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Begegnung in Auschwitz

Sabine Damaschke1. Februar 2013

Wie überlebt man in einem Todeslager? Das haben Nachwuchsjournalisten ehemalige Häftlinge des KZ Auschwitz gefragt - vor Ort. Das Begegnungsprojekt des Maximilian-Kolbe-Werks hat alle tief berührt.

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Dortmunder Nachwuchsjournalist Jan Schulte mit dem ehemaligen polnischen Häftling Jacek Zieliniewicz im früheren KZ Auschwitz (Foto: Maximilian-Kolbe-Werk, Freiburg)
Bild: Maximilian Kolbe Werk, Freiburg

Den eisigen Wind von Auschwitz wird Jan Schulte so schnell nicht vergessen. Mit dicker Daunenjacke, Mütze und Stiefeln ist er über das riesige Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau gestapft und war trotzdem sofort durchgefroren. "Unvorstellbar, dass die Häftlinge hier barfuß herumgelaufen sind", sagt der 25-jährige Student. "Und stundenlang beim Appell im Schnee standen."

Die Nationalsozialisten hatten das Lager im besetzten Polen eingerichtet. Dutzende Baracken, ursprünglich gebaut für 52 Pferde, in denen jeweils bis zu 1200 Gefangene schliefen, der Todesgeruch der Krematorien, Schwerstarbeit, Hunger und Schikane - von all dem hat Jan Schulte nicht nur durch eine Besucherführung erfahren. Der Journalistik-Student war Ende Januar mit ehemaligen Häftlingen auf dem riesigen Gelände des bekanntesten und berüchtigtsten KZs unterwegs, gemeinsam mit 19 anderen Nachwuchsjournalisten aus elf europäischen Ländern.

Begegnungsprojekt mit internationalem Anspruch

Zurück in Deutschland, ist er immer noch fassungslos: "Es ist unglaublich, was Menschen anderen Menschen antun können." Der Alltag an der Medienakademie in Dortmund hat für ihn zwar wieder begonnen. Doch die Bilder aus dem KZ, in dem 1,5 Millionen Menschen starben, und die Gespräche mit den fünf Zeitzeugen lassen ihn nicht los. Jeden Tag tauscht er sich mit anderen Teilnehmern der internationalen Begegnungsreise des Maximilian-Kolbe-Werks aus.

Der ehemalige polnische Häftling Jacek Zieliniewicz führt die Nachwuchsjournalisten über das Gelände der Gedenkstätte Auschwitz (Foto: Maximilian-Kolbe-Werk, Freiburg)
Eisige Kälte: Europäische Nachwuchsjournalisten auf dem Gelände der Gedenkstätte AuschwitzBild: Maximilian Kolbe Werk, Freiburg

Anfang März werden sie sich alle wiedersehen. Dann sind sie wieder eine Woche lang unterwegs, in der Gedenkstätte Ravensbrück in Deutschland. Das Maximilian-Kolbe-Werk, das seit 1973 ehemalige KZ- und Ghettohäftlinge finanziell unterstützt und zahlreiche Zeitzeugenprojekte in deutschen Schulen organisiert, veranstaltet das Projekt "Nahaufnahme" bereits zum zweiten Mal. "Die Internationalität ist uns dabei sehr wichtig", betont Direktor Wolfgang Gerstner. "Denn der Blick auf die Geschichte variiert je nach Land, aus dem die jungen Leute kommen."

Sprachlos vor den Abgründen des Menschlichen

Es sei eben ein Unterschied, ob Polen oder Ukrainer, die unter der Besatzung durch Deutschland und Russland gelitten hätten, sich mit den Verbrechen der NS-Zeit auseinandersetzten, erklärt der Theologe - oder ob Deutsche und Russen über die Verbrechen diskutierten. Da kämen durchaus auch mal historische Streitfragen auf den Tisch. "Letztlich aber stehen alle ratlos und sprachlos vor den Abgründen des Menschlichen, die sich in den ehemaligen KZs auftun."

