Mykonos-Attentat: Auftragskiller der Mullahs in Berlin
16. September 2022"Für die Agenten des Irans wäre das Mykonos-Attentat lediglich ein weiterer Auftragsmord in Europa wie viele andere gewesen, wenn es nicht in den Fokus der Medien geraten wäre", sagt Mostafa Ghazizadeh, Deutschlandvertreter der Demokratischen Partei des Iranischen Kurdistans (DPK-I) im Gespräch mit der Deutschen Welle. Vier führende Mitglieder seiner Partei wurden am 17. September 1992 ermordet. Es fielen 29 Schüsse aus einer Maschinenpistole und einer Pistole in einem Restaurant namens Mykonos im Berliner Stadtteil Wilmersdorf.
Die Exilkurden waren unter falschem Namen nach Berlin gereist, um an einem Kongress der "Sozialistische Internationale" teilzunehmen. Das ist ein weltweiter Dachverband der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien und Organisationen. Eine davon ist die im Iran verbotene DPK-I. Sie kämpft für ein autonomes Gebiet innerhalb des Iran. In den strukturschwachen Westprovinzen des Iran leben ungefähr 11 Millionen Kurden. Sie leiden unter maroder Infrastruktur, hoher Arbeitslosigkeit und chronischem Mangel an Krankenhäusern und Schulen.
Die Antwort der Teheraner Zentralregierung auf den Widerstand lautete Unterdrückung und Eliminierung der führenden Köpfe, auch im Ausland. Bereits drei Jahre vor dem Mykonos-Attentat waren der DPK-I-Generalsekretär, Abd el-Rahman Ghassemlou, und zwei seiner Begleiter durch Kopfschüsse in einer Wiener Privatwohnung ermordet worden. "Dieses Attentat konnte 1989 kein mediales Echo in Österreich finden und wurde schnell vertuscht", sagt Ghazizadeh. Die Tatverdächtigen in Wien tauchten später in der iranischen Botschaft unter und konnten nach Interventionen der iranischen Regierung ausreisen.
Der damalige Chef der Politischen Sektion des österreichischen Außenministeriums, Erich Maximilian Schmid, sagte im April 1997 nach seiner Pensionierung in einem TV-Interview, der iranische Botschafter habe "mit ziemlicher Klarheit" zu verstehen gegeben, dass "es gefährlich werden könnte für Österreicher im Iran", sollten die Tatverdächtigen in Österreich vor Gericht gestellt werden.
Festnahme nach Attentat
Entsprechend sicher fühlte sich auch das kurz vor dem Mykonos-Attentat nach Berlin angereiste Killerteam des iranischen Geheimdienstes. Zwei von ihnen blieben in Deutschland und wurden kurz nach dem Attentat festgenommen. Drei weitere fand die Interpol im Ausland. Das Team bestand insgesamt aus vier Libanesen und einem Iraner als mutmaßlicher Planer des Attentats. Sein Name: Kazem Darabi.
Die deutsche Justiz war entschlossen zu handeln. Für die Bundesregierung war das eher unbequem. Teheran war 1992 ein bedeutender Handelspartner. Deutschland verkaufte in dem Jahr Waren für umgerechnet 4,1 Milliarden Euro in den Iran. Beide Länder hatten zahlreiche Verträge unterzeichnet, betonte im Juli 2022 Hossein Mousavian, der damals iranischer Botschafter in Deutschland war. In einem Interview mit der Teheraner Zeitung Etemad berichtete er von Kooperationsprojekten mit deutschen Firmen, die nach acht Jahren Krieg (Irak-Iran-Krieg 1980-1988) die Infrastrukturen im Iran wieder aufbauen wollten.
Haftbefehl gegen Geheimdienstchef
Die Regierung in Teheran dementierte jede Beteiligung am Mykonos-Attentat. Der iranische Geheimdienstchef Ali Fallahian reiste sogar persönlich nach Deutschland und traf sich im Oktober 1993 mit Bernd Schmidbauer, Staatsminister im Kanzleramt.
Die Bundesregierung geriet unter Druck der Medien und Parlamentarier. Was wollte Fallahian in Deutschland? Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins Spiegel wollte der Generalbundesanwalt in Karlsruhe sogar Fallahian verhaften lassen.
Aus Sicht der Bundesregierung genoss der Geheimdienstchef als Staatsgast jedoch Immunität. Fallahian soll versucht haben, den mutmaßlichen Planer des Attentats, Kazem Darabi, freizubekommen, erinnert sich Ex-Botschafter Mousavian in dem Etemad-Interview. 1995 erließ der Bundesgerichtshof schließlich doch noch Haftbefehl gegen Fallahian wegen Beteiligung am Mykonos-Attentat.
Aufwendiger Prozess
Die juristische Aufarbeitung des Attentats fand in einem aufwendigen und spektakulären Prozess statt. Er lief über 247 Verhandlungstage, 166 Zeugen wurden gehört. Am 10. April 1997 fiel das Urteil: Der Iraner Kazam Darabi wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. In der Urteilsbegründung wurde der iranische Geheimdienstchef Fallahian namentlich als Urheber der Tat benannt. Daraufhin hatten alle EU-Staaten außer Griechenland ihre Botschafter aus Teheran abgezogen.
Für den Iran lösten der Prozess und das Urteil ein politisches Erdbeben aus. Das Land wurde isoliert und schlug wütend zurück. Im September 1997 verhaftete der Iran einen deutschen Geschäftsmann in Teheran und verurteilte ihn wegen der unerlaubten sexuellen Beziehung zu einer Muslimin im Iran zum Tode durch Steinigung. Deutschland ließ sich nicht erpressen. Nach mehr zwei Jahren lässt der Iran den Mann frei.
Abschiebung nach Tauschgeschäft?
Darabi selbst wurde nach 15 Jahren Haft freigelassen und im Dezember 2007 in den Iran abgeschoben. Zuvor wurde ein im Iran inhaftierter Deutscher im März 2007 freigelassen. "Die Deutschen haben die iranische Regierung reingelegt und mich erst nach 15 Jahren freigelassen", schrieb Darabi in seiner Autobiografie. Laut dem deutschen Strafgesetzbuch kann eine lebenslange Haftstrafe nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden.
Das Mykonos-Attentat und die Arbeit der deutschen Justiz fügten dem Image des Iran massiven Schaden zu. Dennoch hielt Teheran an seinem Staatsterrorismus fest. Im Mai 2020 setzte das US-Außenministerium den iranischen Geheimdienstchef Ali Fallahian auf die Sanktionsliste wegen Beteiligung an Terrorakten der Islamischen Republik Iran im Ausland. Die USA beschuldigen den Iran, eine "globale Terrorkampagne" zu führen, die bis zu 360 Attentate und Bombenanschläge umfasste. Dazu gehört auch ein gescheiterter Bombenanschlag mitten in Europa. Als Drahtzieher wurde im Juni 2018 der iranische Diplomat Assadollah Assadi in Deutschland verhaftet.
Assadi transportierte rund ein Pfund TATP-Sprengstoff plus Zünder. Ziel des Sprengstoffanschlags war eine Großkundgebung des oppositionellen Nationalen Widerstandsrats Iran (NWRI) im Juni 2018 in einem Vorort von Paris. 2021 wurde der Diplomat zu einer Haftstrafe von 20 Jahre verurteilt.
In Deutschland ist der iranische Geheimdienst nach wie vor sehr aktiv. Laut dem aktuellen Bericht des deutschen Verfassungsschutzes steht die iranische Opposition weiter im Fokus des iranischen Geheimdienstes.