Myanmar: Wie lange kann die Junta noch an der Macht bleiben?
1. Februar 2024Seit dem Militärputsch am 1. Februar 2021 unter der Führung vom General Min Aung Hlaing geht die Militärregierung Myanmars gewaltsam gegen Widerstand vor. Demonstranten, Aktivisten, Fachleute, Journalisten und Oppositionelle - sie alle bleiben weiterhin im engen Fokus der Junta.
Schon einen Tag nach dem Putsch gingen wütende Menschen auf die Straße und zeigten, dass sie eine Militärherrschaft vehement ablehnen. Gestürzte Politiker und Regionalführer bildeten eine von Zivilisten geführte Gegenregierung, die Regierung der Nationalen Einheit (NUG). Als die Massenproteste auf den Straßen gewaltsam niedergeschlagen wurden und nicht mehr sicher waren, kam es zum bewaffneten Widerstand von Zivilisten und ethnischen Gruppen.
Die Folgen waren verheerend. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden seit der Machtergreifung über 4.400 Menschen vom Militär getötet und über 25.000 Menschen verhaftet. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden zwei von 57 Millionen Einwohner vertrieben. Laut einem Bericht der Weltbank hat die Krise auch dazu geführt, dass die Wirtschaft des Landes geschrumpft ist - um 10 Prozent gegenüber 2019.
Gegensätze zwischen Stadt und Land
Wirtschaftlich zeichnet sich in Myanmar große Diskrepanz ab. In urbanen Gebieten sei das gesellschaftliche Leben einigermaßen normal, aber darüber hinaus befinde sich das Land im Chaos, sagt der politische Analyst Aung Thu Nyein. "In Städten wie Yangon, Mandalay oder Naypyidaw konsumieren die Menschen und gehen auf Partys und in die Bar. Es scheint, als sei die Situation normal. Das Geschäft läuft. Auf dem Land ist die Lage schlimm. Wir haben keinen Strom. Auch die landwirtschaftliche Produktion ist zurückgegangen. Aufgrund der Instabilität und der Schwierigkeit ist es schwer vorherzusagen, was als nächstes passieren wird. Viele Unternehmen stellen deswegen ihren Betrieb ein."
Trotz westlicher Sanktionen gegen die Militärs sowie internationalen und regionalen Bemühungen zur Beendigung des Konflikts setzen General Min Aung Hlaing und seine Männer ihre Angriffe auf die Zivilbevölkerung und bewaffnete Widerstandsgruppen fort.
Volker Türk, Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, räumte ein, dass der Konflikt in Myanmar stärker in den Mittelpunkt gerückt werden müsse. Bei all den Krisen auf der Welt sei es wichtig, dass niemand vergessen wird, sagt der 59-Jährige aus Österreich. "Die Menschen in Myanmar haben zu lange gelitten." Türk forderte die Rückkehr zu einer zivilen Regierung, strafrechtliche Konsequenzen für die Putschisten und die Freilassung politischer Gefangener.
Anfang dieser Woche verlängerte die Militärregierung erneut den Ausnahmezustand in Myanmar um weitere sechs Monate. Nach Ansicht von Dr. Sai Latt, politischer Analyst für revolutionäre Bewegungen und regionale Beziehungen in Myanmar, sei weder politisch noch diplomatisch genug getan worden, um den Krieg zu stoppen.
"Die Vereinigung südostasiatischer Länder ASEAN ist ineffektiv; ihr diplomatischer Konfliktlösungsansatz funktioniert nicht. Min Aung Hlaing lässt keinerlei Willen zu einer politischen Lösung erkennen. Er forderte die politischen Parteien auf, Volksmilizen für die Sicherheit und Verteidigung der Gemeinschaft zu bilden, anstatt sie um Hilfe bei der Suche nach politischen Lösungen zu bitten. Das ist ein Hinweis darauf, dass eine friedliche politische Lösung nicht auf seiner Agenda steht. Die Widerstandsgruppen sind entschlossen, die Kämpfe fortzusetzen, bis die Militärherrschaft abgeschafft wird. Infolgedessen wird der Konflikt im Jahr 2024 und darüber hinaus andauern", sagt Latt.
