NATO Gipfel
16. April 2012
Kurt Volker unterrichtet an der Arizona State University, ist leitendes Mitglied des Center for Transatlantic Relations der Johns Hopkins University und Berater am Atlantic Council in Washington. Von 2008 bis 2009 war Volker amerikanischer NATO-Botschafter.
DW: Was sind aus Sicht der NATO die dringlichsten Probleme, die beim Gipfel angesprochen werden müssen?
Kurt Volker: Ich denke, drei Themenbereiche sind als Hauptpunkte der Tagesordnung vorgesehen: Afghanistan, das Verteidigungskonzept 'smart defense' und die Zusammenarbeit mit Partnern, wie die NATO sie schon seit einiger Zeit praktiziert. Um diese drei Themen geht es. Und ehrlich gesagt, machen mir alle drei Sorgen.
Was Afghanistan angeht, sind die Entwicklungen der vergangenen zwei Wochen wirklich besorgniserregend. Dabei geht es weniger um die einzelnen Vorkommnisse, die Schiessereien oder die Koranverbrennung oder die Demonstrationen. Was mich beunruhigt ist, dass wir anscheinend keine klaren Zielvorgaben mehr in Afghanistan haben. Früher hiess es, man müsse versuchen die Regierung zu stärken, dem Drogenhandel die Stirn zu bieten, Schulen zu bauen um Bildung zu ermöglichen, die Rechte der Frauen verteidigen und eine bessere Staatsführung aufbauen. Wir hatten eine Langzeitstrategie mit dem Ziel, Afghanistan wieder auf die Beine zu stellen.
Heute geht es nur noch darum, wie man aus dem Land herauskommt, wie man die Übergabe an die afghanischen Sicherheitskräfte bewerkstelligt - stellt sie auf, damit sie die Verantwortung übernehmen und nichts wie weg. Über andere Ziele wird gar nicht mehr geredet. Meiner Meinung nach ist das eine sehr gefährliche Wende, weg von den Gründen warum wir überhaupt dort sind, was wir dort tun; es erzeugt Bedingungen unter denen diese Vorfälle sehr dramatisch werden, und es zeigt, dass wir ein echtes Problem haben.
Bleiben wir zunächst bei Afghanistan: offenbar kursiert innerhalb der NATO ein Vorschlag der USA nach dem es 2014 deutlich drastischere Truppenreduzierungen in Afghanistan geben sollte als bisher geplant. Glauben Sie, die NATO wird dem beim bevorstehenden Gipfeltreffen zustimmen?
Ja, das erwarte ich. Neulich war der britische Premier David Cameron in Washington zu Besuch; bei einem Treffen mit Präsident Obama hat man sich geeinigt, den Afghanen die Verantwortung für ihre Sicherheit 2013 zu übergeben und den Rückzug zu beschleunigen, damit wir bis 2014 das Land verlassen haben. Ich glaube, das werden die anderen Verbündeten auch begrüßen. Keiner möchte wirklich mehr im Land sein und schon gar nicht, nachdem die Amerikaner abgezogen sind. Deswegen denke ich, man wird sich dem Zeitplan der USA anpassen.
Das war schon vor einiger Zeit Thema als Verteidigungsminister Panetta bei einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister den Vorschlag machte, den Handover auf 2013 zu verlegen. Es war das erste Mal, dass von offizieller amerikanischer Seite das Jahr 2013 ins Spiel gebracht wurde, zuvor hiess es immer 2014. Zu der Zeit hat das in NATO-Kreisen einen ziemlichen Aufruhr verursacht, die Franzosen hatten ja bereits von 2013 gesprochen, was aber von den USA abgelehnt wurde. Aber Panettas Bemerkungen zeigten deutlich, wie der Stand der Dinge in Washington ist und so wird das wohl auch laufen.
Die von der NATO geplante Raketenabwehr wird ein weiteres wichtiges Thema sein, auch wenn Moskau nicht an dem Gipfel teilnimmt. Wie wahrscheinlich ist unter diesen Umständen ein Deal mit Russland - und wie sollte die NATO reagieren wenn es nicht klappt?
