Mädchen, die in den Dschihad ziehen
22. Oktober 2014Drei Mädchen aus den USA hatten die Hälfte ihres mutmaßlichen Weges in das Herrschaftsgebiet des "Islamischen Staats" bereits geschafft. Doch am Wochenende stoppte die deutsche Bundespolizei die Teenager im Alter von 15 bis 17 Jahren in Frankfurt am Main und schickte sie in die USA zurück. Andere Mädchen aus Europa und Nordamerika haben ihr Ziel in Syrien erreicht. Unter den Tausenden von Freiwilligen, die sich vor allem der sunnitischen Terrormiliz "Islamischer Staat" angeschlossen haben, sind zwar noch vergleichsweise wenige Frauen, doch es werden mehr.
Vor einigen Monaten hatte der Fall einer 16-jährigen Gymnasiastin aus Konstanz Aufsehen erregt. Sie war heimlich über die Türkei in ein Ausbildungslager in Syrien gereist. Katherine Brown, Terror-Expertin am Londoner King's College, rechnet mit etwa 200 Frauen, die aus Europa in den syrischen Bürgerkrieg gezogen sind. Für diese Entscheidung gebe es mehrere Gründe. "Der 'Islamische Staat' bietet eine politische Utopie", sagt die Forscherin im DW-Gespräch. Die IS-Herrschaft werde romantisch verklärt. Dazu tragen nach Ansicht von Brown auch die kritischen politischen Debatten über den Islam in Europa bei, durch den sich viele Muslime ausgegrenzt fühlen.
Darüber hinaus treibe auch Abenteuerlust viele Frauen und Männer in die Fremde. Das sei vergleichbar mit dem Spanischen Bürgerkrieg vor mehr als 75 Jahren. Einige Musliminnen wollten sich auch bewusst als Frauen für das selbsternannte Kalifat einsetzen: "Sie wollen Teil von etwas Neuem sein - als Mütter des Staates und als Frauen der Kämpfer", erläutert Brown.
Ausreisende Frauen oft jünger als männliche IS-Anhänger
Der Leiter des nordrhein-westfälischen Landesverfassungsschutzes, Burkhard Freier, schätzt die Zahl der ausgereisten Frauen aus NRW auf etwa 25. "Diese Frauen sind sehr jung, jünger als die Männer. Sie sind zwischen 16 und 20", führt er aus. Fast alle stammten aus Migrantenfamilien. Nur sehr wenige seien zum Islam übergetreten. Auch Freier sieht mehrere Gründe für die Radikalisierung. Diesen Frauen und Mädchen fehlt nach Einschätzung des Verfassungsschützers oft die Anerkennung und Orientierung - wie auch bei jungen Männern, die sich radikalisieren. Hinzu kommen eine Art Protestkultur und der Wunsch, sich von der eigenen Familie abzugrenzen. "Es gibt auch Einzelfälle, wo die Frauen gesagt haben, ich kann da in Syrien meinen muslimischen Glauben auch mit Schleier viel besser leben als in Deutschland", ergänzt Freier. Dabei spiele auch die romantische Vorstellung, einen als "Löwen" bezeichneten künftigen Märtyrer zu heiraten, eine Rolle.
Viele junge IS-Anhängerinnen haben sich über das Internet radikalisiert. Sie lassen sich von Videos, Blogs und Facebook-Einträgen von anderen Frauen aus dem Herrschaftsbereich der Terrormiliz IS anlocken. Dort finden sie neben ganz praktischen Tipps und Ratschlägen für das entbehrungsreiche Leben im Kriegsgebiet auch reichlich Propaganda. Der strenge salafistische Islam, dem sich die jungen Freiwilligen in ihrer Begeisterung für den "Islamischen Staat" verschrieben haben, lässt Frauen jedoch nur wenig Handlungsspielraum. In diesem Weltbild bleiben für sie nur zwei Funktionen: als treue Gefährtin eines Kämpfers und als Mutter. Als Kämpferinnen sind Frauen grundsätzlich nicht vorgesehen.
Dennoch sind einige der Frauen offenbar in Gewalttaten verwickelt oder inszenieren sich zumindest als Kämpferinnen. So berichtet Brown von einer malaysischen Ärztin, die in ihrem Blog schrieb: Ich habe mein Stethoskop und meine Kalaschnikow, was könnte man noch brauchen? Vergangene Woche sei ein Bild veröffentlicht worden, auf dem sich eine Französin mit Sprengstoffgürtel als Selbstmordattentäterin darstellte.
IS-Frauen offenbar nicht an Kämpfen beteiligt
Nach Einschätzung des Verfassungsschützers Freier nehmen die Frauen aber nicht an Kampfeinsätzen teil. "Sie werden für die Bewachung und die Unterstützung der Männer eingesetzt", sagt er. Viele Frauen merkten erst vor Ort, wie stark sie eingeschränkt seien. Für eine Umkehr sei es dann meist zu spät.
Diese Erfahrung machten Medienberichten zufolge auch zwei junge Österreicherinnen. Sie sollen sich nach sechs Monaten im "Islamischen Staat" und der Heirat mit IS-Kämpfern bei Freunden gemeldet haben, weil sie das Blutvergießen nicht mehr ertragen konnten. Dabei hatten die 16- und die 17-Jährige noch wenige Monate zuvor Bilder veröffentlicht, auf denen sie vollverschleiert ihre Sturmgewehre präsentierten. Sie hatten damals angekündigt, für Allah sterben zu wollen.
Sowohl für Brown als auch für Freier hat die Radikalisierung der Frauen allerdings mehr mit Politik und Protest als mit Religion zu tun. Denn ein Teil von ihnen mache sich mit einem sehr lückenhaften Wissen über den Islam auf den Weg, merkt die Expertin vom King's College an: "Es gibt die üblichen Aussprüche, die schwarze Flagge und die Gesänge in den Videos. Aber sie setzen sich wenig mit der Theologie auseinander."