Habeck: Antisemitismus in keiner Gestalt zu tolerieren
2. November 2023Knapp zehn Minuten lang ist das Video, das Deutschlands Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) am Mittwochabend auf verschiedenen Social-Media-Plattformen veröffentlicht hat. Und es hätte so wohl auch zur besten Sendezeit im Fernsehen verbreitet werden können. Denn es ist eine Ansprache an das Volk, an die Nation.
Es geht um Deutschland, Israelund den Antisemitismus, der seit dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der militärischen Reaktion Israels darauf auch hierzulande stärker zu Tage tritt. Habecks klares Statement: "Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren - in keiner."
"Islamistischer" und "verfestigter" Antisemitismus in Deutschland
Habeck sagte: "Das Ausmaß bei den islamistischen Demonstrationen in Berlin und in weiteren Städten Deutschlands ist inakzeptabel und braucht eine harte politische Antwort." Gleichzeitig müssten die muslimischen Verbänden sich noch deutlicher und zahlreicher von den Taten der Hamas und vom Antisemitismus distanzieren: "Einige haben sich klar von den Taten der Hamas und vom Antisemitismus distanziert, haben das Gespräch gesucht. Aber nicht alle, manche zu zögerlich und, ich finde, insgesamt zu wenige."
Die Hamas erkennt den Staat Israel nicht an und will das Land nach eigenen Angaben vernichten. Deutschland, die Europäische Union, die USAund einige arabische Staaten stufen die Hamas als Terrororganisation ein.
Aber Habeck spricht in dem Video nicht nur von hier lebenden Muslimen. Er beklagt auch einen "verfestigten" Antisemitismus in Deutschland - vor allem am rechten und linken Rand des politischen Spektrums. Ohne sie explizit zu nennen, macht er klar, dass er unter anderem der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) Judenfeindlichkeit vorwirft, wenn er sagt: "Nur, dass die Rechtsextremen sich zum Teil gerade aus rein taktischen Gründen zurückhalten, um gegen Muslime hetzen zu können." In Teilen der Linken dagegen vermischten sich Anti-Kolonialismus und Antisemitismus. Hier gelte es die "Argument zu überprüfen und der großen Widerstandserzählung zu Misstrauen: "Die Hamas ist eine mordende Terrorgruppe, die für die Auslöschung des Staates Israel und den Tod aller Juden kämpft", stellte Habeck klar.
"Staatsräson war nie eine Leerformel"
Breiten Raum nimmt in dem Video der Begriff der "Staatsräson" ein. Habeck sagt, die Aussage, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson, sei nie eine Leerformel gewesen und dürfe auch keine werden: "Dieses besondere Verhältnis zu Israel rührt aus unserer historischen Verantwortung: Es war die Generation meiner Großeltern, die jüdisches Leben in Deutschland und Europa vernichten wollte."
Deutschland sei daher verpflichtet zu helfen, das Schutzversprechung, das mit der Gründung des Staates Israel einhergehe, einzuhalten. Dazu gehöre es auch, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland "frei und sicher" leben können, doch die Angst sei zurück, sodass sie es vermieden, ihren Glauben zu erkennen zu geben.
Ein Besuch bei der jüdischen Gemeinde in Frankfurt
Habeck berichtet dann von einigen Begegnungen, die ihn offenbar zu dem Video angeregt haben, etwa bei der jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main: "In einem intensiven, einem schmerzhaften Gespräch erzählten mir die Gemeindevertreter, dass ihre Kinder Angst haben, zur Schule zu gehen, dass sie nicht mehr in Sportvereine gehen, dass sie auf Anraten ihrer Eltern die Kette mit dem Davidstern zuhause lassen. Heute hier, in Deutschland. Fast 80 Jahre nach dem Holocaust." Für Habeck sei dies eine unerträgliche Situation.
