G7 in Hiroshima: Japans neue Rolle auf der Weltbühne
20. Mai 2023Die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten demokratischen Industrieländer (G7) treffen sich in Hiroshima und Gastgeber Japan versucht sich als wichtiger Akteur auf der Weltbühne zu positionieren: Premierminister Fumio Kishida nutzt die japanische G7-Präsidentschaft, um die Aufmerksamkeit der Welt auf die schwierige Sicherheitslage im indopazifischen Raum zu lenken, sagt Jeff Kingston, Direktor für Asienstudien an der Temple University Japan (TUJ).
Sorge machen der japanischen Regierungen die Aufrüstung Chinas und dessen zunehmend aggressives Gebaren gegenüber Taiwan sowie Nordkoreas Streben nach an einem Atomwaffenprogramm. Dass die G7 in Hiroshima zusammenkommen, das am Ende des Zweiten Weltkriegs durch eine US-Atombombe zerstört wurde, hat daher enorme Symbolkraft.
Vor Beginn des Gipfels sagte Kishida, er glaube, dass der erste Schritt zu einer nuklearen Abrüstung darin bestehe, "die Folgen des Atombombenabwurfs aus erster Hand zu erfahren und die Realität deutlich zu machen". Nukleare Abrüstung - einschließlich des des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms - sei eine "persönliche Mission für Kishida", sagt Asienexperte Kingston, "und ein weit entferntes Ziel."
Klare Position in Sachen Ukraine
Japan hat unter Kishida seinen Blickwinkel erweitert. Die traditionellen Verbündeten des Landes im Indopazifik stehen nicht mehr allein im Fokus der Regierung in Tokio. In Sachen Ukraine bezog Kishida eine klare Position: Er verurteilte Russlands Angriffskrieg, verhängte Sanktionen gegen russische Einrichtungen und versprach der Regierung in Kiew Hilfe und militärische Unterstützung im Wert von Millionen von Dollar. Im März reiste Kishida dann in die 8200 Kilometer von Tokio entfernte ukrainische Hauptstadt.
Laut Christopher B. Johnstone und Nicholas Szechenyi vom Center for Strategic and International Studies, einer US-Denkfabrik, ging es bei dem Besuch nicht nur um symbolische Unterstützung. Er zeigte auch "Japans eigene Entschlossenheit, die Ukraine zu unterstützen und sich Russlands Versuch, den Status quo mit Gewalt zu ändern, zu widersetzen - ein universelles Prinzip, das die Regierung in Tokio angesichts des chinesischen Gebarens in Asien für unerlässlich hält". Folgerichtig ist nun auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf dem G7-Gipfel zu Gast.
Netzwerker Fumio Kishida
Japans Premier hat auch Staats- und Regierungschefs aus mehreren Ländern des Globalen Südens als Beobachter zu dem Treffen eingeladen, darunter Indonesien, Indien, Vietnam und Brasilien. Solche Einladungen durch den G7-Gastgeber sind zwar seit ein paar Jahren üblich. Japan nutzt seine Position in Hiroshima aber auch, um seine traditionellen Allianzen zu erweitern, sagt Japan-Experte Robert Ward vom International Institute for Strategic Studies in Großbritannien. Grund: die wachsende Besorgnis über eine mögliche chinesische Invasion in Taiwan.
Japan brauche "ein möglichst dichtes Netzwerk in möglichst vielen sicherheitsrelevanten Bereichen", so Ward, die über die traditionellen Beziehungen in diesem Bereich zu den USA hinausgingen. Um Allianzen mit wichtigen regionalen Verbündeten weiter zu stärken, sind auch Südkoreas Präsident Yoon Suk-Yeol und Australiens Premierminister Anthony Albanese in Hiroshima anwesend.
Die Expertin für internationale Beziehungen, Kyoko Hatakeyama, geht davon aus, dass Japan seinen diplomatischen Einfluss während des Jahres seiner G7-Präsidentschaft noch steigern kann. "Wenn der G7-Gipfel erfolgreich ist, wird er Japans diplomatischen Status stärken", sagt Hatakeyama, die Professorin an der Universität der Präfektur Niigata ist.
Skepsis in der Bevölkerung
Japans Bestreben, sich als wichtiger Akteur in der internationalen Politik zu präsentieren, geht einher mit einer dramatischen Umgestaltung seiner Verteidigungspolitik. Im vergangenen Dezember kündigte die japanische Regierung an, den Wehretat zu verdoppeln und sich die Möglichkeit zu verschaffen, mit Gegenschlägen auf militärische Angriffe reagieren zu können.
Allerdings trifft der neue Kurs auf Skepsis in der Bevölkerung. Fumio Kishida sei "durch den tief in der japanischen Gesellschaft verankerten Pazifismus eingeschränkt", sagt Jeff Kingstone von der TUJ. "Es ist eine schwierige Situation." Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage der Zeitung "Asahi Shimbun". Demnach äußern 80 Prozent der befragten Japaner ihre Besorgnis, dass Japan in einen möglichen militärischen Konflikt in der Straße von Taiwan hineingezogen werden könnte.
Das bedeutet: Premier Kishida muss seine außenpolitischen Ambitionen noch mit den Vorbehalten der Bevölkerung in Einklang bringen.
Adaptiert aus dem Englischen von Arnd Riekmann