Wenn Abfall im Altpapier landet
29. Juli 2020Ausgemusterte Schulhefte, die Zeitung von gestern, der leere Schuhkarton. Papier, Pappe und Kartons gehören in Deutschland in die Blaue Tonne oder den Altpapiercontainer.
Bei einer jetzt neu veröffentlichten Restmüllanalyse (28.7.2020) zeigen Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt auf, dass Deutschland zwar nur noch halb soviel Restmüll produziert wie vor 35 Jahren, doch viele Wertstoffe landen in Tonnen, in die sie nicht gehören.
5,2 Prozent des Altpapiers wurden in Restmüllbehältern gefunden. Umgekehrt finden die Entsorger sogenannte Störstoffe im Altpapier: "Pizza-Kartons mit Essenresten, mit Leim behaftete Tapeten, benutzte Papiertaschentücher oder Coffee to go-Becher mit Kunststoffbeschichtung landen fälschlicherweise auch in den Altpapier-Sammlungen", beklagt Michael Schneider vom Altpapier-Verwerter Remondis, "obwohl die kontaminierten Papiere als Restmüll, Bauschutt oder im Gelben Sack entsorgt werden müssten."
Schneider appelliert an die Verbraucher, die Papierabfälle möglichst sorgfältig zu trennen: "Hier kann jeder seinen Beitrag leisten, denn eine möglichst geringe Fremdstoffquote wie es auch Büroklammern, Briefmarken, CDs darstellen, reduziert die Müllkosten."
Thomas Braun, Geschäftsführer beim Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung, ergänzt: "Besonders zerstörerisch wirken Glassplitter, Öl, Joghurt oder Waschmittel, denn diese verunreinigenden Störstoffe lassen sich vom Altpapier nicht trennen."
Verunreinigungen waren auch ein Grund für die Volksrepublik China, die Altpapiereinfuhr massiv einzuschränken. Das chinesische Ministerium für Ökologie und Umwelt hat nun angekündigt, für 2021 keinerlei Anträge auf Altpapierimporte anzunehmen.
Kontaminiertes Altpapier kann nicht recycelt werden
Ein weiteres Ärgernis sind Einkaufsbons aus beschichtetem Thermopapier. Diese werden nicht mit Farbe, sondern mit Hitze chemisch behandelt, um Buchstaben und Zahlen sichtbar zu machen. Die Beschichtung enthält auch das Umwelthormon Bisphenol.
Laut dem Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) und dem Bundesumweltamt kann die Chemikalie den menschlichen Hormonhaushalt nachhaltig beeinflussen und die Fruchtbarkeit von Mann und Frau beeinträchtigen. Umweltorganisationen wie der BUND fordern daher seit Jahren ein Verbot der Substanz auf Thermopapier.
Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung hält Kassenbons wegen der chemischen Zusammensetzung und der Produktion aus Frischfaserpapier für problematisch und beruft sich auf die Vorgabe der Europäischen Chemikalienagentur, die Verwendung von Bisphenol in Thermopapier auf 0,02 Prozent zu beschränken. Und so forderte das Europaparlament von der EU-Kommission ein komplettes Verbot der giftigen Chemikalie. Der Verband Deutscher Papierfabriken schreibt der DW, dass man ganz auf Bisphenol verzichte, "weil die 0,02 Prozent-Begrenzung den technischen Einsatz obsolet macht."
Auf jeden Fall gehören diese Kassenbons, obwohl aus Papier hergestellt, nicht in die Papiertonne. Sie sollten im Restmüll entsorgt werden.
Remondis-Sprecher Michael Schneider sagt, die Anteile der Zettel im Müll seien im ersten Halbjahr entgegen aller Erwartungen marginal gewesen, obwohl seit dem ersten Januar 2020 jeder Beleg ausgedruckt und theoretisch dem Kunden übergeben werden muss. Inwieweit das geänderte Kaufverhalten wegen der COVID-19-Pandemie dazu beigetragen hat, können die Entsorger noch nicht sagen.
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Verschleiß beim Papierrecycling
Doch auch sauber getrenntes Altpapier kann nicht in einem ewigen Kreislauf fortbestehen. Nach spätestens sieben Kreisläufen sei Schluss, sagt Holger Autenrieb von der Niederauer Mühle. Sein Unternehmen hat sich auf das Recycling von Getränkekartons für Milch, Säfte und Soßen spezialisiert. In nur zweieinhalb Stunden werden die Verpackungen geschreddert und die Inhaltsstoffe Pappe, Polyethylenfolie und Aluminium getrennt.
Die Pappe bildet das Grundmaterial für neue Verpackungen wie Schuh- oder Pizzakartons. Diese bestehen zu 100 Prozent aus Altpapier. Kunststoff und Aluminium wandern zur Weiterverwertung in Zementfabriken.
