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PolitikJapan

NATO: Vorerst kein Büro in Tokio?

Teri Schultz
16. Juni 2023

Um ein Gegengewicht zu China und Russland zu schaffen, will die NATO ihre Partnerschaften bis in die pazifische Region ausbauen. Die Idee eines Büros in Tokio stößt in China, aber auch in Frankreich auf Kritik

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NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Washington
NATO-Generalsekretär Jens StoltenbergBild: Jonathan Ernst/REUTERS

Im Rahmen der derzeit laufenden größten NATO-Luftübung Air Defender, der größten in der Geschichte des Bündnisses überhaupt, durchqueren nicht nur Flieger aus den Mitgliedsstaaten des Paktes den Himmel der Alliierten. Auch Maschinen aus zwei weiteren Ländern sind dabei, nämlich aus Schweden und Japan.

Während Schweden aller Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit in die NATO aufgenommen werden dürfte, bleibt Japan ein dem Bündnis bloß nahestehender Staat. Dass er an dem Manöver dennoch teilnimmt, liegt aus Sicht der NATO nahe.

Tatsächlich arbeitet Japan enger mit den europäischen und amerikanischen Verbündeten zusammen, als sich auf den ersten Blick vermuten ließe. "Kein Partner der NATO steht dem Bündnis näher oder ist fähiger als Japan", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Januar bei einem Besuch in Tokio. Die japanische Regierung hat wegen des Angriffs auf die Ukraine Sanktionen gegen Moskau verhängt. Zudem stellt sie Frachttransporte für humanitäre Hilfe in der Ukraine bereit.

"Was heute in Europa geschieht, könnte morgen in Ostasien geschehen", warnte Stoltenberg im Januar und umriss damit die Motive, die Tokio in Richtung des westlichen Bündnisses treiben. Das gleiche Argument nutzen auch japanische Beamte, um der Bevölkerung die immer engere Anbindung des Landes an die NATO zu erklären.

Kritik aus Frankreich

So wäre es aus Sicht der NATO nur konsequent, ein Verbindungsbüro in Tokio zu errichten - es wäre das erste des Bündnisses in ganz Asien. Doch ein entsprechender, von der NATO nicht offiziell angekündigter Vorschlag, löste in Peking scharfe Kritik aus. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron äußerte starke Bedenken. Die NATO solle sich auf ihr Gebiet - den Nordatlantik - beschränken, sagte Macron bei einer öffentlichen Rede in Bratislava. "Wenn wir die NATO drängen, das Spektrum und die Geografie zu erweitern, machen wir einen großen Fehler", zitiert die Zeitung Financial Times den französischen Präsidenten.

Die ablehnende Haltung Frankreichs mache die Japaner "fassungslos", sagt Patrick Cronin, Asien-Pazifik-Vorsitzender der Denkfabrik Hudson Institute in Washington.

Es sei "absurd", dass Macron ein "kleines Thema" wie das Verbindungsbüro wie eine wichtige außenpolitische Angelegenheit behandele, so Cronin gegenüber der DW. Der französische Regierungschef wolle die Geschäftsinteressen wahren, die sein Land an China bänden, vermutet er. Zudem wolle Macron sich als Beschützer Europas inszenieren, indem er versuche, den Kontinent aus den zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China herauszuhalten. "Er kann es den Chinesen so verkaufen: Schaut, was ich tue. Ich setze mich für die Unabhängigkeit Europas von Amerika ein und vermeide, dass Europa in die lokalen Angelegenheiten Asiens hineingezogen wird", so Cronin über die möglichen Motive des französischen Präsidenten.

Der französische Emmanuel Macron bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel, Paris, 2017
Der Nachfolger? Der französische Präsident Emmanuel Macron bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel in Paris, 2017 Bild: Christian Liewig/abaca/picture alliance

Macron in der Nachfolge Merkels?