Meiner Meinung nach gibt es gar keine Aussicht auf eine Einigung mit Russland darüber, das Abwehrsystem wie geplant zu installieren. Von Anfang an, auch beim Gipfel in Lissabon, haben sie darauf gedrungen, in die Entscheidungen zum Raketenschild der NATO einbezogen zu werden; sie haben auch klar gesagt, dass sie keine Abfangjäger oder Radar in Zentral- oder Osteuropa dulden. Für die Entwicklung des Raketenabwehrsystems war das aber nie akzeptabel. Es war lediglich eine Zeitbombe, die die Russen in das Abkommen von Lissabon eingebaut haben.
Zur Zeit sehen wir folgendes: die USA machen Fortschritte beim Raketenschild. Wir haben eine NATO Vereinbarung über einen Stufenplan zum Aufbau des Raketenschildes. Die USA schreiten voran und bei uns gibt es erfreuliche Entwicklungen bezüglich der Technologie und des Kapitals. Wahrscheinlich wird der Einsatz einiger Eckpunkte - Aegis Kreuzer mit Radaranlagen und Raketen - schon in Chicago angekündigt, oder zumindest im Zusammenhang mit dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der NATO. Damit die Anfangsphase des NATO Systems eingeleitet werden kann. Es wird kein allgemeines Abkommen zwischen der NATO und Russland geben und deswegen glaube ich auch nicht, dass man Fortschritte bei den mittel- und langfristigen Phasen des Abwehrschildes sehen wird.
Ich fürchte einige Länder, und dazu zählt wohl auch Deutschland, werden sagen, es lohnt sich nicht, damit überhaupt anzufangen wenn es nur zu Unstimmigkeiten mit Russland führt. Es wäre ein Fehler wenn man zuliesse, dass Russland den Ton in NATO-Verteidigungsfragen angibt - aber so wird es wohl laufen, zumindest kurz- bis mittelfristig.
Die NATO hat auch angekündigt, engere Beziehungen zum Mittleren Osten und Afrika knüpfen zu wollen - dort engagiert sich das Bündnis ja schon sehr mit dem Libyeneinsatz. Erwarten Sie diesbezüglich Entscheidungen oder sind es blosse Floskeln?
Mir ist nichts Konkretes zur Abstimmung bekannt. Es ist auch nicht ganz fair von Floskeln zu sprechen, es hat schon mehr direkte Kooperation der NATO mit einigen Ländern im Mittleren Osten und am Persischen Golf gegeben als zuvor. Also hat es dort Fortschritte gegeben. Wenn man sich den Libyen-Einsatz anschaut, war die Rolle der NATO recht beschränkt –Luftangriffe und das Flugverbot. Nur wenige Alliierte haben sich daran beteiligt, Deutschland war zum Beispiel nicht dabei. Dennoch waren es Qatar und die Vereinigten Arabischen Emirate, die eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung der Rebellen in Libyen gespielt haben, sie haben ihnen geholfen, Gaddhafi zu stürzen und können Erfolge verbuchen für die die NATO etliche Lorbeeren geerntet hat.
Zum Schluss Ihr Resümee - was erwarten sie vom NATO Gipfel in Chicago?
Es bereitet mir Sorgen, dass die NATO sich mit allen drei Themen, die auf dem Tisch liegen, schwer tut. Afghanistan, die Kooperation mit Partnern wo es nichts wirklich Neues gibt und vor allem das Verteidigungspotenzial – überall wird gekürzt, auch in den USA, und alle , Amerika inklusive, ziehen Truppen aus Europa ab. All das ist besorgniserregend. Die Themen die gar nicht auf der Agenda stehen sind die wichtigsten, und die NATO packt sie nicht an: Syrien, der Iran und die Frage, in welche Richtung wir streben wenn wir den Übergang zu demokratischem Wandel im Mittleren Osten unterstützen. Das sind einige der entscheidenden Themen mit denen wir konfrontiert sind und sie sind nicht auf der Tagesordnung der NATO.
Interview: Michael Knigge / db
Redaktion: Rob Mudge