Nachhaltigkeit hat es schwer
6. September 2005Die Aktualität hat den diesjährigen Jahreskongress des "Rates für Nachhaltige Entwicklung" in Berlin eingeholt: Öl- und Benzinpreise erreichen ungeahnte Höhen, die Hurrikan-Katastrophe von New Orleans hält die Welt in Atem. Andererseits: In Deutschland ist Wahlkampf, dessen Themen fast ausschließlich mehr Wachstum und neue Jobs sind.
Die Nachhaltigkeit, der schonende Umgang mit Ressourcen also ist nicht sonderlich attraktiv für die Politik, wie Marlehn Thieme beklagte - site ist Mitglied des Rates, der 2001 von Bundeskanzler Gerhard Schröder als Beratungsgremium berufen worden war. Kaum jemand nehme das Wort Nachhaltigkeit in den Mund. "Es klingt für uns Deutsche immer noch sperrig, und wir verwenden es kaum, als wäre es uns peinlich, sich zu diesem wichtigen Ziel politischen Handelns zu bekennen", sagte Thieme am Dienstag (6.9.2005) auf dem Kongress. Nötig sei innovatives Wachstum, bei dem "mehr" nicht nur Quantität um ihrer selbst willen meine. Wenn Wachstum zu sozialer Ausgrenzung und Umweltzerstörung führe, sei sie unsinnig.
"Der Klimawandel findet statt"
Schwer umzusetzen ist das, wenn die Arbeitslosigkeit hoch ist und der Umweltschutz als Hemmschuh für mehr Wachstum verstanden wird. Das so zu sehen, sei falsch, findet Klaus Töpfer, Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Wer nicht auf die Natur und die Ressourcen achte, verursache langfristig ein Vielfaches an Kosten. "Der Klimawandel ist keine Vision, er findet jetzt schon statt", sagte Töpfer. Bei der Energieversorgung solle so wenig Kohlenstoff verbraucht werden wie möglich. Außerdem müsse es mehr Rückhalteraum für Wasser geben.
Töpfer vermied es, einen direkten Zusammenhang zwischen den Milliardenschäden am Golf von Mexiko und dem weltweit ungehemmten Ausstoß von Kohlenstoffdioxid zu ziehen, aber: "Richtig ist, dass uns die Wissenschaftler seit langer Zeit sagen: Mit dem Klimawandel wird die Zahl und die Intensität extremer Wettersituationen zunehmen." Zwar könne man nicht sagen, ob eine ganz bestimmte Wetterkatastrophe klimabedingt sei. Aber dass es eine solche Entwicklung gebe, sei unstrittig: "Fragen Sie bei den Versicherungen nach. Wenn Sie deren Schadensbilanzen sehen und deren Zuwächse, dann sehen Sie, dass das keine nervösen Reaktionen von Öko-Freaks sind, sondern ganz unmittelbare ökonomische Tatsachen."
Noch gibt es keinen Umweltpakt
Töpfer forderte, mit Naturschätzen und Ressourcen, die er passend Umweltkapital nennt, ebenso pfleglich umzugehen wie mit Geld, etwa in der Europäischen Union. "Wir haben einen Stabilitäts- und Wachstumspakt, in dem man eine Verschuldung von drei Prozent - theoretisch - einhalten muss. Aber es gibt keinen Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Frage, wie wir das Umweltkapital nutzen und übernutzen", kritisierte Töpfer. Er schlug vor, eine Bestandsaufnahme des Umweltkapitals vorzunehmen. Wer es übernutze, müsse nachweisen, dass er wieder in dieses Umweltkapital investiert habe.
Globale Umweltfragen wurden in Deutschland durch die wirtschaftliche Misere in den Hintergrund gedrängt. Und so appellierte der Präsident des Rates, Volker Hauff, an alle Parteien, mehr auf die Ressourcen zu achten. Vor allem, weil sich in den nächsten Jahrzehnten ein Drittel der Menschheit, vor allem in Indien und China, aufmache, den eigenen Verbrauch drastisch zu steigern.