Nachdenklichkeit in Bornheim
21. Januar 2016"Ich gehe in Bornheim einmal wöchentlich schwimmen. Ich wurde noch nie dort belästigt." Die junge Frau mit den langen blonden Haaren schüttelt den Kopf. Wenn sie jetzt über die Straßen von Bornheim gehe und ihr fremde Männer entgegenkämen, dann habe sie dennoch ein komisches Gefühl. "Ich habe keine Angst, aber man hat die Geschichte im Hinterkopf", sagt sie.
An diesem Morgen ist auf der Bornheimer Hauptstraße wenig los. Es ist kalt. Passanten haben sich dick eingepackt und vergraben ihre Hände in der Jackentasche. "Man muss sich jetzt zweimal umdrehen", wettert eine forsche Frau mittleren Alters und guckt dabei über ihre Schulter. "Ich fühle mich beobachtet." Sie gehe nur noch zusammen mit ihrem Mann aus dem Haus. Der nickt stumm und murmelt etwas von "ganz schlimm" und "viele Männer lungern rum".
Bornheim, die kleine Stadt am Rhein zwischen Köln und Bonn, hat mit dem Schwimmbadverbot in der vergangenen Woche für großes Aufsehen gesorgt. Der zuständige Sozialdezernent hat den Schwimmbadbesuch für alle Flüchtlinge des Ortes untersagt, nachdem bekannt wurde, dass sich einige Frauen sexuell belästigt fühlten - durch "Männer mit Migrationshintergrund". Auf das pauschale Hausverbot gab es ein internationales Medienecho. Es hagelte Kritik. Von Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus war die Rede.
Droht die Stimmung zu kippen?
Nach den massiven Übergriffen gegenüber Frauen in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten habe sich "die Sensibilität gegenüber der Flüchtlingsthematik neu ausgerichtet", meint der Sozialdezernent der Stadt Bornheim Markus Schnapka (B90/Grüne). "Ein Teil der Flüchtlinge kommt aus Ländern, in denen andere Normen und Werte gelten, besonders was die Gleichstellung von Frauen betrifft. Bei einem solchen Kulturwechsel ist es für einige nicht einfach, ins Schwimmbad zu gehen und dort leichtbekleidete Menschen zu sehen", rechtfertigt er sein Vorgehen. In Flüchtlingsunterkünften diskutierte er über die Vorfälle.
Viele der Flüchtlinge, die der Stadt Bornheim zugewiesen wurden, waren sehr schockiert und betroffen. Unter ihnen war die Maßnahme der Kommune Thema Nummer 1. Die Stadt hatte zwar schon zeitgleich mit ihrem Schritt angekündigt, dass das Schwimmbad-Verbot nur zeitlich befristet gelten sollte, doch dass sich Bornheim so schnell wieder anders entscheiden würde, war nicht absehbar. Noch unklar ist, was das Umdenken derart beschleunigt hat. Festzustellen ist jedenfalls: Das Schwimmbadverbot ist mittlerweile wieder aufgehoben. Und wie reagiert darauf die einheimische Bevölkerung?
Auf dem Gelände der Johann-Wallraf-Schule herrscht buntes Treiben. Kinder strömen aus dem Schulgebäude. Zwei Mütter warten auf ihre Töchter. Die Eltern hätten Sorge und Ängste, stimmen beide zu. "Wenn man aber seine Meinung äußert, wird einem schnell Rassismus unterstellt." Sauer seien sie, weil die Stadt nicht richtig über die Vorfälle informiert habe. Was war denn wirklich passiert? Wie weit gingen die mutmaßlichen sexuellen Belästigungen? Waren es wirklich Flüchtlinge? Unklarheiten über solche Vorgänge in der Stadt würden Gerüchte, Vorurteile und Unsicherheit schüren. "Als Frau ist man schon wachsamer und steht nicht alleine rum. Erst waren es die Übergriffe in Köln und jetzt ist es doch so nah." Übergriffe gab es schon immer, meint ein älterer Mann. Auch bevor die Flüchtlinge in Bornheim angekommen seien.
Bürgerhilfe bleibt
Die Helferszene für Flüchtlinge in Bornheim scheint der Vorgang nicht sehr erschüttert zu haben. "Diese neuen Gäste sind so herzlich und nett. Da können sich manche Bundesbürger ein Bespiel nehmen", ist Isabelle Lütz überzeugt. Die ehrenamtliche Helferin koordiniert die freiwillige Flüchtlingsarbeit im Ort. Während sie durch die Turnhalle der Schule geht, wird sie von vielen Menschen freudestrahlend begrüßt. "Probleme lösen Ehrenamtler mit Freundschaft und Herz", ist ihre Devise. Fast täglich ist sie in der Halle anzutreffen, zusammen mit einigen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfern. Die Hilfsbereitschaft ist in Bornheim groß. Nach Lütz' Informationsveranstaltungen sind ihre Listen für freiwillige Helfer gefüllt. Ihrer Einschätzung nach steht jedem Flüchtling in Bornheim ein Helfer zur Seite - sie müssen nur noch zusammen finden. Das ist Lütz Aufgabe.
In der Halle trennen Bauzäune einzelne Wohnbereiche ab. Die Eingänge sind mit bunten Stoffen abgehangen. "Wenn ich den Vorhang zur Seite hebe und 'Hallo' sage, werde ich sofort zum Kaffee eingeladen oder zum Knabbern von Nüssen", sagt Lütz. "Das ist so herzlich, das beschämt einen wirklich." Hinter dem nächsten Vorhang wohnt Karim Ahmadi mit seiner fünfköpfigen Familie. Mit ihr ist ihm die Flucht aus Afghanistan gelungen. Vor dem Gespräch mit der DW hat Karim noch schnell aufgeräumt. Ordentlich hängen jetzt die wenigen Teile, die seine Familie besitzt, an der Wand: eine Handtasche und zwei mit Kleidung gefüllte Plastiktüten. Auf seinen acht Quadratmetern stehen Feldhochbetten mit Schlafsäcken. Die untere Ebene ist mit Decken abgehangen - als Rückzugsmöglichkeit für ein wenig Privatsphäre.
Herzliche Gastfreundschaft statt kühle Distanz
Karim hat während seiner Zeit in Deutschland schon drei Camps hinter sich. In Rosenheim, München und Dortmund. Jetzt ist er in Bornheim. Seit der ersten Sekunde in Deutschland wurden er und seine Familie sehr gut behandelt, wie er erzählt. Für die Vorfälle in Bornheim und Köln hat er kein Verständnis. "Leute, die hier hin kommen, weil sie auf Hilfe angewiesen sind, sollten sich dankbar verhalten und vor allem straffrei. Es hat mich geschockt", so Karim weiter. Er wünscht sich, dass auch weiterhin die Atmosphäre so friedlich und die Warmherzigkeit bleibt wie bisher. So viele Bürger würden aus Menschlichkeit helfen, ohne etwas zu verlangen. Das beeindrucke ihn sehr.
Isabelle Lütz nimmt sich Zeit für die Flüchtlinge. Viele von ihnen wollen sich aktiv integrieren, kennen aber keine Deutschen und haben nur Kontakt zur Ausländerbehörde, dem Jobcenter oder Sozialarbeitern und Sicherheitsleuten. Der mangelnde Kontakt und Austausch beruhe allerdings auf Gegenseitigkeit. "Wir müssen viele Gespräche auch mit unseren Mitbewohnern führen. "Sie brauchen Kontakt zu Deutschen, weil sie sonst denken, wir sind abweisend." Dass die Schwimmbad-Debatte Unsicherheit verbreite und Berührungsängste schüre, da ist sich Lütz sicher. "Aber es muss angesprochen werden, ohne dass derjenige, der seine Ängste äußert, diskriminiert wird. Und wir müssen antworten können. Es verletzt mich, wenn jemand über unsere Asylbewerber und meine neuen Freunde Dinge erzählt, die nicht stimmen." Das Schwimmbad-Verbot hat jedenfalls auf allen Seiten sehr viel Nachdenken ausgelöst.