Lehren aus einem Attentat
17. September 2002Im Berliner Reichstag sind am 17. September des Jahres 1992 Abgeordnete der Sozialistischen Internationalen zusammen gekommen, unter ihnen auch führende Funktionäre der Demokratischen Partei Kurdistans/Iran, eine Gruppierung, die unter anderem eine weitgehende Autonomie der Kurden im Iran fordert und sich deswegen den bitteren Zorn der in Teheran herrschenden Mullahs zugezogen hat. Drei Jahre zuvor ist eine ähnliche Delegation der Demokratischen Partei in Wien in einen Hinterhalt gelockt und ermordet worden. Die Täter stehen im Auftrag des Teheraner Regimes, sie können Österreich unbehelligt verlassen. In Berlin scheint dieser Mord vergessen: Nach der Sitzung im Reichstag treffen sich die Parteiführer mit örtlichen Vertretern ihrer Bewegung in einem unscheinbaren griechischen Lokal namens "Mykonos“. Sie werden die Gaststätte nicht mehr lebend verlassen: Unbekannte stürmen in das Lokal und strecken die Kurden mit Maschinenpistolen nieder.
Geheimdienst-Verbrechen
Die Täter bleiben nicht lange unbekannt: Es handelt sich um zwei libanesische "Hisbollah"-Kämpfer, die im Iran trainiert worden sind, und ihren Auftraggeber, den Iraner Kazem Darabi. Dieser lebt scheinbar als Student in Deutschland, bespitzelt aber im Auftrag des iranischen Geheimdienstes "Vevak" hier lebende Exiliraner. Die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft ziehen sich hin und Teheran lässt nichts unversucht, den drohenden Prozess zu verhindern. Es entsendet sogar seinen Geheimdienst-Minister Ali Falahian nach Bonn zu Gesprächen mit dem damaligen Geheimdienst-Beauftragten Schmidbauer. Dieser gibt erst später zu, dass es Falahian in erster Linie um die Freilassung Darabis gegangen sei.
Der Hintermann des Mykonos-Anschlages kommt aber nicht frei. Obwohl die deutsche Politik immer wieder zu bedenken gibt, ein Prozess könne und werde die Beziehungen zum Iran erheblich belasten, beginnt das Verfahren vor dem Berliner Landgericht. Es sollte 247 Tage dauern, 200 Zeugen und Sachverständige werden gehört, unter ihnen auch der im Pariser Exil lebende ehemalige iranische Staatspräsident Abdul-Hasan Bani-Sadr.
Schwere Vorwürfe
Der Exilpolitiker erhebt schwere Vorwürfe gegen das Mullah-Regime, das gnadenlos jeden verfolge, den es zu seinen Gegnern zähle. Teheran – so Bani-Sadr - mache dabei bedenkenlos Gebrauch von seinen Botschaften und Diplomaten, besonders in Bonn, von wo aus eine Reihe von Aktionen geplant und in die Wege geleitet worden seien. Solch eine Taktik hat Tradition: Auch der Geheimdienst des Schahs ("Savak") war in Deutschland aktiv, einige seiner Agenten wurden nach der Islamischen Revolution einfach in die Dienste der Mullahs übernommen und setzten ihr schmutziges Handwerk fort.
So ist es nur politisch, nicht aber inhaltlich eine Sensation, dass das Berliner Kammergericht in seinem Urteil nicht nur die Täter lebenslänglich ins Gefängnis schickte, sondern auch die iranische Staatsführung als eigentlich Verantwortliche für die Tat ausmachte, unter ihnen besonders Geheimdienstminister Falahian - der seitdem zur Fahndung ausgeschrieben ist - aber auch der ehemalige Präsident Rafsanjani und der oberste Führer des Irans, Khamenei.
In Teheran bricht ein Sturm der Empörung aus und es kommt zur Krise mit Deutschland und der EU. Die Botschafter verlassen den Iran, kehren aber bald wieder zurück. In Teheran wird der deutsche Geschäftsmann Helmut Hofer festgenommen und zum Tode verurteilt, weil er angeblich unerlaubte Beziehungen zu einer Iranerin unterhalten habe. Die Hofer-Affäre zieht sich über ein Jahr hin und immer wieder wird deutlich, dass Teheran hiermit versucht, ein Druckmittel zur Freilassung Darabis auszuspielen. Ohne Erfolg. Hofer kommt schließlich frei, der Iraner sitzt weiterhin ein.
Verbesserte Beziehungen
Die diplomatischen und auch wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten haben sich seitdem erheblich verbessert – was in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass der Iran unter Reform-Präsident Mohamad Khatami einen moderateren Kurs steuert und den Dialog mit der Außenwelt sucht. Dies kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es unverändert kompliziert ist, mit dem Iran "normale" Beziehungen zu unterhalten: Khatami und die Parlaments-Mehrheit der Reformer können sich nämlich meist nicht gegen die konservativen Hardliner durchsetzen, die die Sicherheitskräfte, die Justiz und die staatlichen Medien beherrschen.
So ist in den letzten Jahren zwar die Kette von Anschlägen auf Exil-Iraner im Ausland abgerissen, aber dies ist keine Gewähr dafür, dass es so bleibt. Zumindest die in Berlin genannten Verantwortlichen sehen bis heute offenbar nichts Anrüchiges in solchen Angriffen. Der damalige Geheimdienstminister Falahian hielt bei den Wahlen 2001 sogar die Zeit gekommen, als Abgeordneter ein politisches "come-back" zu versuchen. Er wurde nicht gewählt. Ex-Präsident Rafsanjani wäre auch beinahe durchgefallen, ihn rettete aber der "Oberste Führer" Khamenei: Rafsanjani blieb Vorsitzender des "Vermittlungsausschusses" und ist damit mächtiger als Staatspräsident Khatami.