Nahost: Hisbollah nennt Hamas-Angriff "rein palästinensisch"
3. November 2023Das Wichtigste in Kürze:
- Hisbollah-Chef Nasrallah äußert sich öffentlich
- Angehörige israelischer Hamas-Opfer reichen Strafanzeige in Den Haag ein
- Laut Armeesprecher Daniel Hagari ist Gaza-Stadt umstellt
- Israel bittet um Lazarettschiffe für Verletzte aus Gaza
- US-Außenminister Blinken ist wieder im Nahen Osten
Die Sorge vor einer zweiten Front im Konflikt zwischen Israel und der terroristischen Hamas ist groß. Nun hat sich Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah in einer Video-Botschaft zu der Situation geäußert. Den Großangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel vom 7. Oktober bezeichnete er als "zu hundert Prozent palästinensisch".
Nasrallahs Rede war in der gesamten Region als Zeichen dafür erwartet worden, ob sich der Konflikt zwischen Israel und der Hamas zu einem regionalen Krieg ausweiten würde. Seit Beginn der Kämpfe hat die mit der Hamas verbündete Hisbollah kalkulierte Schritte unternommen, um das israelische Militär an der Grenze zum Libanon in Atem zu halten, allerdings nicht in dem Ausmaß, dass es zu einem Krieg kommt.
Die eng mit dem Iran verbündete Hisbollah gilt als starke politische Kraft im Libanon und als deutlich mächtiger und einflussreicher als die Hamas. Die Hisbollah gilt als wichtigster nichtstaatlicher Verbündeter Irans und zählt zur sogenannten "Widerstandsachse", einer Front von Milizen, deren Ziel es ist, Irans Erzfeind Israel zu bekämpfen.
Weiter führte Nasrallah aus, ein Sieg der Hamas im Gazastreifen über Israel sei nicht nur im Interesse arabischer Nachbarländer wie Ägypten, Jordanien und Syrien. Vor allem liege ein Sieg der Hamas "im nationalen Interesse des Libanons".
Im gesamten Libanon gab es Versammlungen, um die Rede gemeinsam zu hören. Allein im südlichen Vorort Beiruts versammelten sich Tausende Anhänger der Schiitenorganisation mit wehenden Hisbollah- und Palästinenser-Flaggen oder Bildern des Milizenchefs. Sie riefen "Gott segne Nasrallah".
USA warnen Iran und Hisbollah vor Aggressionen
US-Außenminister Antony Blinken hat den Iran und die von Teheran unterstützte Hisbollah im Libanon davor gewarnt, eine weitere Front im Konflikt zwischen Israel und der islamistischen Hamas zu öffnen. "Wir setzen uns dafür ein, Aggressionen von jedweder Seite abzuschrecken", sagte er bei einem Besuch in Israel. Er verwies auch auf die Stationierung mehrerer Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer. Ob die USA im Falle der Eröffnung einer zweiten Front auch selbst in den Konflikt eingreifen werden, sagte er nicht.
An Israel appellierte Blinken, bei den Kämpfen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu schonen. Die israelische Regierung habe zwar das Recht, "alles Mögliche zu tun", um eine Wiederholung des Angriffs vor vier Wochen zu verhindern, sagte Blinken. Es sei es aber wichtig, alles dafür zu tun, dass Zivilisten nicht ins Kreuzfeuer gerieten und geschützt würden. Zudem müssten die Menschen mit dem versorgt werden, was sie verzweifelt benötigten.
Blinken sprach mit Israels Präsident Izchak Herzog und Regierungschef Benjamin Netanjahu und wollte konkrete Schritte ausloten, die Folgen für die Zivilbevölkerung zu mildern. Netanjahu lehnte eine Feuerpause erneut ab. Darüber könne erst gesprochen werden, wenn die Geiseln frei seien, sagte er nach dem Treffen mit Blinken.
