Müller kritisiert Löw - "Kein guter Stil"
6. März 2019Lange Jahre galt Thomas Müller als Strahlemann - in der DFB-Elf und beim FC Bayern. Ein lockerer Spruch, ein Augenzwinkern für jeden. Doch die gute Laune ist dem Offensivspieler seit Dienstag offensichtlich vergangen. Schwer angeschlagen wirkt er in seiner knapp zweiminütigen Videobotschaft, mit der er mit einem Tag Abstand seine Ausbootung durch Bundestrainer Joachim Löw kommentiert. Erst stockend, dann redet er sich in Rage: "Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr macht mich die Art und Weise, wie das abgelaufen ist, einfach sauer", sagt Müller. Denn offenbar traf ihn und seine beiden Leidensgenossen Jerome Boateng und Mats Hummels Löws Radikalschnitt völlig unvorbereitet.
Ein kurzer Besuch des Bundestrainers auf dem Trainingsgelände des FC Bayern - fünf Minuten pro Spieler soll er sich gerade mal genommen haben. Und Schluss. Offenbar ohne Aussicht auf ein Comeback. "Kein Verständnis habe ich vor allem für diese suggerierte Endgültigkeit der Entscheidung, völlig perplex" sei er gewesen, so Müller. Hätte er die Medien verfolgt am Dienstagmittag, wäre er vermutlich gewarnt gewesen. Denn die "Bild" titelte schon vorab, dass sich Löw zusammen mit Teammanager Oliver Bierhoff sowie Assistent Marcus Sorg auf den Weg nach München gemacht habe, um drei Weltmeister auszusortieren. Offiziell wurde die Personalentscheidung dann um kurz vor drei.
Fünf Minuten nach zehn Jahren
Wenig später die knappe Stellungnahme des Weltmeister-Trainers: "2019 ist für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft das Jahr des Neubeginns. Es war mir ein wichtiges Anliegen, den Spielern und Verantwortlichen des FC Bayern meine Überlegungen und Planungen persönlich zu erläutern." Und hintendran gab´s noch ein Dankeschön für "für viele erfolgreiche, außergewöhnliche und einmalige gemeinsame Jahre". Eine Trennung nach einer Dekade, scheinbar ohne Emotionen.
An seiner Entscheidung, die drei Weltmeister von 2014 nicht mehr zu nominieren, gibt es gar nicht so viel Kritik. Weder vom FC Bayern, noch von den betroffenen Spielern. In der Tat gibt es sogar recht viel Zustimmung in den sozialen Medien. Schließlich sind Müller, Boateng und Hummels tatsächlich seit einiger Zeit nicht mehr so konstant gut wie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.
Berechtigterweise regt sich aber Unmut über die Art und Weise: "Wenn kurz nachdem wir von der Entscheidung des Bundestrainers erfahren haben, vorgefertigte Statements seitens des DFB und des DFB-Präsidenten an die Presse raus gegeben werden, ist das aus meiner Sicht kein guter Stil und hat mit Wertschätzung nichts zu tun", grantelt Müller, und hat damit sicher recht.
Und Vereinsboss Karl-Heinz Rummenigge echauffiert sich über den ungünstigen Zeitpunkt, so kurz vor den beiden wichtigen Spielen in der Bundesliga gegen Wolfsburg und in der Champions League gegen Liverpool: "Das bringt Unruhe in den ganzen Club."
Merkwürdiger Zeitpunkt, keine Hintertür
In der Tat muss sich Löw fragen lassen, warum er jetzt mit diesen Personalien herauskommt und nicht schon nach der völlig verpatzten WM in Russland im vergangenen Sommer. Oder wenigstens im Herbst, als die Analyse und Aufarbeitung des Vorrunden-Scheiterns ja angeblich abgeschlossen war. Damals hatte der Bundestrainer nur Sami Khedira geopfert, Mesut Özil war nach seiner Erdogan-Affäre zurückgetreten und auch Mario Gomez, wohl, weil ihm Löw keine Perspektiven mehr bieten wollte. Was bei Gomez zumindest nachvollziehbar ist. Schließlich ist er schon Mitte 30 und passt aufgrund seiner Spielweise beim besten Willen nicht mehr ins Konzept eines DFB-Teams im Runderneuerungsmodus.
Aber warum dieser radikale Schnitt bei Müller, Boateng und Hummels? Letztere gerade mal 30 Jahre alt, Müller sogar erst 29. Das ist oft das beste Fußballer-Alter. Hätte Löw dem Trio nicht mitteilen können, dass er vorerst auf sie verzichte, aus Leistungsgründen, und wenn sie sich sportlich wieder aufdrängen, stehen ihnen alle Türen offen? Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich auch kurz vor der nächsten EM oder WM ein oder mehrere Spieler verletzten könnten.
Der Mann, der einst an Lukas Podolski oder Bastian Schweinsteiger festhielt, bis sie kaum noch laufen konnten, weil er ihnen auf ewig dankbar war, wird plötzlich zum Hardliner. Ist das überhaupt noch Löw? DFB-Präsident Reinhard Grindel begrüßte es jedenfalls, "dass er (Löw) den Umbruch unserer Nationalmannschaft jetzt weiter entschlossen voranbringt. Der Beginn der Qualifikation für die EURO 2020 sei "genau der richtige Zeitpunkt für personelle Veränderungen". Vielleicht ist es das: die Angst um den eigenen Job.
Denn längst, durch die sportlichen Misserfolge im Jahr 2018, durch den kommunikativ und personell katastrophalen Umgang mit der Causa Özil, wirkt der Bundestrainer angeschlagen, ja orientierungslos. Beispiel gefällig? "Sie sind alle weiterhin Spieler auf Weltniveau, die in ihrem Verein ganz vorne mitspielen und Erfolge garantieren", sagte Löw noch am Dienstag, gleich nach der Demission über die drei Bayern-Stars. Wo ist da die Logik? So viele Spieler auf Weltniveau hat er derzeit nun wirklich nicht.