Whatsapp-Nachrichten aus Idlib
14. Februar 2020Mona lebt mit der Angst. Mit den Bomben und Raketen, mit dem Krieg. "Es ist einfach nur Glück, ob man getroffen wird oder nicht", schreibt die 24-jährige Syrerin in einer Whatsapp-Nachricht an die DW. Es ist Montag, der 10. Februar, und Mona harrt aus: gemeinsam mit ihrem Ehemann, in ihrem Haus im Stadtzentrum von Idlib, wo sich die Situation für die Bevölkerung täglich verschlechtert.
Der seit einem Dreivierteljahr andauernde Kampf um die Vorherrschaft in der letzten verbliebenen Rebellenhochburg in Syrien wird immer erbitterter geführt. Täglich schlagen von der syrischen Armee und ihren russischen Verbündeten abgeworfene Bomben ein. Von Süden nähern sich türkische Truppen, die auf Seiten der radikal-islamischen Rebellen stehen.
Rund drei Millionen Menschen leben in der Provinz Idlib. Knapp 700.000 sollen seit Ende Dezember aus der Region geflohen sein, die meisten in Richtung Türkei. Das Nachbarland allerdings hat seine Grenzen geschlossen.
Mona hat gar nicht erst versucht, Idlib zu verlassen. Sie und ihr Ehemann wollen bleiben, egal was kommt. Viermal habe sie allein in den vergangenen zehn Monaten ihren Wohnort gewechselt, mal wegen der Luftangriffe, mal, weil sie einfach die Miete nicht mehr bezahlen konnte. Sie habe keine Kraft mehr für eine weitere Flucht. "Außerdem gibt es nirgendwo einen Ort, wo es wirklich sicher ist."
Whatsapp-Nachrichten aus dem Krieg
Mona ist eine attraktive junge Frau, aber zerbrechlich und schmal. Das sieht man auf den aktuellen Fotos und Video-Clips, die sie der DW zusendet. 15 Kilo habe sie verloren durch die ständige Anspannung im Krieg, sagt sie. Und schickt dann ein Foto von früher. Aus der Zeit vor den fortwährenden Angriffen. Da steht ein hübscher Teenager mit buntem Kopftuch und Handtasche, blickt schüchtern in die Kamera.
Monas Familie stammt aus Tabqa in der Nähe von Rakka. Als ihre Heimatstadt im August 2014 nach wochenlangen Kämpfen mit der syrischen Armee von der Terrororganisation "Islamischer Staat" eingenommen wurde, floh Mona mit ihren Eltern und den fünf Geschwistern. Das Haus in der Nähe von Idlib, in dem die Familie zunächst lebte, wurde später bei Luftangriffen beschossen und zerstört.
Über Tage schreibt Mona weit über hundert Whatsapp-Nachrichten: über ihre Geschichte, ihr Leben. Dazu schickt sie Fotos, Audios, Video-Clips und immer wieder Live-Standorte. Koordinaten, die zeigen, wo sie sich gerade aufhält. Aber die trotzdem nicht deutlich machen können, wie ihr Alltag, der diesen Namen eigentlich nicht verdient, sich anfühlt.
Adele und Billie Eilish
Mona mag westliche Musik, sie steht auf Adele und Billie Eilish. Und auf Filme. "Egal ob amerikanische, deutsche, koreanische oder spanische, ich finde alles interessant." Sie hat arabische Literatur studiert, träumte davon, als Journalistin zu arbeiten. Sie liebt es zu schreiben: Sie betreibt einen Blog, in dem es um Frauenrechte geht, ist außerdem Reporterin beim syrischen Radiosender Watan FM, der mittlerweile aus der Türkei sendet. "Jetzt berichte ich fast nur über Tod und Trauer. Das wollte ich eigentlich nie."