Im Gazastreifen fehlt es an Nahrungsmitteln, Treibstoff, Wasser und an medizinischer Versorgung. Die US-Regierung hat betont, eine Feuerpause sollte lediglich temporär und lokal begrenzt gelten.
Angehörige israelischer Hamas-Opfer reichen Strafanzeige in Den Haag ein
Die Angehörigen von neun israelischen Opfern des Großangriffs der radikalislamischen Hamas haben beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag eine Strafanzeige wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen eingereicht. Nach Angaben des Anwalts François Zimeray fordern die Familien eine Verfolgung der Hamas wegen Völkermords sowie den Erlass von Haftbefehlen gegen Anführer der im Gazastreifen herrschenden Organisation.
Sämtliche Opfer, wegen deren Tötung nun der IStGH angerufen wird, seien Zivilisten, sagte Zimeray im französischen Radiosender Radio Classique. In der Anzeige werde unter anderem darauf verwiesen, dass die Hamas-Kämpfer ihre Taten nicht leugneten und sie "ausführlich dokumentiert und Aufzeichnungen davon weiterverbreitet" hätten. Die Fakten könnten daher nicht bestritten werden.
Zum Vorwurf des Genozids sagte Zimeray, er sei "stets zurückhaltend" bei "übertriebenen Bezeichnungen" für Ereignisse. Seine Kollegen und er seien jedoch zu dem Schluss gekommen, dass der Vorwurf des Völkermords in diesem Fall vor Gericht bestand habe.
Die Staatsanwälte am IStGH bestätigten den Eingang einer "Mitteilung". Das Büro von Chefankläger Karim Khan erklärte, es gebe grundsätzlich keine Kommentare über "derartige Mitteilungen" ab.
Frankreich fordert Aufklärung nach Schlag auf Institut in Gaza
Die französische Regierung hat Aufklärung von Israel zu einem Schlag gegen eine französische Kultureinrichtung in Gaza gefordert. "Wir wurden von den israelischen Behörden darüber informiert, dass das Französische Institut in Gaza zum Ziel eines israelischen Schlags wurde", teilte das Außenministerium in Paris mit. "Wir haben die israelischen Behörden darum gebeten, uns ohne Verzögerung die greifbaren Anhaltspunkte zu nennen, die zu dieser Entscheidung geführt haben.
Den Angaben zufolge waren zum Zeitpunkt der Bombardierung keine Menschen in dem Gebäude. Das Institut Français ist eine Bildungseinrichtung mit Standorten weltweit, inetwa vergleichbar mit den deutschen Goethe-Instituten.
Auch das Büro der französischen Nachrichtenagentur AFP wurde nach deren Angaben getroffen und schwer beschädigt. Alle lokalen Mitarbeitenden sind den Angaben zufolge den Evakuierungsaufrufen in den Süden des Gazastreifens gefolgt. "AFP verurteilt den Schlag gegen ihr Büro in Gaza-Stadt auf das Schärfste", sagte Agenturchef Fabrice Fries. "Der Standort des Büros ist allen bekannt und daran wurde in den letzten Tagen mehrfach erinnert, um einen solchen Angriff zu verhindern und zu ermöglichen, dass wir weiterhin mit Bildern vor Ort berichten können."
Israel meldet Einkesselung von Gaza-Stadt
Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben die Stadt Gaza umstellt. Der Ort sei der "Brennpunkt der Terrororganisation Hamas", sagte Militärsprecher Daniel Hagari vor Journalisten. "Wir konzentrieren uns darauf, die Hamas zu zerstören." Die Soldaten töteten Terroristen im Nahkampf überall dort, wo Kämpfe erforderlich seien, sagte Hagari weiter, ohne konkreter zu werden.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ließ erklären: "Wir befinden uns auf dem Höhepunkt der Schlacht." Die israelische Regierung hatte als Reaktion auf den beispiellosen Terrorüberfall der militant-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober angekündigt, diese vernichten zu wollen.
