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Inge Deutschkrons "zerrissenes Leben"

Marcel Fürstenau30. Januar 2013

Im Bundestag spricht die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron beim Gedenken an die Opfer des NS-Regimes - 80 Jahre nach der Machtübernahme Adolf Hitlers. Noch heute plagen sie Schuldgefühle.

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Inge Deutschkron spricht am Mittwoch im Bundestag bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus (Foto: dapd)
Bild: dapd

"Du gehörst nun zu einer Minderheit." Diesen Satz hörte die knapp elfjährigre Inge Deutschkron (im Artikelbild) von ihrer Mutter, nachdem die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 die Macht übernommen hatten. Was das für sie persönlich bedeutete, schilderte die deutsch-israelische Schriftstellerin am Mittwoch in der Gedenkstunde des Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus. Diskriminierung, Verfolgung, Rettung – die inzwischen 90-Jährige gehört zu den nur etwa 1700 von einstmals 200.000 Berliner Juden, die den Holocaust überlebt haben. "Zerrissenes Leben" nannte Inge Deutschkron ihren Vortrag, den sie im Beisein von Bundespräsident Joachim Gauck, Kanzlerin Angela Merkel und anderen hochrangigen Vertretern des gesellschaftlichen Lebens hielt.

"Lass Dir nichts gefallen, wehr' Dich", habe ihre Mutter damals auch zu ihr gesagt. Dieser Satz habe ihr ganzes Leben bestimmt. Eindringlich erinnerte Inge Deutschkron an die Angst "vor Schritten im Treppenhaus". Das untrügliche Zeichen dafür, dass womöglich wieder Nachbarn "abgeholt" wurden. Vor der Machtübernahme durch die Nazis sei zu Hause "immer viel gelacht worden". Die Heiterkeit verschwand schlagartig mit dem Beginn der neuen, der NS-Zeit, wie die in Finsterwalde geborene Autorin erzählt. Aus der zwischen Dresden und Berlin gelegenen Kleinstadt war die Familie 1927 in die damalige Reichshauptstadt gezogen.

"Mit welchem Recht verstecke ich mich?"

Der Vater, der freiwillig am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte, wurde aus dem staatlichen Schuldienst entlassen. Während ihm die Emigration nach England glückte, überlebten Inge Deutschkron und ihre Mutter im Berliner Untergrund. Dabei erlebte sie auch immer wieder Zeichen der Mitmenschlichkeit. Fremde hätten ihr in der U-Bahn heimlich etwas in die Taschen gesteckt, "mal einen Apfel, mal eine Fleischmarke". Andere hätten sie mit Verachtung angeschaut, "Grimassen gezogen". Die Mehrheit der Deutschen habe weggeguckt. Vor der systematischen Deportation lebte Inge Deutschkron in einem der sogenannten Judenhäuser. Das bedeutete unter anderem "kein Telefon, kein Radio". Kulturveranstaltungen und Spaziergänge im Grünen waren verboten.

Holocaust-Überlebende erinnert an NS-Opfer

Und dann ab Oktober 1941 die Transporte in Richtung Osten. Sie sehe die Menschen noch heute vor sich, "von Schrecken erstarrt". Keinen Schrei habe sie gehört, kein Aufbegehren. Sie habe begonnen, sich schuldig zu fühlen. "Mit welchem Recht verstecke ich mich?" Dieses Gefühl der Schuld habe sie nie wieder losgelassen, sagte Inge Deutschkron.

Lammert: "Ewigkeit des Grauens"

Nach dem Krieg lebte sie dann zunächst in England, Mitte der 1950er Jahre kehrte sie nach Deutschland zurück. Von Bonn aus arbeitete Inge Deutschkron als Korrespondentin für die israelische Zeitung "Ma'ariv". Später pendelte sie lange Zeit sie zwischen Tel Aviv und Berlin. Ihre ersten Erlebnisse nach 1945 waren ernüchternd. Bundeskanzler Adenauer habe davon gesprochen, die Mehrheit der Deutschen sei gegen die Verbrechen gewesen. "Ach, wäre das doch die Wahrheit gewesen!", sagte Inge Deutschkron nun im Plenum des Deutschen Bundestages.            

Zu Beginn der Gedenkstunde hatte Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) an den 30. Januar 1933 erinnert. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten "begann das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte". Die zwölf Jahre bis Kriegsende 1945 seien eine "Ewigkeit des Grauens" gewesen. Die Machtübernahme, sagte Lammert, sei "kein Betriebsunfall" gewesen. Unter Hinweis auf die rechtsterroristische Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mahnte Lammert, die Demokratie müsse "mit Leben erfüllt und täglich verteidigt werden".

Kanzlerin eröffnet Ausstellung

Bereits am Vormittag hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit im NS-Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors" die Ausstellung "Berlin 1933 – Der Weg in die Diktatur" eröffnet. Sie ist Teil des Themenjahres "Zerstörte Vielfalt". Dazu gehört auch eine Dokumentation im Deutschen Historischen Museum.