Daneben arbeitet Mona für die in Schweden ansässige Nichtregierungsorganisation Start Point, die sich für Opfer von Menschenrechtsverbrechen in Syrien einsetzt. Mit dem Geld, das sie verdient, unterstützt sie ihre Familie, die ihr viel Kraft gibt. Niemand außer ihr habe einen Job, sagt sie. Aber auch aus einem anderen Grund ist die Arbeit für sie wichtig. Sie gebe Struktur und Sinn in einem Alltag mit viel Leere. "Ohne meinen Job könnte ich nicht leben."
Jeden Tag fährt Mona mit dem Bus ins rund 30 Kilometer entfernte Kafar Takharim in das Büro, wo sie mit drei Kollegen arbeitet. Eine gefährliche Reise. "Heute wurde die Straße an mehreren Stellen aus der Luft bombardiert", schreibt sie am Montagabend.
"Es kann jederzeit und ganz plötzlich passieren." Natürlich habe sie immer Angst, das Haus zu verlassen. Allein in den vergangenen Wochen habe es hunderte von Luftangriffen gegeben, manche ganz nah. "Aber was habe ich für eine Wahl? Ich muss damit leben."
Der Alltag gehe eben auch im Krieg weiter, seit mittlerweile neun Jahren. "Einige Geschäfte sind komplett zu. Viele Menschen sind ja raus aus Idlib. Aber grundlegende Dinge wie Wasser, Lebensmittel und Strom gibt es noch." Ihre Familie habe genug zu essen und zu trinken.
Bomben am Vormittag
Dienstag, 11. Februar, 11:28 Uhr.
"Das war vor zehn Minuten. Ungefähr einen Kilometer von hier entfernt. Ich fühle mich total allein. Sie haben einen Marktplatz getroffen, voller Leute. Es ist ein Desaster." Diese Nachricht schickt Mona zusammen mit einem kurzen Videoclip. Das Video habe ein Freund aufgenommen und ihr weitergeleitet, gibt sie gegenüber der DW an. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht.
Zu sehen ist eine dicke Rauchsäule über den Dächern von Idlib. Später melden die englischsprachige Website des arabischen Nachrichtensenders "Al-Arabiya" und andere, dass bei dem Luftangriff mindestens zwölf Zivilisten getötet wurden. Mona sendet auch eine Tonaufnahme, zu hören sind Sirenengeräusche. Der Alarm dauere noch an, sagt sie.
"Wenn Idlib bombardiert wird, ist die Stadt menschenleer. Niemand geht auf die Straße, bis es vorbei ist." Danach normalisiere sich das Leben wieder, zumindest so weit wie möglich. Einen Tag später - am Mittwoch - geht Mona selbst zu der Stelle, wo es passierte. Sie filmt: Am Straßenrand ist Schutt zusammengekehrt, auf dem Boden liegen zerborstene Fensterscheiben. Die einzig sichtbaren Zeugnisse des tödlichen Bombardements.
Rebellen in der Stadt
Der Ring um Idlib zieht sich immer enger, das syrische Militär meldete in den vergangenen Tagen stetige Gebietsgewinne. Die Türkei auf der anderen Seite soll Medienangaben zufolge in den vergangenen zwei Wochen mehrere hundert Militärkonvois mit Panzern und Artillerie in die Region geschickt haben. Davon hat Mona persönlich noch nichts mitbekommen, schreibt sie. Sie "sind noch nicht in der Stadt".
Die radikal-islamischen Rebellen der Gruppe Haiʾat Tahrir asch-Scham dagegen seien präsent. "Manche sind in der Stadt, einige bewachen am Stadteingang errichtete Barrikaden. Andere kämpfen gegen Assads Truppen." Sie habe auch ausländische Kämpfer in Idlib gesehen - wisse aber nicht, ob darunter auch Deutsche seien.
Am meisten fürchtet sich Mona vor der syrischen Armee. "Meine größte Angst ist es, Assads Truppen in die Hände zu fallen. Davor, dass sie uns vergewaltigen oder niedermetzeln." Vor dem Tod selbst habe sie keine Angst, fügt Mona hinzu. "Wenn ich tot bin, fühle ich nichts mehr."
Mitarbeit: Luca Möhrl