Gaza ist mit schätzungsweise 750.000 Einwohnern die größte Stadt in dem abgeriegelten palästinensischen Küstenstreifen, in dem die Hamas die eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilde missbraucht. Israels Armee hatte die Menschen, die sich noch im nördlichen Gazastreifen und in der Stadt Gaza befinden, mehrfach zur Flucht in den Süden aufgerufen.
Lazarettschiffe für Verletzte aus Gaza?
Frankreich schickt im Bemühen um die medizinische Versorgung Verletzter im Gazastreifen einen zweiten Hubschrauberträger Richtung Gaza-Küste. Die "Dixmude" werde so ausgerüstet, dass sie in ein Krankenhausschiff umgewandelt werden könne, sagte Verteidigungsminister Sebastien Lecornu dem Sender France Info.
Frankreich hat bereits die "Tonnerre" ins östliche Mittelmeer entsandt. Laut Präsident Emmanuel Macron sollen damit Krankenhäuser in Gaza unterstützt werden. Doch die Aufgabe der beiden Schiffe ist Experten zufolge nicht klar, weil sie für eine große Zahl von Verletzten aus Gaza zu klein sind und der Sinn einer Verlegung von Patienten von Land auf See ohnehin als fraglich gilt.
Lecornu erklärte, das Vorhaben befinde sich noch in der Planungs- und Abstimmungsphase mit den Behörden in Israel und Ägypten. Er hoffe, dass auch andere Länder Schiffe entsenden und so die notwendigen Kapazitäten erreicht würden.
Zuvor hatte Israel Deutschland und andere Länder zur Behandlung von Verletzten aus dem Gazastreifen um Lazarettschiffe gebeten. Diese sollten in Ägypten anlegen und dort verletzte Palästinenser aufnehmen, sagte der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, dem israelischen Radiosender Kan.
Die Krankenhäuser im Gazastreifen können nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums, das der herrschenden Hamas untersteht, kaum noch arbeiten. 16 von insgesamt 35 Krankenhäuser könnten wegen Treibstoffmangels keine Patienten mehr behandeln, teilte ein Sprecher mit. Sie brauchen für ihre Generatoren Treibstoff, um Strom zu erzeugen.
Israel erlaubt die Einfuhr von Treibstoff in den Gazastreifen bislang nicht, weil es befürchtet, dass dieser die Krankenhäuser nicht erreichen wird, sondern von der Hamas für deren Zwecke entwendet wird.
Deutsche aus dem Gazastreifen ausgereist
Nach Angaben des Auswärtigen Amts in Berlin haben mehr als 30 Deutsche den Gazastreifen verlassen. Darunter seien auch Familien mit Kindern, teilte das Auswärtige Amt auf der Plattform X mit. Das Ministerium arbeite "mit Hochdruck" daran, dass auch andere Deutsche, die sich im Gazastreifen aufhalten, ausreisen können, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin. Man gehe von einer "niedrigen dreistelligen Zahl an Deutschen" dort aus.
Wie der Sprecher weiter mitteilte, gibt es eine Zusage, dass eine festgelegte Anzahl von Menschen jeden Tag ausreisen kann. Die Kontrollen am Grenzübergang seien allerdings "aufwendiger als gedacht". Daher seien bislang weniger Menschen aus dem Gebiet herausgekommen als ursprünglich angenommen. Der Grenzübergang Rafah war am Mittwoch erstmals seit Beginn der Kämpfe zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas für ausländische Staatsbürger und Verwundete geöffnet worden.
Hamas-Behörde meldet Beschuss von Krankenhauskonvoi
Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde im Gazastreifen hat Israel vorgeworfen, einen Konvoi von Krankenwagen ins Visier genommen zu haben. Die Fahrzeuge hätten zum Zeitpunkt des Vorfalls das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt verlassen, sagte ein Sprecher der Behörde. Es habe mehrere Angriffe gegeben, einmal am Tor des Krankenhauses und dann mehrfach außerhalb. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete von Leichen und beschädigten Krankenwagen am Ort des Geschehens. Die Hilfsorganisation Palästinensischer Roter Halbmond postete auf X ein Foto eines beschädigten Krankenwagens.