Janne Leino, Experte für Außen- und Sicherheitspolitik bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel, der viele Jahre in China verbracht hat, hat eine weitere Erklärung für Macrons Verhalten. "Früher war Angela Merkel die Ansprechpartnerin für China", so Leino. "Ich denke, Macron positioniert sich nun als eine Art Nachfolger".

"Frankreich ist sehr daran interessiert, dass Europa auch im indo-pazifischen Raum vertreten ist, allerdings nicht unbedingt als Juniorpartner innerhalb der NATO", so Leino. "Wenn die Europäische Union dort mitmacht, ist Frankreich natürlich der große Akteur im Rahmen der Europäischen Union."

China an die NATO: Halten Sie sich fern!

Wie auch immer sie motiviert sein mag: Macrons ablehnende Haltung kommt in Peking gut an. Anfang Juni erklärte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Weng Wenbin, Asien liege außerhalb des geografischen Geltungsbereichs des Nordatlantikpakts. Zugleich beschuldigte er die NATO, "nach Osten in diese Region vorzudringen, sich in regionale Angelegenheiten einzumischen und eine Blockkonfrontation zu schüren".

Folgen ließ Weng eine direkte Warnung an Tokio: "Japan sollte im Einklang mit den Stabilitäts- und Entwicklungsinteressen der Region die richtige Entscheidung treffen und alles unterlassen, was das gegenseitige Vertrauen zwischen den Ländern der Region sowie Frieden und Stabilität in der Region untergraben könnte."

Die Verteidigungsminister Japans und der USA, Yasukazu Hamada (l.) und Lloyd Austin, schütteln einander die Hände, Washington, Januar 2023
Enge Bindung: die Verteidigungsminister Japans und der USA, Yasukazu Hamada (l.) und Lloyd Austin, in Washington, Januar 2023Bild: Joshua Roberts/REUTERS

Stoltenberg: Keine Expansion der NATO Richtung Asien

Die Frage, ob die Allianz tatsächlich versuche, nach Asien zu expandieren, verneinte Stoltenberg. "Niemand hat das befürwortet", sagte er auf einer Pressekonferenz im Vorfeld des Verteidigungsministertreffens in dieser Woche. Angesichts der "sicherheitspolitischen Folgen des Aufstiegs Chinas, das in großem Umfang in neue moderne militärische Fähigkeiten investiert, die seine Nachbarn bedrohen", verteidigte er jedoch die Stärkung der Partnerschaft mit den Ländern des indopazifischen Raums.

Dazu gehört in naher Zukunft auch eine zweite Einladung an die Staats- und Regierungschefs von Japan und Schweden zum NATO-Gipfel. Sie alle hatten bereits im vergangenen Sommer in Madrid zum ersten Mal an einer NATO-Konferenz teilgenommen.

Zudem arbeitet die NATO auch an Vereinbarungen mit den beiden Ländern, um deren derzeitigen Status anzuheben. Gehören sie derzeit noch zur Gruppe der "Partner auf der ganzen Welt", sollen sie nun in das "Individuell zugeschnittene Partnerschaftsprogramm (ITPP)" aufsteigen. Dieses beinhaltet eine intensivierte bilaterale Zusammenarbeit in Bereichen wie Cyberspace, neue Technologien, Klimawandel und Verteidigungsindustrie.

"Warum sprechen wir nicht einfach mit China?"

Janne Leino schlägt der NATO einen anderen Weg vor, mit den Bedenken gegenüber China umzugehen: den direkten Dialog.

"Wenn das Argument lautet, dass wir kein Büro in Japan eröffnen können, weil wir China verärgern könnten, warum sprechen wir dann nicht einfach direkt mit China über die entsprechenden Themen?", so Leino. "Denn offiziell sind sowohl die NATO als auch China offen für einen Dialog, wie beide Seiten einander immer wieder versichern. Warum sollten wir ihn also nicht ausprobieren?"

Lehne Peking ein solches Angebot der NATO ab, so Leinos Schlussfolgerung, dann müsste es auch seine entsprechenden Einwände gegenüber jenen indo-pazifischen Staaten abschwächen, die das Angebot annehmen.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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