Verschneite Eingangsportal der Gedenkstätte Auschwitz mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei" (Foto: Jan Schulte)
Zu traurigem Ruhm gelangte das makabere Eingangstor des Konzentrationslagers AuschwitzBild: Jan Schulte

Ob aus Polen, Tschechien, Russland, Österreich oder der Schweiz - die anderen Studenten seien ähnlich betroffen gewesen über die Geschichten der Zeitzeugen wie er selbst, erzählt Jan Schulte. "Aber ich habe noch etwas anderes empfunden als Wut und Traurigkeit - und das war Scham." Zwar hätten die ehemaligen Häftlinge stets betont, dass die junge Generation längst keine Schuld mehr an den Verbrechen trage. Doch es seien schließlich seine Vorfahren, die mit ihrer Rassenideologie so viel Leid verursacht hätten. "Und das ist mir schon peinlich."

Die Güte der Zeitzeugen

Umso beeindruckter war der Dortmunder Student von der Freundlichkeit und Güte, mit der die ehemaligen KZ-Häftlinge alle Fragen der Nachwuchsjournalisten beantworteten. "Dabei war die Erinnerung für alle sehr schmerzhaft", erzählt Jan Schulte. Etwa, als der 86-jährige Pole Jacek Zieliniewicz den Studenten die Ruine des Krematoriums zeigte, in dem täglich Kinder verschwanden, die er nicht mehr wiederkommen sah. "Er sagte, das habe ihm bis heute das Herz gebrochen."

Mit dem Namen eines ehemaligen jüdischen Häftlings des KZ Auschwitz versehener Koffer (Foto: Jan Schulte)
Koffer ohne Besitzer: Im KZ Auschwitz hinterließen viele Juden ihr Gepäck mit Namen und AdresseBild: Jan Schulte

Die Ukrainerin Anastasia Gulej musste die Führung durchs Museum der Gedenkstätte Auschwitz abbrechen, als sie die vielen ausgestellten Kinderschuhe und Koffer sah. "Darauf war ich auch nicht vorbereitet", gibt Schulte zu. "Auf den meisten Koffern standen noch die Namen der Besitzer, die sie nie wiedersehen sollten."

Tränen vor laufender Kamera

In der Woche habe er häufiger geweint, erzählt der Nachwuchsjournalist. Sogar vor einem deutschen Kamerateam, das über die Reise berichtete, konnte er seine Tränen nicht zurückhalten. Nach der Ausstrahlung der Reportage erhielt Jan Schulte zahlreiche E-Mails, in denen die Zuschauer sich von seiner Betroffenheit beeindruckt zeigten. Eine jüdische Gemeinde wollte ihn gerne kennenlernen und lud ihn zu einem Treffen ein.

"Das war sicher die bewegendste Woche meines Lebens", meint Jan Schulte. "Es ist etwas ganz anderes, ob man in Geschichtsbüchern über die Verbrechen der NS-Zeit liest oder Menschen gegenübersteht, die sie am eigenen Leib erfahren haben." Für das Uni-Radio hat der Journalistikstudent eine mehrteilige Reihe über seine Reise geplant. Für die Hochschulzeitung will er eine große Reportage schreiben.

Nachwuchsjournalist Jan Schulte im Studio des Dortmunder Uni-Radios (Foto: Jan Schulte)
Schulte berichtet über seine Reise im Uni-RadioBild: Jan Schulte

Doch dafür lässt er sich noch Zeit. "Erst mal muss ich all die Eindrücke verarbeiten", sagt Schulte. Und dann geht es schließlich noch ins ehemalige Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. "Ich freue mich, die anderen Journalisten wiederzutreffen", sagt er. "Aber ich gebe zu, ich habe auch Angst vor den grausamen Berichten, die mich dort erwarten."