Die Entscheidung Joachim Löws, in der Fußball-Nationalmannschaft künftig auf Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller zu verzichten, wird wohl auch noch in einigen Wochen Gegenstand zahlreicher Analysen sein. Nach der enttäuschenden WM im Sommer 2018 in Russland, die man als historischen Misserfolg bezeichnen muss, kommt Löws Entscheidung, jetzt drei seiner älteren Spieler aus dem Team zu nehmen, etwas verspätet.
Offenbar brauchte der Bundestrainer bis November, ehe er - nach dem Remis gegen die Niederlande - die Notwendigkeit von Veränderungen erkannte. Für ein erfolgreiches Spiel benötigte er in seinem Team mehr Geschwindigkeit, abenteuerlustige Dribbler, aber auch Erfolgshunger und Schwung. Der Kern der Weltmeister von 2014 war bereits am Ende seiner Reise angelangt, als man zwei Jahre nach dem Erfolg von Rio bei der EURO 2016 in Frankreich im Halbfinale ausschied. Löw hatte schon hier zu lange gewartet, um sich von Spielern auf Schlüsselpositionen zu lösen.
Entscheidung mit langem Vorlauf
Der späte Zeitpunkt der Trennung von Hummels, Boateng und Müller - Anfang März vor einem Freundschaftsspiel gegen Serbien und dem ersten EM-Qualifikationsspiel für 2020 gegen die Niederlande - erscheint genauso merkwürdig wie der zurückhaltende Abschied des Trios. Drei verdiente Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft werden leise in die Geschichtsbücher einsortiert. Das spricht Bände.
Als die deutsche Elf im vergangenen November in Gelsenkirchen gegen die Niederlande spielte, stand mit Hummels nur einer aus dem Trio in der Startelf. Müller kam von der Bank, Jerome Boateng war gar nicht im Kader. Die endgültige Entscheidung hing schon damals irgendwie in der Luft.
Boateng ist immer noch ein hervorragender Passspieler, ist aber meist nicht mehr fit genug, um die dominante Größe zu sein, die er früher war. Hummels kann ebenfalls tolle Bälle durch die Nahtstellen der gegnerischen Formationen spielen, doch haben sich in sein Spiel ein paar Fehler mehr eingeschlichen als es in den vergangenen Jahren der Fall war. Müller, der Mann, der 2014 fünf Turniertore zum deutschen WM-Erfolg beisteuerte und 2010 mit gleicher Torzahl sogar WM-Torschützenkönig war, bietet mittlerweile nur noch wenig von dem an, was Löw sich wünscht.
Junge Garde steht bereit
Mit Niklas Süle, Antonio Rüdiger und Thilo Kehrer, die wahrscheinlich demnächst die Defensive im Nationalteam bilden werden, sowie Serge Gnabry, Leroy Sane und Timo Werner für den Angriff, ist Löws Maßnahme, um den nächsten Schritt in der Entwicklung des Teams zu machen, logisch. Am meisten verwundert noch die Entscheidung des Bundestrainers, nicht auch noch Manuel Neuer aus dem DFB-Team zu verabschieden - sei er nun Kapitän oder nicht.
Löw hat mit dem Verzicht auf Hummels, Boateng und Müller gezeigt, dass er der Chef ist, der die Entscheidungen im DFB-Team trifft. Gleichzeitig erinnert er die Fußballwelt daran, dass er immer noch der Visionär sein kann, den man in ihm einst gesehen hat. Doch so nachvollziehbar Löws Entscheidung auch sein mag: Sie kommt zu einem späten Zeitpunkt und geht auf eine überraschend emotionslose Art und Weise vonstatten. Und das ist wohl der größte Diskussionspunkt von allen.