Grafische Papiere wie Zeitungen, Schreibwaren, Zeitschriften, Kataloge, Bücher, Grußkarten und Geschenkpapier, dazu Pappe und Kartonagen haben unterschiedliche Qualitäten. 67 Altpapiersorten müssen die Händler zur Weitererarbeitung trennen.
In der Europäischen Union wird fleißig Altpapier gesammelt und wiederaufbereitet. Nach Angaben des Europäischen Rates für Papierrecycling (EPRC) wurden 2018 knapp 72 Prozent der 56 Millionen Tonnen Altpapier recycelt, das in Handel, Industrie, Haushalten und Büros anfiel, wobei Länder wie Bulgarien, Polen und Rumänien durch unterdurchschnittliche Papierrecyclingquoten auffielen.
Umweltschädlicher Online-Handel
Zeitungen und Zeitschriften werden mit hochwertigen langen Zellstofffasern produziert. Mit jedem Recyclingvorgang werden diese Fasern kürzer, rissig, instabiler. Aufgrund des verstärkten Internethandels, des allgemeinen Verpackungswahns und des Konsums digitaler Nachrichten gelangt immer mehr minderwertiges Altpapier auf den Markt.
In Deutschland waren 2019 weniger grafische Papiere und Zeitungen (-8,3 Prozent) nachgefragt. Für Verpackungspapiere hingegen vermeldet der Verband Deutscher Papierfabriken für das Vorjahr ein Plus von 0,7 Prozent. Weniger grafisches Papier und ein Überschuss an Verpackungen reduziert die Qualität des Altpapiers. Dem muss die Papier verarbeitende Industrie immer auch mit Zellstoff aus Frischholz entgegenwirken.
Der Rohstoff für Frischfaserpapier wird oft aus Zellstoff gewonnen, der aus Eukalyptus-Monoplantagen stammt. Andere Hölzer stammen aus nördlichen Wäldern in den USA, Russland, Kanada, Schweden und Finnland.
"Obwohl der Großteil des Zellstoffs für die weltweite Papierindustrie aus Wäldern der nördlichen Hemisphäre stammt, spielen auch Tropenländer eine Rolle bei der Zellstoffproduktion. So kam fast ein Drittel, nämlich Prozent, des im Jahr 2014 nach Deutschland importierten Zellstoffs aus Brasilien", beklagt Birthe Hesebeck von der Tropenwaldstiftung Oro Verde. Der Zellstoff wird dabei häufig auf artenarmen Plantagen angebaut, die von den Menschen vor Ort als "grüne Wüsten" tituliert werden. "Meist kommt es durch die Anlage und den weiteren Ausbau von Zellstoffplantagen zu einer sogenannten indirekten Entwaldung", erläutert Hesebeck. Werden die Plantagen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen angelegt, so müssen diese an anderer Stelle neu geschaffen werden, schließlich dienen sie der Ernährung der Bevölkerung. Große Fläche artenreicher Regenwald wurden so bereits gerodet.
Der Verband Deutscher Papierfabriken widerspricht durch ihren Sprecher Gregor Andreas Geiger: "Alle Holzfasern, die in Deutschland eingesetzt werden, stammen aus nachhaltig bewirtschafteten Forsten oder zertifizierten Plantagen. Dafür wurde kein Tropenwald gerodet." Die Eukalyptusplantagen würden auf ehemaligen Agrarflächen angelegt, die landwirtschaftlich nicht mehr produktiv waren. Der Grund für die Ausweitung neuer landwirtschaftlicher Nutzflächen auf Kosten des Tropenwaldes sei nicht die Umwidmung dieser Flächen in Eukalyptusplantagen, sondern schlicht eine nicht-nachhaltige Landwirtschaft und die ständige Ausdehnung von Weideflächen und Soja-Anbauflächen.
Ressourcenverschwendung
Das Umweltbundesamt rechnet vor, dass es zur Produktion von einem Kilogramm Recyclingpapier fünf Liter Wasser und zwei Kilowattstunden Strom braucht. Für die gleiche Menge Frischfaserpapier werden 50 Liter Wasser und fünf Kilowattstunden Strom benötigt.
Noch nachhaltiger wäre daher ein sparsamer Umgang mit Verpackungen und die Umstellung von Büro- und Schulpapierbedarf aus Produkten mit dem Siegel Blauer Engel. Aktuell beträgt der Marktanteil an Büropapier in Deutschland, das mit dem Blauen Engel zertifiziert ist, nur 16 Prozent. In Behörden und in der freien Wirtschaft gibt es noch großes Potential, glaubt Lea Eggers von der Initiative Pro Recyclingpapier : "Würde das gesamte Büropapier in Deutschland auf Recyclingpapier mit dem Blauen Engel umgestellt, könnten mit der eingesparten Energie alle Haushalte einer Großstadt wie Berlin jährlich mit Strom versorgt werden."
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