: "So etwas hatte es bis dahin nicht gegeben. Das zeigte der ganzen Welt, was im Baltikum passiert". Und von da an ging alles sehr rasch. Mit großem Reformeifer unterzogen sich die einstigen Sowjetrepubliken dem politischen und wirtschaftlichen Strukturwandel. Schon bald nach der Unabhängigkeit fanden Estland, Lettland und Litauen Aufnahme in Nato und EU.

Estlands Politiker und Unternehmer Raivo Vare (Foto: Raivo Vare/DW)
Raivo Vare hat die Reformen in Estland mitgestaltetBild: privat

Zurück in die europäische Familie

In den vergangenen 25 Jahren hätten die baltischen Staaten viel erreicht, sagt Beckmann-Dierkes: "Stabile politische Systeme. Parteien, die ihren demokratischen Auftrag ernst nehmen. Freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, freie Medien – all die Dinge, die unsere Demokratien ausmachen. Und eben ein Zurückkehren in die Mitte Europas".

Raivo Vare war Staatsminister für Sicherheitsfragen in der ersten Regierung nach der Unabhängigkeit. Später diente er als Verkehrs- und Infrastrukturminister in mehreren Kabinetten. Auch er hält die "Rückkehr in die europäische Familie" für ein Schlüsselereignis: "Das gelang sogar in einem schnelleren Tempo, als wir uns das damals vorgestellt hatten".

1989 Menschenkette durch Lettland, Litauen und Estland (Foto: (c) dpa - Report)
Ein historischer Tag: Über 600 Kilometer lange Menschenkette durchs Baltikum am 23.8.1989Bild: picture-alliance/dpa

Doch wie haben es die Balten geschafft? Andere frühere Sowjetrepubliken wie die Ukraine suchen heute noch immer unter dramatischen Bedingungen ihren Weg nach Europa. Vare erklärt, die Antwort liege vor allem in der Geschichte des Baltikums. "Das harte sowjetische Regime dauerte bei uns nur 50 Jahre. Es lebten noch Menschen, die die vorsowjetische Zeit kannten. Aber leider ging es auch bei uns nicht so ganz friedlich", sagt Vare. Er erinnert an die Nacht zum 12. Januar 1991, als Truppen des sowjetischen Innenministeriums ein litauisches Fernsehzentrum stürmten und dabei elf Menschen starben, die sich den sowjetischen Panzern in den Weg stellten.

Erfolgsrezept: Sparen und Reformen

Heute stehen alle drei baltischen Länder nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich gut da. "Was ich am erstaunlichsten finde: Die Menschen in den drei baltischen Ländern haben ziemlich viele Einschnitte in Kauf genommen und gesagt: das werden wir anpacken. Und sie haben damit Erfolg gehabt", sagt Beckmann-Dierkes. Lettland, Estland und Litauen seien mit ihrem Wirtschaftswachstum nach dem Crash der Wirtschaft heute wieder auf einem wunderbaren Weg und hätten ihre Volkswirtschaften stabilisiert, so die Einschätzung des deutschen Beobachters. Zur Stabilität trage auch bei, dass schon bald alle drei Staaten den Euro haben.

Der Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg liege darin, dass radikale Reformen konsequent durchgeführt worden sein, meint auch Raivo Vare: "Man möchte jetzt, dass das Wirtschaftswachstum noch schneller von statten geht, so dass wir das Niveau unserer Nachbarn in Skandinavien erreichen. Da holen wir nach Kräften auf".

Ängste vor Russland

Norbert Beckmann-Dierkes von der Konrad-Adenauer-Stiftung (Foto: DW)
Norbert Beckmann-Dierkes vertritt die Konrad-Adenauer-Stiftung in der RegionBild: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

Aber nicht alles ist perfekt. Ein Problem ist noch immer das Verhältnis zu Russland. Neben der Energieabhängigkeit und einer möglichen militärischen Bedrohung durch den großen Nachbarn bereiten auch die russischsprachigen Minderheiten den baltischen Staaten Sorgen. Es sei nicht genug getan worden, um die Minderheit in die baltischen Gesellschaften zu integrieren, moniert etwa Raivo Vare. Es gebe einerseits zwar die "Eurorussen", vor allem jüngere Menschen, die größtenteils integriert seien. Aber andererseits stünden insbesondere ältere Menschen noch stark unter dem Einfluss Russlands und russischer Staatsmedien, so Vare.

Beckmann-Dierkes glaubt allerdings, das Problem sollte nicht überbewertet werden. "Bei ernsthafter Befragung habe ich bisher niemand von der russischsprachigen Minderheit kennengelernt, der gesagt hätte, er wolle jetzt unbedingt nach Russland zurück, sondern vielmehr wissen auch diese Menschen die Vorteile - die Freizügigkeit, die Rechtsicherheit der Europäischen Union - zu schätzen".