"Zermürbungskrieg"
Das Militär hat oft auf seine mächtigen Arsenale zurückgegriffen und verheerende Luftangriffe ausgeführt und Taktiken der verbrannten Erde eingesetzt, um die Widerstandsgruppen niederzuschlagen. Immer mehr Menschen kamen dabei ums Leben. Einige Beobachter bezeichneten den Konflikt deswegen als "Zermürbungskrieg".
Doch in den letzten Monaten haben die Oppositionskräfte bedeutende Fortschritte gemacht. Die Drei-Brüder-Allianz hat Gebiete im nördlichen Shan-Staat des Landes erobert und die Junta ins Wanken gebracht.
Die Drei-Brüder-Allianz ist ein Bündnis zwischen drei ethnischen Armeen im Norden des Shan-Staates: der Arakan-Armee, der Armee der Nationalen Demokratischen Allianz Myanmars und der Nationalen Befreiungsarmee von Ta'ang. Im Verlauf der groß angelegten "Operation 1027" hat die Drei-Brüder-Allianz über einen Zeitraum von drei Monaten Dutzende Städte und Hunderte von der Junta gehaltene Militärstützpunkte erobert.
Anthony Davis, ein Sicherheitsexperte für Myanmar, sagte, die Offensive des Shan-Staates habe die Junta schwer getroffen. "Die Junta verfügt weder über die Personalreserven noch über die organisatorischen Kapazitäten, um irgendwo in Myanmar größere Gegenoffensiven zu starten."
Die Drei-Brüder-Allianz eroberte auch Laukkai, die Hauptstadt der Selbstverwaltungszone Kokang, die an der Grenze zu China liegt. Dies erregte aufgrund von Handelsstörungen und einem Flüchtlingszustrom die Aufmerksamkeit Chinas und veranlasste Peking dazu, sich erneut als Vermittler zu versuchen, wo es zuvor bereits zweimal gescheitert war. Das Pekinger Außenministerium sagte, nach Gesprächen in China sei mit allen Parteien ein sofortiger Waffenstillstand zwischen Vertretern des Widerstandsbündnisses und der Junta vereinbart worden.
Doch nur wenige Tage später führten Berichte über Schüsse der Junta-Truppen auf das Bündnis zu Vergeltungsschlägen. "Der Waffenstillstand im Shan-Staat wurde bereits an mehreren Orten von beiden Seiten gebrochen. Wenn sich die Drei-Brüder-Allianz dazu entscheiden sollte, wieder in die Offensive zu gehen, wird sie dieser sogenannte Waffenstillstand wahrscheinlich nicht abschrecken", sagt Davis.
Die Offensive hat sich auf andere Regionen Myanmars ausgeweitet, wobei die Arkan-Armee von der Drei-Brüder-Allianz mittlerweile fast den gesamten nördlichen Rakhine-Staat kontrolliert. "In den kommenden Monaten wird es wahrscheinlich zu einer konzertierten Kampagne der Arakan-Armee kommen, die darauf abzielt, dem Militär-Regime die Kontrolle über den Rakhine-Staat zu entreißen", fügte Davis hinzu.
Aung Thu Nyein sagt, die Verluste seien "demütigend" für das Militär gewesen und behauptet, es gebe interne Unruhen in den Reihen des Militärs. Am Verhalten vom General Min Aung Hlaing scheint sich allerdings nichts geändert zu haben. Doch bei der Basis des Militärs wachse die Unzufriedenheit. "Sogar viele der höheren und unteren Offiziere der Einheit reden ganz offen in der Öffentlichkeit. Die Glaubwürdigkeit des Generals ist ziemlich gering", sagte Aung Thu Nyein. Der Analyst geht davon aus, dass der Militärführer hoffe, durchzuhalten, bis er im nächsten Jahr seine eigenen Wahlen abhält.
"Ich denke, im Jahr 2024 wird sich der Konflikt verschärfen. Aber schon jetzt bereitet sich das Militär darauf vor, im Jahr 2025 Wahlen abzuhalten als politischen Ausweg. Ich denke, das wird die Strategie von General Min Aung Hlaing sein. Aber die verschiedenen Arten von Krisen - politische, militärische, wirtschaftliche und soziale Krisen - werden sich verschärfen, obwohl viele Menschen jetzt Veränderungen erwarten", so Aung Thu Nyein.
Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein