Nach der Explosion: Beirut hilft sich selbst
18. August 2020"Das Areal rund um den Beiruter Hafen gleicht einem Trümmerfeld", sagt Till Küster. Mitte vergangener Woche ist der Nahost-Koordinator von Medico International aus Deutschland in Beirut eingetroffen, um libanesische Partner-Organisationen beim Wiederaufbau zu unterstützen. "Direkt am Ort der Explosion ist nahezu alles zerstört", schildert er seine Eindrücke im DW-Interview.
"In den etwas weiter vom Hafen entfernt gelegenen Vierteln der Altstadt sieht es nicht ganz so verheerend aus: Hier ist zwar auch viel in die Brüche gegangen, manche Häuser sind teilweise oder komplett eingestürzt, aber andere stehen noch. Außerdem haben Freiwillige bereits jede Menge Schutt weggeräumt."
Viele, gerade auch jüngere Libanesen engagieren sich und helfen Mitbürgern in Not. Allerdings seien viele Gebäude unbewohnbar, berichtet Küster. "Darum leben viele Menschen bei ihren Familienangehörigen, Freunden oder in Notunterkünften. Viele haben auch die Stadt verlassen."
Überhaupt sei die Nothilfe recht schnell angelaufen. "Man sieht viele Hilfsorganisationen vor Ort, dazu Zivilisten und Freiwillige, die die Helfer unterstützten. Sie verteilen Nahrungsmittel und Getränke, so dass zumindest einem Teil der Menschen notdürftig geholfen ist."
Allerdings sind die Helfer und ihre Organisationen stark gefordert. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte vergangene Woche, sie habe 55 Gesundheitseinrichtungen in Beirut untersucht. Mehr als die Hälfte sei "nicht funktionsfähig".
Inzwischen gibt es auch erste Schätzungen zu den Kosten des Wiederaufbaus. Bei der Explosion von 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat am 4. August starben mindestens 171 Menschen, und rund 6.000 wurden verletzt. Die Schäden beliefen sich auf umgerechnet 12,7 Milliarden Euro, erklärte kürzlich Libanons Präsident Michel Aoun in der in Beirut erscheinenden Tageszeitung "Daily Star". Auch die Bundesregierung beteiligte sich an der Soforthilfe und stellte dafür in einem ersten Schritt zunächst einen Beitrag über 20 Millionen Euro zur Verfügung.
Soldaten überwachen Aufräumarbeiten
Derweil sei der libanesische Staat kaum präsent, beobachtet Küster. "Das einzige, was man sieht, sind Polizisten und Soldaten, die allerdings nicht bei den Aufräumarbeiten helfen, sondern die Bevölkerung überwachen." Es dominierten die zivilen Hilfsorganisationen. Sie seien es, die Wiederaufbau und Hilfe vorantrieben.
Medico International arbeitet im Libanon mit der einheimischen Partnerorganisation "Amel" zusammen, die insgesamt 24 Gesundheitszentren im Land betreibt. Hinzu kommen sechs mobile Kliniken. In den letzten Jahren hatte sich die Organisation insbesondere um die Hunderttausenden syrischen Flüchtlinge in der Bekaa-Ebene gekümmert.
Durch die Zusammenarbeit mit libanesischen Akteuren – nicht zuletzt mit jenen, die seit vergangenem Herbst immer wieder gegen Korruption und für Demokratie auf die Straße gehen - will Medico International den Aufbau einer starken Zivilgesellschaft unterstützen. Viele Bürger der zerstörten Wohnviertel Beiruts machten sich Sorgen um ihre Zukunft, so Till Küster. "Sie fürchten, dass die Quartiere beim Wiederaufbau zu Spekulationsobjekten werden könnten."
Hilfe für Hausangestellte
Der Einsatz der libanesischen Partnerorganisationen richtet sich nicht nur an libanesische Staatsbürger, sondern auch an die zahlreichen syrischen und palästinensischen Flüchtlinge sowie Arbeitsmigranten aus Asien und Afrika. So hat Küster zusammen mit Aktivisten der libanesischen Partnerorganisation "Anti-Racism-Movement" einige afrikanische Botschaften besucht, vor denen derzeit Proteste stattfinden.
"Wir wollen jene Migrantinnen unterstützen, die bereits vor der Explosion aufgrund der Corona-Krise von ihren Arbeitgebern vor die Tür gesetzt worden sind. Sie sind teils seit Monaten ohne Lohn", so Küster. Viele warteten schon vor der Explosion verzweifelt auf eine Gelegenheit, in ihre Heimatländer. zurückzukehren.
Im Libanon leben rund 300.000 Gastarbeiter aus Asien und Afrika, viele Frauen davon arbeiten als Dienst- oder Hausmädchen. Sie kommen aus Äthiopien, den Philippinen, Sri Lanka, Nepal oder dem Sudan. Von nationalen Arbeitsgesetzen sind sie im Regelfall ebenso ausgeschlossen wie von internationalen Schutzregeln. Stattdessen unterliegen sie dem sogenannten Kafala-System: Mit der Anwerbung treten die Arbeiterinnen faktisch ihre Rechte an den "Hausherren" ab.
Wie vor der Explosion teilweise mit Migrantinnen umgegangen wurde, davon berichtet die Kenianerin Rose Mary. Nachdem sie über Monate hinweg nicht bezahlt worden sei, habe sie ihren Arbeitgeber verlassen, erzählte sie einem Vertreter von Medico International.
Die Gebühr für die Ausreisepapiere in der Botschaft habe sie bezahlt, warte nun aber bereits seit einem Jahr darauf. Als ihre Ersparnisse aufgebraucht waren, sei sie wieder in der Botschaft vorstellig geworden. "Der Zuständige dort empfahl ihr, als Sexarbeiterin Geld zu verdienen", berichtet Medico International. "So, wie es zig andere Frauen tun müssen."