Israelisches Militär bestätigt Angriff auf Krankenwagen im Gazastreifen
Das israelische Militär erklärte, eines seiner Flugzeuge habe einen Krankenwagen getroffen, der nach Einschätzung der Soldaten von einer Hamas-Einheit in der Nähe ihrer Position in der Kampfzone benutzt wurde.
Eine Reihe von Hamas-Kämpfern sei bei dem Angriff getötet worden. Darüber hinaus lägen dem Militär Informationen vor, dass die Hamas Krankenwagen zum Transport von Kämpfern und Waffen benutze, hieß es in der Erklärung weiter.
UN brauchen 1,2 Milliarden Dollar für Palästinenser-Hilfe
Die Vereinten Nationen und ihre Partnerorganisationen brauchen bis zum Ende des Jahres 1,2 Milliarden US-Dollar für die Versorgung der notleidenden palästinensischen Bevölkerung. Das UN-Büro zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) rief in Genf internationale Geber auf, das Geld bereitzustellen. Damit sollten Essen, Wasser, Medizin, Unterkünfte, Hygieneartikel und andere Hilfsgüter finanziert werden. Insgesamt solle die Hilfe 2,7 Millionen Menschen zugutekommen: der gesamten Bevölkerung des von Israel weitgehend abgeriegelten Gazastreifens sowie 500.000 Menschen im Westjordanland.
Am Donnerstag rollten OCHA zufolge 102 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern aus Ägypten über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen. Dies sei der größte Konvoi seit der Wiederaufnahme der Hilfslieferungen am 21. Oktober. Die Gesamtzahl der einfahrenden LKW habe sich auf insgesamt 374 erhöht. Die Einfuhr von Treibstoff werde von den israelischen Behörden allerdings weiterhin verboten. Vor der israelischen Blockade des Gazastreifens erreichten täglich Hunderte Lastwagen mit Hilfsgütern das Gebiet.
Palästinenser: Israel schickt Arbeiter zurück in Gazastreifen
Arbeiter aus dem Gazastreifen, die die seit dem Großangriff der Hamas-Terroristen auf Israel dort festsitzen, sind nach palästinensischen Angaben zurück in den Gazastreifen geschickt worden. Sie seien mit Bussen an die Grenze gebracht worden, hieß es aus palästinensischen Sicherheitsquellen. Die Arbeiter überquerten demnach zu Fuß den Grenzübergang Kerem Schalom, der vor dem Krieg als Warenübergang diente.
Der Grenzübergang befindet sich im südlichen Gazastreifen, in der Nähe der ägyptischen Grenze. Die genaue Zahl der Arbeiter war zunächst unklar, auch wo die Palästinenser zuvor festgehalten wurden. Die in Israel zuständige Behörde sowie das Militär äußerten sich auf Nachfrage nicht.
Vor dem Großangriff der Hamas auf Israel konnten Tausende Palästinenser mit Sondergenehmigungen nach Israel einreisen und dort einer Arbeit nachgehen. Viele waren in der Landwirtschaft oder auf dem Bau tätig.
Am Donnerstagabend hatte das Sicherheitskabinett beschlossen, festsitzende Arbeiter in den Gazastreifen zurückzuschicken. Laut Medienberichten befinden sich noch Hunderte oder gar einige Tausend palästinensische Arbeiter in Israel. Einige von ihnen sollen sich inzwischen im Westjordanland aufhalten. Viele würden auch auf einem Stützpunkt der Armee festgehalten.
qu/mak/se/sti/MM/uh/ehl/hf (dpa, afp, rtr, epd, ap)