Der Antisemitismus zeige sich in Drohungen und Angriffen und eben auch auf Demonstrationen. Diese seien - anders als teils behauptet - in Deutschland nicht verboten, Habeck. Doch die Meinungsfreiheit habe Grenzen: "Das Verbrennen von israelischen Fahnen ist eine Straftat, das Preisen des Terrors der Hamas auch. Wer Deutscher ist, wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen, wer kein Deutscher ist, riskiert außerdem seinen Aufenthaltsstatus. Wer noch keinen Aufenthaltstitel hat, liefert damit einen Grund, abgeschoben zu werden." Klare Worte des Vizekanzlers, mit denen er durchaus auch im eigenen Lager anecken könnte.
"Beim Thema Judenhass können wir nicht sensibel genug sein"
Die hohe Sensibilität, die beim Thema Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit sonst in der deutschen Gesellschaft herrsche, vermisse Habeck beim Eintreten für die Rechte jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger: "Während es schnell große Solidaritätswellen gibt, etwa wenn es zu rassistischen Angriffen kommt, ist die Solidarität bei Israel rasch brüchig."
Einordnungen in den zeithistorischen Kontext in Nahost, deutet Habeck an, gerieten schnell zu unlauterer Relativierung: "Wir haben sicherlich oft zu viel Empörung in unserer Debattenkultur. Hier aber können wir gar nicht empört genug sein. Es braucht jetzt Klarheit, kein Verwischen." Die Hamas sei "eine mordende Terrorgruppe", die auch einer Aussöhnung beider Seiten entgegenstehe. Gleichzeitig mache die Bundesregierung "Israel immer wieder deutlich, dass der Schutz der Zivilbevölkerung zentral" sei.
Lob und Zustimmung von Zentralrat der Juden und Opposition
6,5 Millionen Mal wurde das Video, das Habeck fast staatsmännisch im dunklen Anzug mit Krawatte zeigt, bis Donnerstagnachmittag aufgerufen. In einer ersten Reaktion zeigte sich der Zentralrat der Juden in Deutschland erfreut: Dessen Präsident Josef Schuster sagte den TV-Sendern RTL und n-tv, Habecks Video sei in dieser Form eine Ausnahme. Und Schuster nannte Habecks Ansprache "ausgewogen", da es auch die Belange der Palästinenser berücksichtige.
Auch die CDU-Opposition äußerte sich zustimmend, fügte aber an, es sei genau deshalb Aufgabe der Bundesregierung, sicher zu stellen, dass in deutschen Moscheen "keinerlei Raum für antisemitische und antiwestliche Rhetorik ist", so der CDU-Innenexperte Alexander Throm. Auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung Felix Klein lobte das Video des Wirtschaftsministers. Er sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Die eindringliche Botschaft von Herrn Vizekanzler Robert Habeck ist ein richtiger und wichtiger Beitrag in der aufgeheizten und von Falschmeldungen geprägten Diskussion."
Droht im Nahen Osten ein Armageddon?
Ob das Video, das tatsächlich den Charakter einer Art Grundsatzrede der Regierung so mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) abgesprochen war, blieb zunächst offen. Das aber Habeck ganz bewusst einen Akzent beim Thema Judenfeindlichkeit, Israel und Krieg im Nahen Osten setzen möchte, wurde am Mittwoch auch in der vielbeachteten TV-Talkshow "Markus Lanz" im ZDF deutlich.
Auch dort war Habeck zu Gast und warnte, dass der Konflikt im Nahen Osten von einem Flächen- zu einem "Weltbrand" werden könne. Wenn sich weitere Staaten in den Konflikt zwischen Israel und der Hamas einmischten, führte Habeck aus, drohe ein Szenario, das "Armageddon-ähnlich" sei. In der Bibel ist "Armageddon" der Ort der endzeitlichen Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse. Dramatische Worte eines Grünen-Politikers, der ganz offensichtlich voller Sorge ist: Über die Zuspitzung der Lage im Nahen Osten und um die Rückwirkungen auf die deutsche Gesellschaft.