Geldscheine in Kisten und Blackouts
6. Juni 2013Der Präsident hat keine Zeit. Vor den vielen Türen seines Büros in Rangun sitzen Berater aus Sheffield, Köln und den USA. Auch die EU ist vertreten. Keiner hat einen Termin bekommen. Dabei ist Win Aung nicht der politische Präsident, sondern lediglich der Chef der Kammerorganisation in Myanmar, wie das frühere Birma heute heißt. Er trägt den Titel 'President' und ist einflussreich. Die Union der Industrie- und Handelskammern (UMFCCI) hilft ausländischen Unternehmen mit Kontakten in Mynanmar, setzt sich für Joint Ventures ein und unterstützt eine weitere Öffnung der Wirtschaft. Win Aung gilt als Freund von Myanmars Staatschef Thein Sein, der 2011den Reformprozess im Land eingeleitet hat.
Der Wunsch: Kapital und Arbeitsplätze
Ausländische Investoren und Geldgeber geben sich in Rangun und der Hauptstadt Naypyitaw die Klinke in die Hand. Alle wollen teilhaben am prognostizierten Wirtschaftsboom von jährlich acht Prozent. Auch deutsche Delegationen waren bereits mehrfach im Land. Bald wird ein Delegiertenbüro der deutschen Wirtschaft eröffnen, einige bürokratische Hürden wurden bereits genommen.
Win Aung kümmert sich nicht um die Wartenden vor seiner Tür und empfängt die Deutsche Welle zum Interview. Sein Büro ist riesig, eifrige Helfer servieren Tee und notieren jedes Wort. In fließendem Englisch erklärt er seine Sicht der Dinge.
Deutschland ist gefragt
"Wir müssen unsere Infrastruktur erneuern. Wir brauchen Straßen und Transportwege, funktionierende Telefonleitungen und Internet. Das können wir nicht allein schaffen." Diese Investitionen würden Milliarden kosten, erläutert er weiter. Das könnten wahrscheinlich nur große Unternehmen gemeinsam mit Myanmar stemmen. Dann appelliert er an die Deutschen. "Sie haben viel Kapital, investieren Sie es hier. Wir brauchen Arbeitsplätze. Bauen Sie doch hier eine beschäftigungsintensive Industrie auf. Auch kleinere und mittlere Unternehmen haben hier Chancen. Sie können mit unseren Firmen kooperieren."
Chance für die Textilindustrie
Win Aung denkt auch an die Bekleidungsindustrie, die großes Potential hat. Denn Myanmar grenzt strategisch günstig an Bangladesch, Laos und Thailand sowie an die riesigen Märkte Indien und China. Ausländische Textilproduzenten wollen einen Teil ihrer Produktion aus Bangladesch abziehen, weil die Arbeitsbedingungen dort zum Teil als inhuman und gefährlich gelten. Hier könnte eine Chance für Myanmar liegen.
EU hilft bei den Standards
Unter dem Namen "Smart Myanmar" fördert die EU-Kommission "nachhaltigen Konsum und Produktion" (Sustainable Consumption and Production - SPC). Sabine Schacknat baut hier ein Beraternetz auf. Die Berater sollen die Textilproduzenten vor Ort unterstützen, damit internationale Standards eingehalten werden. "Dazu gehören Sozialstandards ebenso wie Umweltstandards", erläutert sie im Gespräch. "Erst wenn die Unternehmen hier sich danach richten, haben sie eine reelle Chance, neue Märkte zu erobern."
Schacknat war bei einem ersten Fabrikbesuch positiv überrascht. "Höhenverstellbare Stühle und Tische, gute Beleuchtung, feste Pausenzeiten", erzählt sie. Eine Klimaanlage aber gab es nicht - trotz Außentemperaturen von 30 bis 40 Grad. Die Löhne sind im internationalen Vergleich niedrig, mit 50 bis 90 US-Dollar im Monat für die Arbeiterinnen.
Geld in Kisten
Doch ist die Euphorie über die Chancen in Myanmar auch berechtigt? Unternehmer, die schon länger vor Ort sind, klagen über das völlig marode Finanzsystem. Jim Taylor, ein US-Amerikaner, produziert mit seinem Unternehmen Proximity günstige Wasserpumpen für die Bauern. "Im Grunde müssen sie alles bar bezahlen. Es gibt fast keine Geldautomaten, Überweisungen sind extrem schwierig. Das bedeutet, das man teilweise Kisten mit Kyat, der einheimischen Währung, schleppen muss", sagt er lachend. Andere erzählen, dass Mieten mindestens ein Jahr im Voraus bezahlt werden müssen, bar versteht sich.
Tägliche Blackouts
Das größte Problem aber ist der Energiemangel. Mehrere Stromausfälle am Tag sind üblich. Beim Besuch eines kleinen Supermarkts in Rangun steht man plötzlich im Dunkeln. Keinen regt das auf. Alle warten, bis die Generatoren anspringen. Deren Betrieb kostet viel Geld und verschmutzt die Umwelt.
Pyae Sone Oo ist burmesischer Unternehmer. Mit Startkapital von seinen Eltern gründete der 29-Jährige vor vier Jahren seinen Reishandel. Er zeigt uns seine Lagerhalle in der Industriezone. Hier füllt er unter anderem Reis für die World Food Organization ab.
Maschinen fallen aus, Menschen springen ein
Drinnen herrschen mindestens 45 Grad. Junge Männer füllen mit der Hand und Eimern den Reis in 50-Kilo-Säcke. Die schleppen sie dann zum Abtransport durch die große Halle. Eine körperlich extrem anstrengende Arbeit. Ob es denn keine Maschinen und Transportbänder gibt, fragen wir. "Doch", sagt der Unternehmer, "aber wir können sie nicht einsetzen. Denn seit Tagen haben wir keinen Strom. So wie die meisten Unternehmen hier in der Industriezone."