Stoltenberg: Wir wollen kein neues Wettrüsten
24. Oktober 2018"Ich rechne nicht damit, dass Bündnispartner in Reaktion auf den neuen russischen Marschflugkörper mehr Nuklearwaffen in Europa stationieren", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel. Er reagierte damit erstmals öffentlich auf die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, den Vertrag zur nuklearen Abrüstung von Marschflugkörpern (INF) aufkündigen zu wollen. "Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg, wir wollen kein neues Wettrüsten", sagte der Norweger. Der Nordatlantikrat der Allianz wird demnach aber noch diese Woche über die Lage beraten. Nichtsdestotrotz müssten die Folgen der jüngsten Entwicklungen für die NATO diskutiert werden, meint Stoltenberg. Auf Botschafterebene solle es noch in dieser Woche Gespräche geben.
Keine neue Bedrohung
Dass Russland gegen den INF-Abrüstungsvertrag verstößt, ist nach Aussagen der NATO bekannt. Die USA erfüllten nach Ansicht aller Verbündeten das Abkommen, aber Russland sei das Problem, sagte der NATO-Generalsekretär. Grund ist ein Raketensystem, dass im Westen SSC-8 und von Russland 9M729 genannt wird. Die USA und die NATO gehen davon aus, dass seine Reichweite im Bereich der durch den INF-Vertrag verbotenen Trägersysteme zwischen 500 und 5500 Kilometer liegt.
"Russland hat nun zugegeben, dass es eine neue Rakete, die SSC-8, entwickelt und stationiert", sagte Stoltenberg. Er betonte aber gleichzeitig, dass die Vorwürfe der Verletzung des INF-Vertrages durch Moskau nicht neu seien. Sie seien schon vor Jahren von der Regierung von US-Präsident Barack Obama erhoben worden. "Das ist ein Problem, eine Bedrohung, eine Herausforderung, die schon lange besteht."
Zeit für Gespräche
Stoltenberg kündigte an, dass die NATO-Botschafter in dieser Woche im Nordatlantikrat über die Lage beraten werden. Es gebe die "Notwendigkeit, die Auswirkungen der neuen russischen Rakete für unsere Sicherheit zu bewerten", sagte er. Nach Angaben aus NATO-Kreisen findet das Treffen am Donnerstag statt.
Trump hatte am Wochenende angekündigt, aus dem 1987 geschlossenen INF-Vertrag zur Abschaffung aller landgestützten, nuklear bestückbaren Mittelstreckenraketen auszusteigen. Zudem drohte der US-Präsident Russland und anderen Staaten damit, das Atomwaffenarsenal seines Landes auszubauen. Noch am Wochenende war Sicherheitsberater John Bolton nach Russland gereist, um Gespräche mit der Regierung in Moskau aufzunehmen.
Kalkulierte Dialogbereitschaft
Zum Abschluss seines Besuchs gab Bolton bekannt, dass trotz des Streits die Präsidenten der USA und Russlands für 2019 zwei Gipfeltreffen in den Hauptstädten Washington und Moskau erwägen. Darüber wollten Trump und Wladimir Putin bei ihrem kommenden Treffen in Paris im November beraten, sagte Bolton der Nachrichtenagentur Interfax in Moskau. Trumps Einladung an Putin gelte weiterhin, sagte der Berater. "Erst gibt es die Möglichkeit zu einem vollwertigen Gipfel in Washington, und danach könnte später im Jahr der Gegenbesuch Trumps in Moskau stattfinden", zitierte Interfax den Trump-Vertrauten.
Bolton bekräftigte die Entschlossenheit der USA, aus dem INF-Vertrag zum Verbot nuklearer Kurz- und Mittelstreckenraketen auszusteigen. "Das ist die Entscheidung des Präsidenten, Ich denke, dass sie sehr klar und eindeutig ist, deshalb informieren wir unsere Verbündeten." Dazu hätten auch seine eigenen Gespräche in Moskau gedient. Putin hat ein Treffen mit Trump bei der 100-Jahr-Feier zum Ende Ersten Weltkriegs am 11. November in Paris vorgeschlagen. Der US-Präsident hat sich zu der Begegnung bereit erklärt.
Der INF-Vertrag wurde 1987 während des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion geschlossen. Auf seiner Basis wurden die meisten nuklearen und konventionellen Raketen und Marschflugkörper mit kürzerer und mittlerer Reichweite abgebaut. Mit dem Vertrag wurden erstmals zwei Kategorien von Atomwaffen verboten, was seinerzeit als doppelte Nulllösung bezeichnet wurde. Die Zerstörung dieser Waffen wurde gegenseitig kontrolliert.
sam/sti (afp, dpa, rtr)